Splitter einer vergangenen Zukunft. Eckhard Bausch

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Название Splitter einer vergangenen Zukunft
Автор произведения Eckhard Bausch
Жанр Языкознание
Серия Die Dunstein-Chroniken
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947721214



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Tatsächlich handelte es sich um einen Mann, welcher in der braun gestreiften Kleidung der Hilfskräfte vor der Tür stand.

      „Darf ich eintreten, Eminenz?“, fragte er respektvoll. „Ich habe eine Nachricht für Sie.“

      „Kommen Sie herein!“, forderte Ulban ihn auf. „Ich habe jedoch nur wenig Zeit.“

      Beim Eintreten warf der Mann einen kurzen Blick auf das Glas mit dem Wasser. Der Höchste Priester bemerkte, dass sein Besucher irgendetwas kaute.

      „Mein Name ist Brinngulf Sterndek“, stellte sich der Mann vor. „Ich muss Sie bitten, mich auf einer langen Reise zu begleiten.“

      Der Höchste Priester sah ihn an, als zweifle er an seiner geistigen Gesundheit.

      „Sie haben wohl den Verstand verloren“, herrschte er den drahtigen Mann mit dem wettergegerbten Gesicht an. „Ich habe hier wichtige Aufgaben zu erfüllen. Verschwinden Sie jetzt!“

      Brinngulf Sterndek rührte sich jedoch nicht von der Stelle. „Ich bitte Sie inständig, Ihre Entscheidung nochmals in aller Ruhe zu überdenken“, insistierte er und deutete auf den Wasserbecher. „Geriadis ist das heimtückischste aller Gifte. Seine Wirkung setzt erst nach zehn Stunden ein, aber dann löst es fürchterliche Qualen aus, bevor es zum Tod führt. Wenn es einmal in den Körper gelangt ist, kann man es nie mehr beseitigen. Es gibt lediglich ein Gegenmittel, mit dem die Wirkung immer wieder um zehn Stunden hinausgeschoben werden kann. Ich besitze eine große Menge dieses Gegenmittels.“

      Voller Entsetzen blickte Ulban zu dem Becher, aus dem er kurz zuvor getrunken hatte. Die Tür, die einen Spaltbreit offengeblieben war, wurde aufgeschoben. Die schwarzhaarige Frau mit der auffälligen Narbe trat ein. Sie hatte jedoch nicht die Werkzeuge bei sich, die sie besorgen sollte.

      „Wir können jetzt gehen“, sagte sie.

      „Er ist noch unentschlossen“, erwiderte Brinngulf Sterndek.

      Langsam verstand Ulban. „Sie haben das Wasser vergiftet“, warf er der Frau anklagend vor.

      „Das ist richtig“, entgegnete sie ungerührt, trat zu dem Tisch und leerte den restlichen Inhalt des Bechers in einem Zug. Dann trocknete sie ihn mit einem Zipfel ihres Gewandes aus und stellte ihn zurück.

      „Ich bin immun gegen Gifte aller Art“, erklärte sie. „Ihnen rate ich dagegen dringend, das Angebot meines Bruders anzunehmen.“

      Obgleich Ulban zweifelte, folgte er dem sonderbaren Geschwisterpaar. Er war nicht bereit, ein tödliches Risiko einzugehen, noch nicht.

      *

      Sein langer, blauer Mantel umwehte den Herold, als er mit zwei Pferden am Zügel den Besucher aus Mithrien vor dem Höhleneingang von Sylabit erwartete.

      Auch Sestors schwarze Haare wurden beim Verlassen der Höhle vom Sturm erfasst und flatterten wie ein Banner um seinen Kopf. Der Wind heulte so laut, dass der Eisgraf schreien musste, um sich verständlich zu machen.

      „Ich bin Sestor“, rief er. „Ich liebe die Stürme von Zogh.“

      „Mein Name ist Prandorak“, tönte der Herold und hielt dem Eisgrafen die Zügel eines der beiden Pferde entgegen. „Jetzt bin ich tatsächlich dem ersten Menschen begegnet, der die Stürme von Zogh liebt.“

      Trotz der widrigen Witterung lachten beide, während sie auf die Pferde aufstiegen.

      „Haben Sie schon etwas in Erfahrung bringen können?“, wollte Sestor wissen.

      „Nachdem ich gehört habe, worum es geht, war ich nicht untätig“, antwortete Prandorak. „Ich werde Ihnen unterwegs alles erzählen, Graf Sestor.“

      „Nenne mich einfach „Sestor“!“, verlangte der Eisgraf. „Wir werden wohl längere Zeit zusammen reiten. Da sollten wir uns nicht mit Förmlichkeiten aufhalten.“

      „Einverstanden“, gab der Herold bereitwillig zurück und trieb sein Pferd an. „Zuerst reiten wir zum Zyggdal-Gebirge. Dort gibt es eine Frau, die als Kind eine Replica gesehen haben will.“

      Die erste Rast legten der Eisgraf und der Herold nach drei Stunden ein. Prandorak packte seinen Proviantsack aus und reichte Sestor ein großes Stück dunkel gebackenen Brotes, geräucherte Fleischstreifen und getrocknete Früchte.

      „Ich habe mich so sehr nach diesem wundervollen Brot gesehnt“, schwärmte Sestor mit leuchtenden Augen. „Ich hoffe, du hast noch jede Menge davon.“

      „Da kannst du beruhigt sein“, erwiderte Prandorak. „Außerdem bekommen wir es auch in den Höhlen. Wenn ich dich so höre, solltest du dir überlegen, nach Zogh umzusiedeln.“

      Sestor grinste: „Es würde mir aber schwerfallen, mich zu entscheiden, wo ich hier am liebsten leben würde.“

      „Du hast ja jetzt ausreichend Gelegenheit, die Höhlen kennenzulernen“, versprach der Herold. „Aber erzähle mir: Worum geht es eigentlich bei der Suche nach dieser Weißen Frau?“

      „Telimur und Königin Quintora glauben, dass diese Frau namens Larradana die Stammmutter der Pylax und deshalb vor den anderen Replicas geflohen ist. So steht es jedenfalls in einer alten Schrift, die nach der Meinung des Königspaars gefälscht wurde“, berichtete Sestor. „In dem Buch steht jetzt, Larradana sei getötet worden. Telimur will beweisen, dass dies eine Fälschung ist, und vor allem will er den Grund für diese Fälschung herausfinden.“

      Prandorak schüttelte verständnislos den Kopf: „Wegen eines Buches jagen wir ein Phantom?“

      „Ich finde das ziemlich spannend“, grinste Sestor. „Wenn die Geschichte allerdings stimmt, kann es ganz schnell sehr gefährlich werden. Die Weiße Frau soll über ungeheure Kräfte verfügen, wohingegen angeblich meine besonderen Fähigkeiten als Eisgraf in ihrer Gegenwart versagen. Das glaubt jedenfalls Quintora.“

      Prandorak wusste, dass Sestor damit den „vernichtenden Blick“ meinte.

      „Meine Boten haben die Frau überwacht, die angeblich als Kind von einer Replica gerettet wurde“, berichtete er. „Sie bringt regelmäßig Opfergaben in eine Höhle.“

      „Opfergaben?“, sinnierte Sestor. Ein Blick in Prandoraks Augen bestätigte ihm, dass der Herold das Gleiche dachte wie er. Bereits nach einem dreistündigen Ritt hatten sie jahrhundertealte Barrieren durchbrochen und ein wechselseitiges Verständnis entwickelt, das oft keiner Worte bedurfte. Sie bestiegen wieder ihre Pferde und ritten den restlichen Weg durch den „Saum“, die Hügellandschaft in den Ausläufern des Aralt. Am frühen Abend erreichten sie eine kleine Ortschaft am Fuß des Toipengeh, wo ihr Aufstieg in das Hochgebirge beginnen sollte. Dort kehrten sie in einer kleinen Herberge ein. Bei Höhlenbier und einer deftigen Mahlzeit scherzten und lachten die beiden Männer bis tief in die Nacht hinein. Bei ihrem Anblick hätte niemand vermutet, dass sie im Begriff standen, eine Katastrophe auszulösen.

      *

      Aus dem Bewacher war ein Mann geworden, der nun seinerseits bewacht wurde. Seit vielen Monaten wurde Xaranth in einem geräumigen Kellerraum gefangen gehalten. Dieser Raum gehörte zum herrschaftlichen Landsitz des freien Kapitäns Jalbik Gisildawain auf einem idyllisch gelegenen Hügel der Insel Borgoi. Fenster und Türen des privaten Kerkers waren mit dicken Eisenstäben vergittert. Für den Bewacher der Gruft wären dies keine Hindernisse gewesen, wenn er noch über seine Salastra hätte verfügen können. Er hatte diese schreckliche Waffe jedoch geopfert, um sich selbst zu retten. Xaranth erinnerte sich noch haargenau an die Sekunden bevor der tosende Orkan sein Schiff zerfetzt und ihn über Bord gefegt hatte. In dem Augenblick, als er die Salastra ins Meer fallen ließ, brach er den Jahrtausende alten Schwur. Aber gleichzeitig rettete er damit sein Leben. Nur – was war das nun für ein Leben?

      Der Freibeuterkapitän hatte ihn aus dem südlichen Ozean gefischt und hielt ihn seitdem gefangen. Jalbik Gisildawain ahnte, dass der außergewöhnlich große, hagere Mann mit den fremdartigen, gelben Augen etwas Besonderes darstellte. Allerdings war es ihm bisher immer noch nicht gelungen, herauszufinden, wer bereit sein könnte, für seinen