Splitter einer vergangenen Zukunft. Eckhard Bausch

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Название Splitter einer vergangenen Zukunft
Автор произведения Eckhard Bausch
Жанр Языкознание
Серия Die Dunstein-Chroniken
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947721214



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ein belustigter Unterton. Die beiden Männer fuhren herum. Noch in der Drehung überkam Sestor die verstörende Erkenntnis, dass er tatsächlich nicht in der Lage sein würde, von seinem „vernichtenden Blick“ Gebrauch zu machen.

      Die Weiße Frau lehnte lässig an einer von drei unregelmäßigen Felssäulen, die bis zur Decke der Höhle empor reichten.

      Als sie die Sprachlosigkeit der Männer gewahrte, fügte sie sarkastisch hinzu: „Ihr seid also gekommen, um mich vor einer Gefahr zu warnen, die mir seit mehr als fünftausend Jahren bekannt ist.“

      „Das war nur ein Vorwand“, gab Sestor unumwunden zu. „Ich habe das nur deshalb zu der Frau gesagt, weil ich mit Euch sprechen wollte. Ich weiß, dass Ihr auf der Flucht seid. Könnt Ihr Euch aber ewig verstecken? Die Eisgrafen sind die Beschützer der Eisbäume. Die Eisbäume sind jedoch fest an einem Ort verwurzelt. Sie können nicht fliehen, wenn sie bedroht werden. Also ist die Flucht auch niemals eine Lösung für diejenigen, die zu ihrem Schutz ausersehen sind. Als ich darüber nachgedacht habe, bin ich auf eine wichtige Frage gestoßen: Kann Flucht überhaupt eine Lösung sein? Solltet Ihr nicht in Erwägung ziehen, den Kampf anzunehmen?“

      Larradana nahm nun zum ersten Mal das Bild des Eisgrafen mit einem gewissen Interesse durch die schwarzen Sehschlitze ihrer gelben Augen in sich auf.

      „Ihr seid ein bemerkenswerter Mann, Graf Sestor“, stellte sie fest. „Ihr seid nicht hergekommen, um mich zu warnen. Aber Ihr seid auch nicht hergekommen, um mir gute Ratschläge zu erteilen. Was also wollt Ihr wirklich?“ Mit einer fahrigen Bewegung wischte sich Sestor den Vorhang seiner schwarzen Haare aus dem Gesicht: „Die Wahrheit ist: Ich suche die Wahrheit.“

      *

      Zwischen den beiden völlig unterschiedlichen Lebensformen hatte sich unbewusst eine stillschweigende Übereinkunft herausgebildet. Wenn Jalbik Gisildawain an seinem Lieblingsplatz auf dem Hügel Karadastak saß, zog sich der Mon’ghal vollständig aus dem Geist des Freibeuterkapitäns zurück. So konnte der Mann von Borgoi seine Gedanken frei schweifen lassen, wenn er das wunderschöne Panorama der Klippen von Trofft und der Wasischen Atolle genoss, die der Insel im Westen vorgelagert waren.

      Stets löste dieser Anblick der unendlichen Weiten des Meeres eine unstillbare Sehnsucht in dem Mann aus, der die meiste Zeit seines Lebens auf hoher See verbracht hatte.

      Der Mon’ghal befand sich währenddessen in einem Dämmerzustand. Er hatte feststellen müssen, dass sich der geistige Kontakt zu den Menschen von Borgoi für ihn wesentlich schwieriger und damit auch anstrengender gestaltete als zu den Obesiern. Unmerklich, aber stetig waren die Zeiten länger geworden, in denen er vollkommene Ruhe benötigte.

      Jalbik Gisildawain hatte längst bemerkt, dass es da irgendeine Störung in seiner Geistestätigkeit gab. Aber noch war er der Ursache nicht auf die Schliche gekommen. Manchmal zermarterte er sich das Hirn, gab dann aber die Anstrengungen erfolglos wieder auf.

      In die Betrachtung der Klippen und Atolle versunken, blieb ihm eine ganze Weile verborgen, dass sich auf dem Pfad zu der hochgelegenen Steinbank ein Mann näherte. Bei seinem Anblick erschrak er. Dieser Mann war ihm nicht geheuer, obgleich er einst als einfacher Matrose auf seinem Freibeuterschiff gedient hatte. Nur allzu gut erinnerte sich der Kapitän noch an jene Nacht, in der die sturmgepeitschte See immer wieder für Sekunden von zuckenden Blitzen taghell beleuchtet wurde.

      Der Ankömmling war damals gerade damit beschäftigt gewesen, eine Leine des Rahsegels an einem Spill festzubinden, als der Blitz einschlug. Das grelle Flackern hatte den Matrosen vollständig eingehüllt. Eigentlich hätte nur noch ein Häufchen Asche von ihm übrig sein dürfen. Die Männer der Besatzung trauten ihren Augen nicht. Der erloschene Blitz hatte dunkle Verbrennungen auf den Planken des Oberdecks hinterlassen. Brinngulf Sterndek zerrte jedoch unbeirrt weiterhin an dem Seil und mühte sich ab als sei nichts geschehen.

      Nach Beendigung dieser Kaperfahrt hatte der Mann abgeheuert. Das löste bei Jalbik Gisildawain seinerzeit eine befreiende Erleichterung aus. Der Kapitän war ein Draufgänger und als Freibeuter allerhand gewohnt. Aber er fürchtete sich vor allem, was nicht mit rechten Dingen zuzugehen schien.

      „Hallo, Kapitän, lange nicht gesehen“, rief der Ankömmling kauend und spuckte ein Stück Speckschwarte aus. Jalbik Gisildawain kniff die Augen zusammen und beobachtete den ehemaligen Matrosen mit versteinertem Gesicht. Unbeweglich blieb er auf der Bank sitzen, bis Brinngulf Sterndek unmittelbar vor ihm stand.

      „Was wollen Sie?“, fragte der Freibeuter. Seine Augen hatten ihren Glanz verloren. Der Mon’ghal war erwacht.

      „Ich biete Ihnen das beste Geschäft Ihres Lebens an“, verkündete der Besucher mit einem Überschwang, der in keiner Weise zu ihm passte. „Sie verdienen mehr als bei einer guten Prise und brauchen praktisch überhaupt nichts dafür zu tun.“ Mit einer weit ausholenden, dramatischen Geste riss er das prall gefüllte Säckchen von seinem Gürtel los und knallte es neben Jalbik Gisildawain auf die Steinbank. Er öffnete die Schnur, die den Beutel am oberen Ende zusammenhielt, sodass der Kapitän den Inhalt sehen konnte: glänzende Silberstücke.

      „Und was soll ich dafür tun?“, fragte Jalbik Gisildawain vorsichtig.

      „Eigentlich nichts, wie ich bereits gesagt hatte“, erwiderte Brinngulf Sterndek. „Es handelt sich lediglich um einen Gefangenenaustausch. Sie geben mir Xaranth und bekommen dafür Ulban, den Höchsten Priester des Wissens. Das ist für Sie sogar noch von großem Vorteil, weil der Alte viel ungefährlicher ist als der Bewacher der Gruft.“ Das hinter dieser Forderung stehende Wissen hätte dem Freibeuter eigentlich einen unbändigen Schreck einjagen müssen. Aber Brinngulf Sterndek war ihm ohnehin dermaßen unheimlich, dass ihn selbst solche Kenntnisse nur mäßig überraschten. Daher versuchte er erst gar nicht, die Tatsache zu leugnen, dass er jenen merkwürdigen Mann gefangenhielt.

      „Woher wissen Sie davon?“, erkundigte er sich misstrauisch.

      „Jeder hat seine Geheimnisse“, entgegnete sein ehemaliger Matrose zugeknöpft.

      Jalbik Gisildawain hätte den Handel sofort angenommen. Aber der Mon’ghal sah seinen mühevoll aufgebauten Plan in Gefahr. Was sollte er mit einem alten Priester des Wissens anfangen? Xaranth wäre genau der Richtige gewesen, der ihm geeignet erschien, die schlummernde Ovaria aufzuspüren und in Sicherheit zu bringen. Er musste jedoch vorsichtig sein. Offenbar kannte der Ankömmling den Kapitän und wusste, wie sich ein Freibeuter in einer solchen Situation verhielt.

      „Was wäre wenn ich diesen Tausch ablehnen würde?“, wollte Jalbik Gisildawain wissen.

      Brinngulf Sterndeks Gesichtszüge veränderten sich schlagartig.

      „Sie wären so gut wie tot“, erklärte er mit eisiger Stimme. „Ich habe Ihnen nicht gesagt, in wessen Auftrag ich handele, weil Sie sich ohnehin nicht die Macht vorstellen können, die dahintersteht. Sie haben keine Wahl.“

      Dann huschte plötzlich ein wissendes Lächeln über das Gesicht des ehemaligen Matrosen. Er ließ sich neben Jalbik Gisildawain auf der Bank nieder und schaute eine Weile hinaus aufs Meer.

      Schließlich sah er den Kapitän von der Seite her an und sagte: „Ich hätte da noch einen weiteren Anreiz. In Xotos gibt es einen Mann namens Plarcadt. Er ist nicht nur der Ducarion des Gorilla-Heeres, sondern er weiß auch vieles, was normalen Menschen nicht bekannt ist. Er kennt beispielsweise den Ort, an dem die letzte Stammmutter der Mon’ghale schlummert. Und sicherlich wäre er auch bereit zu helfen, wenn sie in Sicherheit gebracht werden müsste.“

      Noch in der gleichen Nacht fand der Gefangenenaustausch statt. Tannea Sterndek brachte Ulban und einen riesigen Vorrat des Gegengifts zu dem herrschaftlichen Sitz des Freibeuters auf dem Hügel Karadastak. Brinngulf Sterndek hatte sich ausbedungen, allein mit Xaranth zu reden, um ihn von der Sinnhaltigkeit seiner Freilassung und den damit verbundenen Folgen zu überzeugen.

      Nicht ohne Scheu betrachtete er den hochgewachsenen Mann mit den fremdartigen, gelben Augen. „Ich wurde geschickt, um Sie hier abzuholen“, eröffnete er dem Bewacher der Gruft.

      „Von wem?“, fragte jener zurück.

      Brinngulf