Die Klinik am See Staffel 2 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 2 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740939724



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war sie gewesen. Zum ersten Mal hatte Ralf von einer Heirat gesprochen. Natürlich wußte sie jetzt, daß er es nur getan hatte, um sie zu beruhigen. Trotzdem, an diesem Tag war sie zum letzten Mal glücklich gewesen. Sie erinnerte sich daran, Ralf auf den Chefarzt der Klinik am See aufmerksam gemacht zu haben. Sie hatte viel über Dr. Lindau und seine Klinik gelesen gehabt und gehofft, dort ihr Kind zur Welt bringen zu können. Das war nun nicht mehr möglich. Sie würde nirgendwo ihr Kind zur Welt bringen können. Durch die Aufgabe ihres Berufes war sie nicht mehr krankenversichert, und Geld hatte sie auch nicht mehr. Heute morgen hatte sie ihr letztes Geld ausgegeben, sie hatte damit die Miete bezahlt. Daß diese zwei Monate nicht bezahlt worden war, hatte sie nicht einmal gewußt. Ralf hatte diese Wohnung für sie gemietet gehabt und er hatte sie auch bezahlt, bezahlt von ihrem Geld, wie sie jetzt wußte.

      Susanne lehnte sich zurück und schloß die Augen. Heiß brannte die Sonne auf ihr Gesicht. Heute früh hatte sie die Wohnung verlassen mit dem Vorsatz, nicht wieder dorthin zurückzukehren. Was sollte sie auch dort? Sie hatte kein Geld mehr und sie hatte auch keine Aussicht, etwas zu verdienen. In vier Wochen sollte ihr Kind kommen, in diesem Zustand würde ihr niemand mehr Arbeit geben. Sie sah keinen Ausweg, sie hatte beschlossen, ihrem Leben ein Ende zu bereiten.

      Langsam hob Susanne den Kopf. Ihr Blick fiel auf einen kleinen Jungen, ein sehr hübsches Kind. Von so einem Jungen hatte sie geträumt. Ihr Blick folgte dem Kleinen. Sie schätzte ihn auf höchstens zwei Jahre. Nun wunderte sie sich, daß sich seine Eltern nicht um ihn kümmerten. Sie hielt die Frau und den Mann, die in ihrer Nähe auf einer Bank saßen, die sie erst jetzt wahrnahm, für seine Eltern.

      Susannes Augen begannen nun doch zu brennen. So ein süßer Junge, doch er schien traurig zu sein. Wenn es ihr Kind wäre, sie würde es in die Arme nehmen und herzen und küssen. Sie sah, daß das Kind langsam dem Ufer zuging. Wohin wollte es denn? Warum merkte niemand, daß der Kleine wegging? Susanne sah zu der Bank hin. Der Mann sprach auf die Frau ein, dann wurde er zärtlicher, und schließlich küßte er die Frau. Dieser Anblick versetzte Susanne einen Stich in die Herzgegend. Ralf, er hatte so zärtlich sein können! So viele wunderschöne Worte hatte er ihr gesagt. Sie schloß die Augen. Als sie sie wieder öffnete, konnte sie den Kleinen nicht mehr sehen. Sie wandte den Kopf und da sah sie ihn. Er war nur noch wenige Schritte vom Ufer entfernt. Was hatte das Kind nur? Susanne vergaß ihren Kummer. Sie sah nur noch das Kind, dessen Gesichtsausdruck starr war. Und dann bemerkte sie plötzlich, daß ein Zucken durch den kleinen Körper lief. Das Kind bäumte sich auf, nein, es wurde von Krämpfen geschüttelt. Es war ein schrecklicher Anblick. Dieses kleine, hilflose Wesen! Susanne sprang auf, sie eilte zu dem Kind, dessen Mund geöffnet war. Es kam jedoch kein Ton heraus. Sie beugte sich zu dem Kleinen hinunter, da durchfuhr sie ein stechender Schmerz. Neben dem Jungen ging sie in die Knie. Es wurde rot vor ihren Augen, und sie hatte das Gefühl, als würde ein Messer ihr Inneres durchschneiden. Sie war sich dessen nicht bewußt, aber sie schrie.

      *

      »Was ist da geschehen?« Erschrocken fuhr Andy Seger herum. »Die Frau! Mit der Frau ist doch etwas nicht in Ordnung!« Er ließ die Hand seiner Begleiterin los. Etwas unwillig drehte diese sich um. Sie sonnte sich gern in der Bewunderung dieses jungen Bauernburschen.

      »Ich glaube, da ist etwas passiert!« Andy erhob sich.

      Seine Begleiterin schob die Unterlippe nach vorn. »Das geht uns doch nichts an!« Sie wollte nach Andys Arm greifen, da fiel ihr jedoch ein, daß sie nicht allein hier war. Erneut drehte sie den Kopf. »Wo ist Patrick?«

      »Wir haben Patrick ganz vergessen!« Andy war bestürzt. Er mochte den Zweijährigen, den Angela Wunter beaufsichtigte. »Dort, er ist neben der Frau!« Andy hatte Patrick entdeckt, und nun gab es für ihn kein Halten mehr. Er eilte zum Seeufer.

      Susanne Brühl war einer Ohnmacht nahe. Vergebens hatte sie versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Immer wieder durchfuhr eine Welle des Schmerzes ihren Körper. Das Gesicht des Kleinen, das dicht vor dem ihren war, verschwamm vor ihren Augen. »Mein Kind«, murmelte sie. Sie spürte das Blut, das ihr an den Beinen herunterrann.

      Andy sah auf die Frau hinunter und begriff, daß diese kurz vor der Niederkunft stand.

      »Angela, bitte kommen Sie! Wir müssen diese Frau auf dem schnellsten Weg in die Klinik bringen«, rief er. Er war sofort bereit zu handeln. Er beugte sich zu Susanne hinunter. »Sie müssen jetzt sehr tapfer sein«, sagte er. »Halten Sie sich an mir fest. Ich habe in der Nähe mein Auto stehen. Ich fahre Sie zur Klinik. Dort wird man Ihnen helfen.«

      Susanne riß die Augen auf. Sie versuchte klar zu denken. Was war nur geschehen? Sie wurde am Arm gefaßt und vorsichtig hochgezogen. »Geht es?« hörte sie die freundliche Stimme fragen.

      »Sie können sich ruhig an mir festhalten.«

      Susannes Beine waren wie aus Watte, der Boden unter ihr schien zu schwanken. Der Kleine fiel ihr ein. Mühsam hob sie die Hand und zeigte auf ihn.

      Angela Wunter war herangekommen, sie war ärgerlich. Der Flirt mit Andy war prickelnd gewesen. Bis über beide Ohren war er in sie verliebt, dieser Bauernjunge. Sie warf nur einen kurzen Blick auf Susanne, dann schlug sie vor: »Gleich in der Nähe ist eine Telefonzelle, rufen Sie einen Krankenwagen.«

      Susanne sank wieder in sich zusammen. Die Schmerzen waren unerträglich. Es ging aber nicht um sie, da war dieses kleine Kind. Sie hob den Kopf. »Gehört Ihnen das Kind?« fragte sie gepreßt.

      »Das geht Sie wohl nichts an«, meinte Angela. Mit einer arroganten Bewegung warf sie ihren Kopf in den Nacken.

      Susanne stöhnte. »Sehen Sie denn nicht, der Kleine! Irgend etwas stimmt nicht mit ihm!«

      Erst jetzt wandte Angela sich an Patrick. Sie fuhr das Kind an: »Warum bist du so weit weggelaufen? Ich habe dir doch gesagt, daß du in der Nähe bleiben mußt. Wenn du das noch einmal machst, denn nehme ich dich nicht mehr mit, wenn ich an den See gehe.«

      »Das Kind«, sagte Susanne noch einmal. Es war ihr gelungen, sich aufzurichten. Erneut zeigte sie auf den Jungen. Dieser hatte auf Angelas Worte überhaupt nicht reagiert. Seine Gesichtszüge waren starr, steif stand er da. Nun sah auch Andy auf den Kleinen und so bemerkte er, wie der kleine Körper zu zucken begann. Er wand sich in Krämpfen.

      »Patrick!« Andy packte den Kleinen an den Schultern. »Patrick, hörst du mich?« Er schüttelte ihn. Starr blieb Patricks Blick auf einen unsichtbaren Punkt gerichtet. »Angela, was ist los mit dem Kind?« fragte Andy sehr erschrocken.

      Angela zuckte die Achseln, dann fuhr sie Patrick erneut an: »Was soll der Unsinn? Hör auf damit!« Als Patrick noch immer nicht reagierte, rief sie empört: »Ich werde deinem Papi sagen, daß du ein sehr böser Junge bist.«

      »Nicht, Angela!« Andy nahm Patrick, der steif wie ein Brett war, auf den Arm. Im Gegensatz zu Angela begann er liebevoll auf ihn einzusprechen. Er mochte den Kleinen, der der Sohn des Hoteliers Frehner war. In letzter Zeit hatte er Angela, die im Haus des Hoteliers wohnte, oft auf ihren Spaziergängen mit Patrick begleitet. Angela betreute das Kind, da dessen Mutter kurz nach Patricks Geburt durch einen Autounfall ums Leben gekommen war.

      »Er ist oft ungezogen und eigensinnig«, klagte Angela, der noch immer nicht klar war, wie ernst die Situation war. »Ich habe es nicht leicht mit ihm.«

      »Das Kind ist krank«, stieß Susanne hervor. Das Sprechen fiel ihr schwer, vor ihren Augen tanzten Sterne. Sie stöhnte, versuchte sich auf den Beinen zu halten. »Das Kind gehört zu einem Arzt«, brachte sie unter großer Anstrengung hervor.

      »Sie haben recht!« Andy preßte die Lippen aufeinander. Patrick gefiel ihm ganz und gar nicht. Das Kind wurde zwar nicht mehr von Krämpfen geschüttelt, aber es hing nun apathisch in seinen Armen und war hochrot im Gesicht. »Ich bringe das Kind ins Krankenhaus, und Sie nehme ich gleich mit.«

      Angela drängte sich zwischen Andy und die Hochschwangere. »Das ist doch nicht nötig! Patrick hat sich wahrscheinlich erkältet. Ich fahre mit ihm nach Hause und stecke ihn ins Bett.« Sie nahm Patrick aus Andys Armen, dann warf sie einen verächtlichen Blick auf Susanne. »Für sie können Sie den Krankenwagen rufen. Ich begreife nicht, warum sie nicht schon längst in der Klinik ist!«

      Susanne