Название | Krokodile |
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Автор произведения | Angie Volk |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783455011517 |
Luc stutzte. Sie hatte etwas gesagt, das auch ihm gelegentlich über die Lippen kam. Diese Wendung aus ihrem Mund. Er erinnerte sich oft an Momente, an Augenblicke, bei denen sich seine Stimmung oder seine Sicht auf die Welt so änderte, dass auf einmal alles gut war. Und jetzt sagte diese hübsche Frau genau diese Worte. Luc sah kurz zu ihr hinüber, erstaunt und still. Sie schaute ihn aus ihren braunen Augen an, dann blickte sie wieder nach vorn.
Luc war überfordert von der Nähe, die so plötzlich zwischen ihnen entstanden war – und gleichzeitig war er überfordert damit, überfordert zu sein. Er wechselte rasch das Thema.
»Wie ist eigentlich Hugo Pannetier so? Er wirkt sehr cool.«
»Das ist er. Ein ruhiger Typ, aber sehr sympathisch. Etxeberria versucht, glaube ich, ihn auf seine Seite zu ziehen. Aber auch wenn Hugo eben mit ihm mitgefahren ist – instrumentalisieren lässt er sich nicht.«
»Das ist gut. Da sind wir, Mademoiselle, willkommen in Brach.«
Als Verlain aussteigen wollte, hielt Anouk ihn am Arm fest: »Ah, Luc … Nennen Sie mich Anouk.«
Verlain drehte sich zu ihr um. »Gern, Anouk.«
Er spürte ihre Berührung noch, als er schon längst auf der Straße von Brach stand.
Kapitel 3
Die Werkstatt lag am Ortsrand, direkt am Kreisverkehr, der nach Bordeaux, Lacanau und Carcans führte. Sie war umgeben von flachen Häusern aus grauem Beton, bei fast allen waren die Dächer schief und die Fensterläden – früher blau oder rot gestrichen – verblichen, der Lack blätterte ab. Es war ein trostloser Ort. Neben der Werkstatt lag das Wohnhaus der Familie Derval. Etxeberria und Hugo saßen noch im Wagen und stiegen aus, als sie die Kollegen erblickten.
Luc und Etxeberria traten an die Tür und klingelten. Eine dünne Frau öffnete nach wenigen Augenblicken. Sie trug eine Schürze. Ihre weißen Arme verrieten, dass sie sehr selten die Sonne sahen. Ihre blauen Augen lagen tief in den Höhlen. Früher musste ihr Haar einmal blond gewesen sein, jetzt zeigte es nur noch eine fahle Farblosigkeit.
»Ja, bitte?«, fragte sie.
»Sind Sie Madame Derval?«, fragte Etxeberria.
»Ja, Sandrine Derval. Was wollen Sie?«
»Dürfen wir reinkommen, Madame? Wir sind von der Brigade Criminelle in Bordeaux.«
»Natürlich. Aber was wollen Sie denn? Hat Caroline etwas ausgefressen?« Dabei machte sie einen Schritt zur Seite und die Beamten traten in den kahlen, dunklen Flur.
»Nein, Madame«, sagte Etxeberria.
Er sah die Frau an und begann mit der bittersten Aufgabe, die zum Beruf des Polizisten gehörte. »Es ist etwas Schreckliches passiert«, sagte er und wartete kurz. »Caroline wurde am Strand gefunden …«
Madame Dervals Augen weiteten sich. »Ist sie verletzt? Geht es ihr gut?«
Luc schwieg und senkte den Blick. Dann sagte er: »Es tut uns leid. Caroline ist tot.«
Die Mutter schwankte, Luc wollte ihr zur Seite eilen, aber sie konnte sich gerade noch fangen und sank in einen Sessel. Dort saß sie starr und hielt die Fäuste geballt.
»Aber … wie?« Sie beugte sich vor. »Ein Badeunfall? Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht so weit rausschwimmen soll.«
Etxeberria atmete schwer und fuhr fort. »Nein, Madame, Ihre Tochter wurde ermordet. Wir wissen noch nicht, warum. Und wir wissen auch nicht, wer es getan hat.«
»Ermordet? Wer hat Caro ermordet, sie war doch … das kann nicht sein.«
Ihre zu Fäusten geballten Hände zitterten. Immer wieder schüttelte sie den Kopf und starrte auf den schmutzigen Teppichboden. Sie schaffte es nicht mal zu weinen, stand noch zu sehr unter Schock.
»Madame, können wir Ihnen ein paar Fragen stellen?«
»Ja, aber … Ja, fragen Sie.«
»Wo ist denn Ihr Mann? Wir würden gerne auch mit ihm sprechen.«
»Er ist gerade mit den Kollegen in Listrac-Médoc, sie schauen sich einen Unfallschaden an. Er sollte aber jeden Augenblick zurückkommen.«
»Dann reden wir nachher mit ihm. Wann haben Sie Ihre Tochter zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern Abend. Sie war den ganzen Tag und die letzte Nacht unterwegs und kam abends kurz vorbei, um sich fertigzumachen, bevor sie mit Freunden zum Strandfest nach Lacanau gegangen ist.«
Luc hakte nach: »Welche Freunde? Kennen Sie ihre Namen?«
»Ihre beste Freundin ist aus Lacanau. Sie heißt Anne-Françoise Dupuy und wohnt in der Rue du Moulin.«
»Und wer war noch dabei?«
»Ich weiß ihre Namen nicht. Caro kannte sie nicht aus der Schule, und sie haben sich nur selten hier getroffen. Ich kenne nur Anne-Françoise.«
»Hatte sie irgendwelche männlichen Freunde?«
Bisher hatte sich Madame Derval gut geschlagen, aber nun nahm die Trauer überhand. Hemmungslos begann die Frau zu schluchzen. Ihre Augen färbten sich rot, und Tränen liefen ihre Wangen herunter.
»Meine Caro, meine Caro«, schluchzte sie. »Nein, ich weiß es nicht, ich möchte … kann ich jetzt allein sein?«
Luc reagierte sofort: »Natürlich, Madame Derval. Wenn Sie Caro noch mal sehen möchten, holt Sie später ein Kollege ab, um Sie in die Gerichtsmedizin zu bringen. Wir haben einen Seelsorger aus der katholischen Gemeinde in Carcans bestellt, vielleicht möchten Sie mit ihm sprechen. Wann kommt Ihr Mann denn wieder?«
»Er … es ist schon nach zwei. Vielleicht ist er schon wieder in der Werkstatt.« Draußen war vor ein paar Minuten ein Wagen vorgefahren, durch die dünnen Fenster des Wohnzimmers war er deutlich zu hören gewesen. Sie wollte noch etwas hinzufügen: »Er ist übrigens nicht Caros leiblicher Vater. Ihr Vater ist vor zehn Jahren gestorben.« Sie schluchzte wieder.
Sie standen auf. Luc ging zu der Frau und legte ihr die Hand auf die Schulter. Wie so oft in solchen Situationen suchte er vergeblich nach den richtigen Worten.
Aus der Werkstatt schallte Radio NRJ. Männerstimmen waren zu hören. Die Beamten öffneten die Tür. Drei Männer standen an der Hebebühne unter einem Citroën AX und schauten erwartungsvoll nach oben.
»Monsieur Derval?«
Ein massiger Mann mit Halbglatze wandte sich den Beamten zu und baute sich vor ihnen auf. Er zog die Mundwinkel hoch, als wollte er lächeln, aber es gelang ihm nicht recht. »Ja, wer stört?«
»Wir sind von der Police Nationale in Bordeaux. Können wir mit Ihnen sprechen?«, antwortete Etxeberria.
»Die flics wollen mit mir sprechen? Sieh an. Aber wenn hier mal wieder die Neger einbrechen, kommt keiner, auch wenn ich zehn Mal anrufe.« Er drehte sich um und schlurfte zu einer Tür in der Ecke der Werkstatt, die offenbar zu einer Art Büro führte. Luc und der Baske folgten ihm unaufgefordert.
Es war ein schäbiges Zimmer. Durch eine ölverschmierte Scheibe konnte man die Mitarbeiter an der Hebebühne bei der Arbeit beobachten. An der Wand hing ein Poster mit einer großbusigen Blonden. Daneben etwas kleiner der Kalender vom Front National, der rechtsextremen Partei, die Luc so verabscheute.
Derval ließ sich in einen abgenutzten schwarzen Ledersessel fallen. »Und? Was gibt’s? Bin ich zu schnell gefahren?« Er wollte eigentlich über seinen dünnen Witz lachen, aber es kam nur ein heiseres Schnauben aus seinem Hals.
»Monsieur Derval«, begann diesmal Luc, »wir haben eine schreckliche Nachricht für Sie. Es geht um Ihre Stieftocher.«
Der Mann stutzte. Auf einmal war er hellwach und schaute zwischen den Beamten hin und her. »Was ist mit Caro?«
»Sie ist tot, sie ist heute Morgen