Krokodile. Angie Volk

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Название Krokodile
Автор произведения Angie Volk
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783455011517



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Frage stellen wollen.

      »Nein, das glaube ich nicht. Das hätte sie mir erzählt. Und gestern Abend war alles gut. Sie wirkte beim Dorffest wieder sehr gelöst. So, als wäre das Problem verschwunden. Sie lachte und sprach von ihrer Zukunft. Und von einem Mann. Dass er der Mann ist, der ihr Leben verändern könnte. Ich glaube, es ist der gleiche wie vor zwei Monaten. Sie hat wieder etwas von einer Reise erzählt, die die beiden geplant hatten.«

      Verlain war gespannt. »Wohin wollten sie fahren?«

      »Er wollte sie nach Cannes entführen, mit allem Luxus. Übernachten an der Croisette. Das ist für ein Mädchen von hier ein Traum.«

      »Dieser mysteriöse Liebhaber scheint ja wirklich Geld zu haben«, sagte Verlain.

      »Ja, das war ihr wichtig«, sagte Anne-Françoise. »Aber er muss auch gut aussehen, das war ihr fast noch wichtiger.«

      Verlain wartete einen Moment. »Fällt Ihnen noch irgendetwas ein zu dem Mann? Es könnte alles wichtig sein.«

      Anne-Françoise überlegte. »Er war nicht von hier, das habe ich ja schon gesagt. Sie war immer in Etappen glücklich, sozusagen. Also denke ich, dass sie sich immer gefreut hat, wenn er hier war. Er hat immer in irgendeinem Hotel geschlafen, und sie war dann nachts oft bei ihm. Ich weiß aber leider nicht, in welchem.«

      Anouk und Luc nickten beruhigend, denn Anne-Françoises Stimme war leiser geworden, zitterte, so als wäre ihre Leidensfähigkeit für heute aufgebraucht. Als würde der Schock um den Mord an ihrer besten Freundin nun bei ihr angekommen sein. Beide merkten, dass das Mädchen genug hatte.

      »Wir danken Ihnen. Wenn Ihnen noch irgendwas einfällt, rufen Sie uns an?«

      Anne-Françoise nickte. Anouk gab ihr eine Visitenkarte vom Commissariat, und sie verließen ihr Zimmer.

      »Monsieur?«

      Luc drehte sich um. »Ja, Mademoiselle?«

      »Können Sie mich anrufen, wenn Sie wissen, ob sie leiden musste? Ich möchte nicht alles über ihren Tod aus der Zeitung erfahren.«

      Verlain nickte. »Natürlich, ich melde mich, sobald ich das Ergebnis der Rechtsmedizin habe.«

      Verlain wusste, dass er das nicht durfte, aber er wollte für dieses kluge, tapfere Mädchen gerne eine Ausnahme machen.

      Auf dem Weg nach Bordeaux schwiegen sie und hingen ihren Gedanken nach. Nach einigen Kilometern erklangen in der Ferne Polizeisirenen, dann kamen ihnen zwei Mannschaftswagen der Sondereinheit CRS entgegen und rasten an ihnen vorbei. Merkwürdig, dachte Luc und sah den Wagen im Rückspiegel nach. Die Sondereinheit hier in der ruhigen Gegend? Hatte das etwas mit ihrem Fall zu tun? Er verwarf den Gedanken wieder. Nach ein paar Minuten durchbrach er die Stille.

      »Ein kluges Mädchen.«

      »Sie wirkte so furchtbar erwachsen«, entgegnete Anouk, die scheinbar das Gleiche gedacht hatte. »Und diese schreckliche Nachricht macht sie leider noch erwachsener.«

      Luc nickte. »Hat sie alles gesagt, was sie über den Typen weiß?«

      »Ich glaube schon«, sagte Anouk und bestätigte damit Lucs Eindruck. »Aber was ich spannender finde, ist, dass sie Hakim für unschuldig hält. Sie waren immerhin einige Jahre zusammen auf der Schule, da lernt man sich gut kennen. Und diesem Mädchen traue ich zu, ihn einschätzen zu können.«

      »Und auch da glauben wir ihr, oder?«

      »Warten wir mal die Vernehmung ab, aber ich glaube auch nicht, dass er es war.«

      Luc nickte. »Wir müssen den geheimen Freund des Mädchens finden, bevor er untertaucht.«

      Anouks Handy klingelte.

      »Filipetti? Ja …?« Anouk hörte zu. »Ja, gut. Verstehe. Danke, Hugo.« Sie legte auf. »Madame Derval hat die Leiche identifiziert. Es ist Caroline.«

      Luc nickte wieder.

      Kapitel 5

      Das Universitätskrankenhaus von Bordeaux lag im Westen der Stadt, ein moderner Kasten in bunten Farben. Am Rande des Campus befand sich das alte Gebäude der Pathologie. Die Treppe zur Gerichtsmedizin war steil, und aus dem Keller schlug Anouk und Luc der Geruch von Desinfektionsmitteln entgegen. Der junge Gerichtsmediziner vom Tatort kam lächelnd auf sie zu, doch als er vor ihnen stand, hatte er nur noch Augen für Anouk. Der flirtet mit ihr, dachte Luc. In der Gerichtsmedizin, verrückt.

      »Die Leiche von Caroline Derval …«, begann der Mann. »Wollen wir mal sehen. Viel habe ich noch nicht. Aber gehen wir mal rüber, Mademoiselle.«

      Er nahm Anouk an seine Seite und führte sie in den Sektionssaal. Luc ließ den Gockel gewähren und folgte den beiden unaufgefordert. Auf einem Tisch lag Carolines Leiche, bedeckt mit einem Tuch. Luc fühlte sich in dieser Situation immer unwohl.

      »Also, was haben wir? Sie ist erschlagen worden, das habe ich ja vorhin schon gesagt. Ich schätze, es war nicht um Mitternacht, sondern ein bisschen später, so gegen halb eins oder eins. Es war ein stumpfer Gegenstand.« Mittlerweile hatte der Gerichtsmediziner das Tuch umgeschlagen und zeigte auf die Wunde. »Es könnte ein Stein gewesen sein oder irgendetwas in dieser Gewichtsklasse.«

      Verlain versuchte, nicht hinzusehen, als der Gerichtsmediziner das Tuch ganz beiseitelegte.

      »Wurde sie vergewaltigt oder missbraucht?«

      »Nein, sie wurde nicht vergewaltigt. Aber sie hatte Geschlechtsverkehr, kurz vor dem Tod. Doch keine Spur von Missbrauch, keine inneren Verletzungen. Sie hat sich nicht gewehrt. Wir haben auch Spermaspuren gefunden und lassen sie gerade durch die DNA-Datenbank laufen. Vielleicht war es ein Einschlägiger.«

      Luc wandte sich Anouk zu. »Einvernehmlich. Kann also heißen, dass sie Sex mit ihrem geheimen Liebhaber hatte, der sie danach getötet hat.«

      Anouk nickte. »Könnte sein … Merci«, sagte Anouk dann an den Gerichtsmediziner gewandt, der sie immer noch unverhohlen angrinste.

      Anouk legte ihre Hand auf Lucs Schulter und schob ihn in Richtung Ausgang. Schnell verließen sie das kalte Gemäuer. Luc fröstelte. Er wollte diesen Ort, wo das junge Mädchen unter den blassen Neonleuchten lag, so schnell wie möglich hinter sich lassen, und Anouk schien es ganz ähnlich zu gehen.

      Sie traten hinaus ins Licht des frühen Abends und atmeten tief durch. Langsam wurden die Schatten länger, aber es war immer noch angenehm warm. Gerade war es sechs geworden, bis elf war es hier noch hell, mindestens eine halbe Stunde länger als in Paris. Dort eilten die Menschen jetzt aus den Büros. In Richtung Bars im sechsten Arrondissement. In Richtung Apéro. In Richtung Abendunterhaltung. Auch Lucs beste Freunde. Und seine Freundin. Und er musste immer noch arbeiten. Im Aquitaine. So weit weg von zu Hause. Auch Luc wurde langsam von Hunger geplagt. Es war ein stressiger erster Tag gewesen. Viel stressiger, als er erwartet hatte, als er am Morgen in Paris losgefahren war.

      »Wollen wir nachher noch was essen gehen?« Bevor Luc sich ein Herz fassen konnte, hatte Anouk die Chance ergriffen, ihn zu fragen.

      »Sehr gerne«, er lächelte Anouk an. Luc wunderte sich über sich selbst – darüber, dass er so schnell Vertrauen fasste zu dieser Frau, dass er so gerne Zeit mit ihr verbringen wollte, und darüber, wie wenig erschöpft er nach diesem langen Tag war und wie sehr er sich auf den Abend mit Anouk freute. Was er heute aber wirklich nicht mehr schaffte, war, im Krankenhaus vorbeizuschauen. Er beschloss, den Besuch bei seinem alten Herrn auf den nächsten Tag zu verschieben.

      »Erst schnell ins Commissariat, dann zu den Dervals, und dann trinken wir den Stress des heutigen Tages weg, okay?«

      Anouk lachte. »So machen wir’s.«

      Auf dem Weg rief Anouk die beste Freundin des toten Mädchens an. Schließlich hatten sie Anne-Françoise versprochen, sie zu informieren, sobald neue Erkenntnisse vorlagen. Anouk erklärte ihr, dass Caro nicht vergewaltigt worden war. Die anderen Einzelheiten verschwieg sie ihr.

      Im Hof des Commissariats standen