Die Klinik am See Staffel 2 – Arztroman. Britta Winckler

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Название Die Klinik am See Staffel 2 – Arztroman
Автор произведения Britta Winckler
Жанр Языкознание
Серия Die Klinik am See Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740939724



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»Lisa hat sich bereit erklärt, alle Schmerzen auf sich zu nehmen.«

      »Es ist eine Situation eingetreten, wo dies unmöglich ist. Sie müssen sich aber keine Sorgen machen. Wir tun nichts, womit wir dem Ungeborenen Schaden zufügen könnten. Ihre Frau bekommt keine Vollnarkose. Es wird nur eine Lumbalanästhesie vorgenommen. Ich muß Sie jetzt jedoch bitten, den Kreißsaal zu verlassen. Ich muß mich auf die Operation vorbereiten.« Dr. Lindau sah den Mann so fest an, daß dieser schließlich die Achseln zuckte und sich von der Schwester zur Tür bringen ließ. Raschen Schrittes ging der Chefarzt noch einmal in den angegliederten Waschraum. Mit der Hilfe von Schwester Bärbel zog er die Operationshaube über das Haar und legte die Maske vor, so daß man nur noch seine Augen sehen konnte. Dr. Hoff, der ihm gefolgt war, tat es ihm nach. Sie waren ein eingespieltes Team, und so bedurfte es zwischen ihnen kaum noch der Worte.

      Inzwischen war an der Patientin eine Lokalanästhesie vorgenommen worden. Sie wurde wieder in den Operationssaal gerollt. Aufmunternd nickte der Chefarzt ihr zu, dann streckte er die Hand nach der Pinzette aus. Nach wenigen Minuten hatte er sich davon überzeugt, daß seine Befürchtungen stimmten. Die Nabelschnur war bereits nach vorn gefallen, das Leben des Ungeborenen hing an einem seidenen Faden. Sie mußten sich beeilen! Doch zum Entsetzen der Ärzte reagierte die Patientin mit einem Schmerzenslaut, als sie mit der Pinzette berührt wurde. Vorsichtiger zupfte Dr. Lindau mit der Pinzette an der Haut der Gebärenden, wieder zuckte diese zusammen. Es gab keinen Zweifel, mit der Lumbalanästhesie hatte es nicht geklappt. Unter dem Mundschutz preßten sich die Lippen des Chefarztes aufeinander. Seine Augen verengten sich. »Holen Sie Dr. Reichel«, sagte er, dann beugte er sich wieder über den Operationstisch.

      Er mußte rasch eine Entscheidung treffen. Es blieb keine Zeit für lange Überlegungen. Drei Finger breit über der Schambeinfuge war die Patientin noch immer empfindlich. Er konnte so keine Sectio vornehmen. Aus den Augenwinkeln sah er, daß Dr. Reichel herangekommen war.

      »Das verstehe ich nicht! Ich habe das örtlich betäubende Mittel durch Lumbalpunktion in den lumbalen Rückenmarksack eingespritzt.«

      Kurz hob der Chefarzt den Blick. Es hatte keinen Sinn, weitere Fragen zu stellen. Er mußte handeln.

      »Wir müssen eine Vollnarkose machen«, sagte Dr. Hoff.

      Der Chefarzt schüttelte den Kopf. »Das ist viel zu gefährlich für das Ungeborene. Es muß eine andere Möglichkeit geben.«

      Lisa Burger stöhnte. Die Wehen hatten wieder eingesetzt, aber durch die Querlage bestand nicht die geringste Chance, das Kind herauszupressen. Der Chefarzt zögerte nicht länger. »Novocain«, stieß er hervor. Er hob den Kopf und sah Dr. Reichel an. »Die Haut für den Einschnitt muß mit Novocain betäubt werden. Bitte, Kollege, beeilen Sie sich!«

      »Aber…«

      Dr. Lindau machte eine abwehrende Handbewegung. »Ich muß es versuchen.« Leiser, nur noch für die Ärzte hörbar, fügte er hinzu: »Es kann sonst zu spät sein.«

      Während die örtliche Betäubung vorgenommen wurde, nahm Dr. Lindau der Schwester das Tuch aus der Hand und wischte Frau Burger selbst die Schweißtropfen von der Stirn.

      »Gleich ist es soweit. Sie müssen sich entspannen. Bitte, versuchen Sie es! Ich hole jetzt Ihr Kind. Sie können mir helfen, indem Sie versuchen, sich nicht zu verkrampfen.«

      Lisa Burger nickte. »Sie schaffen es, Herr Doktor«, flüsterte sie, dann schloß sie die Augen. Es tat gut, seine Hand zu spüren, die ihr das Haar aus der Stirn strich. Gleich würde er ihr helfen. Er würde ihr Baby holen, und es würde ein gesundes Kind sein. Sie vertraute ihm. Zu Hause hatten sie und ihr Mann bereits alles für das Kind vorbereitet. Sie würde eine gute Mutter sein. Sie malte sich das zukünftige Leben zu dritt in den schönsten Farben aus. Darüber vergaß sie ihre Schmerzen.

      Inzwischen arbeitete Dr. Lindau zügig. Er brauchte nur die Hand auszustrecken, und schon wurde ihm das gewünschte Instrument hineingelegt. Bald stellte er fest, daß es nicht einfach war, an die Gebärmutter heranzukommen. Der Bauch war voller Verwachsungen, und die Gebärmutter saß fest an der Bauchdecke. Er ließ sich dadurch jedoch nicht irritieren. Sorgfältig setzte er Schnitt um Schnitt. Trotzdem konnte er nicht verhindern, daß Lisa Burger stark zu bluten anfing. Kurz hielt Dr. Lindau inne. Nun mußte er sich von der Schwester den Schweiß von der Stirn tupfen lassen, der sich am Rand der Arzthaube gebildet hatte.

      Es war eine schwierige Sectio, und sie dauerte länger als erwartet. Dankbar nickte Dr. Lindau dem Kollegen Hoff zu.

      Er war froh, daß dieser ihm assistierte. Und dann war es geschafft, das Kind konnte herausgeholt werden. Ein paar bange Sekunden, dann der erste Schrei. Frau Burger öffnete die Augen, sie lächelte.

      *

      Dr. Astrid Mertens ging durch die Kinderstation, die sie zusammen mit ihrem Mann leitete. Sie wurde von den Schwestern freundlich gegrüßt und dies nicht nur, weil sie die Tochter des Chefarztes war. Inzwischen wußte jeder, daß sie eine sehr gute Ärztin war und mit Kindern ausgezeichnet umgehen konnte. Sie war bei allen sehr beliebt. Astrid, jung verheiratet, suchte nach ihrem Mann, der Sonntagsdienst hatte. Da sie ihn nicht fand, steckte sie den Kopf in das Zimmer, in dem der kleine Florian lag.

      »Tante Doktor«, rief dieser begeistert. »Ich habe gewußt, daß du kommst, auch wenn du es mir nicht versprochen hast.« Er versuchte, sich aufzusetzen.

      »Flori, du mußt liegen bleiben«, mahnte die Kinderärztin sofort.

      »Wenn du da bist, dann habe ich überhaupt keine Schmerzen«, versicherte der Kleine, aber da war Astrid schon bei ihm und drückte ihn mit sanfter Gewalt ins Kissen zurück. »Wenn du nicht liegen bleibst, dann gehe ich sofort wieder.«

      »Und wenn ich liegen bleibe, dann bleibst du?« Die Kinderaugen wurden groß und bittend.

      Astrid konnte nicht anders, sie nickte. Gleich darauf schränkte sie aber ein: »Flori, ich kann aber nicht lange bleiben.« Liebevoll strich sie ihm durch das Haar. »Ich habe dir doch gesagt, daß ich heute keinen Dienst habe.«

      »Du meinst, du mußt heute nicht im Krankenhaus sein?« Flori, er hatte erst vorigen Monat seinen fünften Geburtstag gefeiert, lächelte. »Um so toller, daß du da bist!«

      Astrid fand es schön, daß er lächelte. Sie wußte aber auch, daß er dies nur in ihrer Gegenwart tat. Die ersten Tage, nachdem er hier eingeliefert worden war, war er völlig teilnahmslos gewesen. Sie zog einen Stuhl dicht an sein Bett heran und setzte sich. »Hast du brav zu Mittag gegessen?« fragte sie.

      Florian verzog das Gesicht und antwortete nicht. Astrids Miene wurde besorgt. »Du hast wieder einmal nichts gegessen. Hat es dir denn nicht geschmeckt?«

      »Ich hatte keinen Hunger.«

      Astrid konnte nicht anders, sie seufzte. Da streckte Florian seine Hand aus und berührte sie. »Bist du nun böse, Tante Doktor?«

      »Nicht böse, nur traurig.« Astrid beugte sich über den Kleinen. »Du mußt essen, Flori! Auch wenn dir der Bauch weh tut oder du keinen Hunger hast, dann mußt du dich zum Essen zwingen.«

      Florian schob die Unterlippe nach vorn. »Warum?« fragte er.

      »Weil man essen muß! Ich habe heute in einem Restaurant gegessen. Weißt du, was ich am liebsten esse?« Astrid begann einfach einige Speisen aufzuzählen. Dann fragte sie: »Was ißt du gern?«

      »Eis! Papi hat…« Flori brach ab, er drehte sein Gesicht zur Seite. Astrid tat, als bemerkte sie es nicht.

      »Eis gibt es nur zum Nachtisch«, meinte sie bewußt munter. »Eis oder Pudding! Ich mag Eis und ich mag Pudding, eine Entscheidung würde mir schwerfallen.«

      »Ich würde das Eis nehmen.« Flori sagte es spontan. »Eis schmeckt wirklich sehr gut, besonders Erdbeereis. Es muß ganz rot sein.«

      »Erdbeereis zum Nachtisch!« Astrid tat, als würde sie überlegen. »Soll ich die Schwester fragen, ob sie Erdbeereis hat?«

      Florian wandte sich ihr wieder zu. »Gibt es hier auch Erdbeereis?«

      »Wenn