Splitter einer vergangenen Zukunft. Eckhard Bausch

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Название Splitter einer vergangenen Zukunft
Автор произведения Eckhard Bausch
Жанр Языкознание
Серия Die Dunstein-Chroniken
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947721214



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nur um seine Herkunft zu verschleiern ließ er sich „Baron“ statt „Prinz“ nennen. Er liebte die Freiheit und hegte nie den Anspruch, sich dauerhaft als Herrscher zu betätigen. Dass er das Angebot Yxistradojns angenommen hatte und diesen als Statthalter dabei unterstützte, aus Doinat ein Zentrum der Wissenschaften und schönen Künste zu machen, war eigentlich eine Flucht gewesen. Nach der Befreiung Surdyriens hatte man ihn als größten Volkshelden aller Zeiten gefeiert und massiv bedrängt, in die Fußstapfen seiner Ahnen zu treten. Aber das wäre seinem bisherigen Lebenswandel und seinen Überzeugungen völlig zuwidergelaufen.

      Schaddoch war ein Abenteurer, kein Regent. Zu seinem Leidwesen hatte er jedoch übersehen, dass er als Statthalter von Doinat zugleich den Hochkönig vertrat. So war er vom Regen in die Traufe gekommen.

      „Wir könnten tauschen“, schlug er vor. „Ich gehe als Einsiedler nach Borthul, und Sie übernehmen diesen Stuhl hier.“ Er zeigte auf den schlichten Sessel, den er gegen den vorherigen Thron des Statthalters eingetauscht hatte.

      Korvinag lachte: „Wenn Sie mir schon nicht den Knochenthron der Hochkönige anbieten können, will ich das da auch nicht.“ Dann fügte er lauernd hinzu: „Aber ich könnte Yxistradojn sagen, dass ich Ihre Unterstützung bei meinen Nachforschungen benötige.“

      Schaddoch klatschte sofort freudig erregt in die Hände. „Abgemacht!“, rief er. „Lassen Sie uns sofort loslegen!“

      Der alte Einsiedler wusste, dass das Angebot des Surdyriers absolut ernst gemeint war. Und er konnte jemanden wie den Baron bei der schwierigen Aufgabe, die Yxistradojn ihm gestellt hatte, bestens gebrauchen. Genau genommen hatte der Hochkönig nur den Anstoß gegeben. Eigentlich hatte Korvinag sich die Aufgabe selbst gestellt; er war kein Mann, dem man Weisungen erteilen konnte.

      Bedächtig, wie man dies von einem uralten Einsiedler erwartete, nickte er.

      Beim Blick in die Augen des Barons wurde ihm jedoch klar, dass sich dieser Mann nicht täuschen ließ. Korvinag hatte als Einziger der Gründer des „Geheimen Bundes von Dunculbur“ überlebt und galt als der beste Schauspieler aller Zeiten und gefährlichster Mann des Kontinents. Obwohl er kein Gestaltwandler war, konnte er sein Äußeres fast nach Belieben verändern. Sein tatsächliches Alter kannte niemand. Zudem ahnte kein anderer Mensch, dass er neben Roxolay der engste Verbündete des Geflechts der alten Wesenheiten war. Nicht einmal er selbst hätte im Traum daran gedacht, dass er gerade im Begriff stand, eine tödliche Auseinandersetzung mit dem Geflecht auszulösen.

      „Können wir jetzt die Gemächer aufsuchen, die Selazidang zuletzt bewohnt hat?“, bat er den Statthalter von Doinat.

      „Gehen wir!“, sagte Schaddoch leichthin und schritt voraus durch die große Halle, über etliche Treppen und Flure zu einem der vielen Nebengebäude des Palasts. Dort befand sich die Wohnung des Mannes, der als der größte Gelehrte Sindras galt. Während die Einrichtung der Aufenthaltsräume Selazidangs eher spärlich anmutete, fiel sofort auf, dass der Umfang an wissenschaftlichen und technischen Ausstattungen genauso unbescheiden wirkte wie der zur Schau gestellte Reichtum der Musenkönige.

      Korvinag und Schaddoch gingen kreuz und quer durch die Räume. Bereits bei dieser Gelegenheit wurde deutlich, dass sich die beiden Männer in außergewöhnlicher Weise ergänzten. Während Korvinag sein Augenmerk auf die Apparaturen und Aufzeichnungen Selazidangs legte, suchte Baron Schaddoch nach Hinweisen, die Auskunft über persönliche Eigenheiten und Vorlieben des weithin bekannten Sohnes von Sindra geben konnten.

      Plötzlich blieb Korvinag wie angewurzelt stehen. Schaddoch bemerkte sofort, was den Einsiedler fesselte, und er verstand, was die wenigsten Menschen verstanden hätten. Hinter einer aufwändigen Versuchsanordnung mit zahlreichen Glaskolben und Metallbehältnissen hingen mit großer Sorgfalt gefertigte Zeichnungen an der Wand, die allerlei Gerätschaften darstellten. Inmitten dieser beeindruckenden Darstellungen fiel ein bereits deutlich vergilbtes Pergament auf. Das war sicherlich die Älteste der Zeichnungen, aber merkwürdig erschien sie aus einem ganz anderen Grund: Sie bestand lediglich aus sechs dicken Punkten und einer unregelmäßigen Umrisslinie, die fast bis zum Rand des Pergaments reichte. Die Punkte waren anscheinend willkürlich auf der ansonsten leeren Fläche verteilt.

      „Was soll das denn darstellen?“, fragte Schaddoch stirnrunzelnd.

      Korvinag zuckte hilflos die Schultern: „Das weiß ich auch nicht. Aber es würde sicherlich nicht schon so lange hier hängen, wenn Selazidang ihm keine herausragende Bedeutung beigemessen hätte. Wir sollten uns das gut einprägen.“

      Noch während Korvinag dies sagte, erstarrte er erneut. Das Geflecht der alten Wesenheiten hatte seinen Geist berührt. Ein schrecklicher, für Menschen unhörbarer Aufschrei breitete sich über den gesamten Kontinent aus. Plötzlich stand Panik in den Augen des gefürchtetsten Mannes der Welt. Er war von einem Augenblick zum nächsten kreidebleich geworden.

      „Wir müssen sofort weg von hier!“, keuchte er.

      Schaddoch hatte die Veränderung im Gesichtsausdruck seines Begleiters sofort erfasst. Er reagierte blitzartig. Mit weiten Schritten eilte er voraus in einen Nebenraum, von dem aus man durch eine Seitentür ins Freie gelangen konnte.

      *

      Der Mann, den seine Landsleute wegen seiner Gutmütigkeit „Mondgesicht“ nannten, war äußerst schlecht gelaunt. Dabei gab es nur wenige Dinge, mit denen man dem Fröhlichsten aller Eisgrafen die Stimmung verderben konnte. Am allerschlimmsten traf es ihn, wenn er einem rauschenden Fest, das sich gerade in vollem Gange befand, den Rücken kehren musste. Und genau das war geschehen.

      Besonders griesgrämig stimmten ihn darüber hinaus die erheblichen Zweifel, ob die Botschaft tatsächlich genügend Gewicht besaß, dass es sich dafür lohnte, die Feierlichkeiten einer Doppelhochzeit zu verlassen. Eigentlich hätte er schwören können, dass nichts auf der Welt derart wichtig sein konnte.

      Schweren Herzens und mit verbissenem Gesicht ritt Quartor durch die Ebene von Tanaria an dem Gebirgsbach Holbu entlang. Nach seinem steilen Absturz aus dem Aralt-Gebirge hatte sich das kleine Gewässer hier unten wieder beruhigt. Sanft plätschernd floss es dem Talawi entgegen.

      Endlich kam das Ziel des Eisgrafen in Sicht, ein Ort, an dem er viele Stunden seines Lebens verbracht hatte. Es gab Zeiten, in denen er sogar noch häufiger hier war als in den Tavernen von Tanaria. Ein Kreis von Büschen umgab einen riesigen Eisbaum in unmittelbarer Nähe des Bachufers.

      Misstrauisch sah Quartor zu der anscheinend erschöpften Gestalt hinüber, die sich mit dem Rücken gegen den mächtigen Stamm des gewaltigen Baumes gelehnt hatte. Üblicherweise scheuten die Menschen ehrfurchtsvoll die Berührung der heiligen Bäume des Nordens.

      Beim Näherkommen steigerte sich der Ärger des Eisgrafen immer mehr. Bei dem Fremden handelte es sich um denselben Mann, der ihm die Botschaft überbracht hatte. Wieso hatte er ihn an diesen Ort bestellt, wenn er ihm die Botschaft auch gleich im Quaralpalast hätte mitteilen können? Zwei Meter von dem Mann entfernt hielt Quartor sein Pferd an und sprang aus dem Sattel. Als er den Mann genauer betrachtete, stutzte er. Die blauen Augen des jungen Mithriers glänzten seltsam, und sein Blick wirkte gleichermaßen verklärt und entrückt. Er schien durch den Eisgrafen hindurchzuschauen.

      „Ich werde den Auftrag bekommen, dich zu töten“, erklärte der Mann mit einer klaren Stimme, in der jedoch Trauer mitschwang.

      Quartor verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. Ein mitleidiges Lächeln umspielte seine Lippen als er erwiderte: „Diesen Auftrag solltest du besser ablehnen. Ich bin nicht nur ein leidlich guter Schwertkämpfer, sondern besitze auch den „vernichtenden Blick“, wie du vermutlich weißt.“

      Vor dieser Fähigkeit der Eisgrafen, allein durch die Kraft ihres Willens das Gefüge von Gegenständen auflösen zu können, sodass sie zu Staub zerfielen, erzitterten die Menschen auf dem gesamten Kontinent.

      Doch der junge Mann schien völlig unbeeindruckt und entgegnete mit unveränderter Stimme: „Beides wäre gegen mich wirkungslos. Aber ich glaube, du verstehst mich nicht. Du bist nicht hier, weil ich dir drohen will, sondern weil ich dich warnen will.“

      „Und