Krokodile. Angie Volk

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Название Krokodile
Автор произведения Angie Volk
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783455011517



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in der Pariser Préfecture de Police, die für die Ewigkeit gebaut zu sein schien – als steinernes Monument der Macht der République. Luc fuhr in die zweite Etage, und ehe er den Fahrstuhl verließ, tönte es vom Ende des Flures: »Verlain. Bienvenue! Ich habe Sie schon aus dem Fenster gesehen.«

      Der alte Mann, zu dem die freundliche Stimme gehörte, eilte auf ihn zu, die eine Hand ausgestreckt, in der anderen wedelte er mit einer Zeitung. Luc erkannte ihn erst auf den zweiten Blick. Divisionsleiter Preud’homme war alt geworden. Er sah ein wenig müde aus, war aber immer noch ein attraktiver Mann. Grauer Anzug, gepunktete lilafarbene Fliege, etwas längere graue gewellte Haare.

      »Guten Tag, Monsieur«, sagte Luc. »Es ist schön, wieder hier zu sein. Und es ist schön, dass gerade wir beide uns wiedersehen.«

      »Ich freue mich auch, meinen besten Schüler wieder an meiner Seite zu haben. Auch wenn die Umstände …« Der alte Mann schluckte. »Wie geht es Ihrem Vater?«

      Verlain hielt dem fragenden Blick stand. »Nicht gut. Es ist schwer für ihn, ans Bett gefesselt zu sein. Ausgerechnet er, der sein ganzes Leben draußen verbracht hat. Im Krankenhaus versucht man alles, um ihm zu helfen. Aber die Schmerzen sind schier unerträglich, wenn er wieder einen Schub hat. Ich will einfach bei ihm sein. Danke, dass Sie so schnell eine Stelle für mich freigemacht haben.«

      Preud’homme nickte. »Dann hoffe ich sehr, dass Sie lange bei uns bleiben. Die Regionalzeitung weiß jedenfalls schon Bescheid«, sagte er und reichte Luc eine Ausgabe der Sud Ouest. In breiten Lettern prangte auf der Titelseite »Erfolgsbulle aus Paris – ab sofort in Bordeaux«, darunter ein Foto und eine Auflistung seiner größten Erfolge bei der Pariser Mordkommission.

      »Oh, mein Gott«, stöhnte Luc. »Das hatte ich nicht erwartet.« Jetzt wusste wirklich jeder, dass er wieder hier war – und dieses öffentliche Aufheben um seine Person war ihm furchtbar unangenehm. Er ermittelte lieber unter dem Radar der Presse.

      Doch Preud’homme war voller Freude. »Lorbeeren, die Sie sich verdient haben. Ich erinnere mich noch, als wir zusammen ermittelt haben, wissen Sie noch? Ich war damals …«

      Preud’homme stockte, Luc half ihm auf die Sprünge: »Sie waren Commissaire divisionnaire, wie ich jetzt.«

      Der alte Mann unterbrach ihn sofort wieder: »Genau, und Sie kamen gerade frisch von der Polizeischule. Was hatten wir damals? War das nicht dieses Eifersuchtsdrama draußen in Margaux? Wir dachten alle, dass irgendwelche Diebe in die Villa eingebrochen sind, aber Sie hatten sofort die richtige Spur. Der raffinierte Familienvater hatte eine falsche Fährte gelegt. Als Sie das erkannt hatten, Verlain, da wusste ich, dass ich Sie hier nicht lange würde halten können. Und so kam es auch, anderthalb Jahre später verlor ich meinen besten Schüler.«

      Luc war das Lob seines alten und neuen Chefs unangenehm, er senkte den Kopf und hob ihn erst wieder, als Preud’homme ihn an der Schulter fasste und sagte: »Es hat sich übrigens nicht viel verändert hier, seit damals. Bei uns gibt es Erbschleicher in den Weinbergen, ein paar Schlägereien am Surfstrand und Taschendiebstähle im Centre Ville. Aber mit Mord und Totschlag werden wir Ihnen nicht oft dienen können, Commissaire.« Preud’homme musste kurz lachen. »Hier geht es ein bisschen provinzieller zu als in Paris. Sie werden also auch mal zu einem Einbruch rausmüssen. Aber Sie haben ein tolles Team. Kommen Sie. Ich stelle es Ihnen vor.«

      Preud’homme nahm Verlain an seine Seite und ging langsam den Flur entlang bis zu einer großen weißen Tür. Brigade criminelle Aquitaine stand auf dem Schild. Hier also saß die Sondereinheit für alle Kapitalverbrechen in der Region Aquitaine. Das Ermittlungsgebiet war riesig: Neben den Städten Bordeaux und Arcachon gehörten auch die schönsten Weinregionen der Welt dazu – das Médoc, das Pomerol, Saint-Émilion. Und dann lagen hier rund um Arcachon auch noch die größten Austernbänke und in den Départements Gironde und Landes die längsten Sandstrände Frankreichs. Bei schwierigen Fällen wurden sie auch von der Polizei von La Rochelle im Norden hinzugezogen, oder von den Kollegen in Biarritz oder Bayonne ganz unten im Baskenland an der spanischen Grenze. Strände, Weinberge, Gemüsefelder, entspannte Landbewohner – verbrechensmäßig war es hier nicht gerade Detroit, sondern eher Malibu. Ruhig und beschaulich.

      Preud’homme öffnete die Tür. Die Möbel in dem großen Raum waren aus billigem braunen Holz, an der Decke hingen Neonlampen, und die riesigen Fenster hätten durchaus mal wieder geputzt werden können. Aber Luc wusste: Das Budget der Polizei war knapp, und die Zeit war es ebenso, in diesen unruhigen Tagen in Frankreich. Erleichtert stellte er fest, dass wenigstens die Computer neu waren. Er hoffte, dass sie eine Verbindung zum französischen Netzwerk hatten. So konnte er mit den Pariser Kollegen über Videotelefonie kommunizieren und ab und an vertraute Gesichter sehen.

      »Liebe Kollegin, liebe Kollegen«, begann Preud’homme feierlich, »das ist Commissaire Luc Verlain aus Paris. Ich muss ihn Ihnen ja nicht vorstellen. Er ist einer meiner ältesten Schüler. Commissaire, das ist Commandante Anouk Filipetti.«

      Luc Verlain wendete sich ihr zu, und sofort trafen sich ihre Blicke. Anouk hatte lange dunkelbraune Haare und funkelnde braune Augen – sie hatte etwas unglaublich Edles an sich, das gar nicht in dieses verstaubte Büro passte. Sie war wohlgebräunt von der atlantischen Sonne, trug eine Jeans, Lederstiefel und eine schwarze Steppweste über einem weißen Shirt. Sportlich und trotzdem schick. Sie hätte durchaus auch ein Gast in seiner Lieblingsweinbar Le Rubis in Paris sein können, einer der hübscheren Gäste, versteht sich.

      Anouk reichte ihm die Hand. »Willkommen am Ende der Welt.«

      Sie lachten sich an.

      Preud’homme unterbrach sie. »Das ist Brigadier Hugo Pannetier.«

      »Bonjour Monsieur le Commissaire«, sagte der junge Mann.

      Er war stämmig gebaut, hatte kurze blonde Haare, die aussahen wie weicher Flaum, war blass und hatte gerötete Wangen. Er hatte ein gutmütiges Gesicht, doch Luc hatte sich über seine neue Abteilung informiert und wusste, dass er sehr lange in einer Sondereinheit der CRS gedient hatte, der Spezialpolizei. Und diese Jungs waren harte Kerle mit Muskeln an den richtigen Stellen. Der gutmütige Eindruck konnte also durchaus täuschen.

      Preud’homme wollte noch den dritten im Bunde vorstellen, dessen großer Schreibtisch ganz hinten am Fenster stand. Bis eben hatte er dort gesessen, aber nun stand der Mann auf und marschierte schnurstracks und erhobenen Hauptes auf Luc zu, um selber das Wort zu ergreifen.

      »Ich bin Commissaire Etxeberria. Das schreibt man mit ›x‹, spricht es aber mit ›sch‹.«

      Vielen Dank für die Transkription, dachte Luc. Er hatte auf der Polizeischule genug mit baskischen Terroristen zu tun gehabt und ihre komische Sprache ein wenig gelernt. Doch der Kommissar fuhr in schneidendem Ton fort: »Wir sind gleichberechtigte Leiter dieser Abteilung. Ich habe erst letzte Woche erfahren, dass Sie kommen.«

      Verlain bemerkte, wie Anouk sich genervt abwandte. Offenbar hatte es im Vorfeld hitzige Diskussionen gegeben. Auch über seinen gleichgestellten Kollegen hatte Luc schon einiges gelesen, sich aber lieber erst mal selbst ein Bild machen wollen, statt vorschnell ein Urteil zu fällen. Er musterte den anderen Commissaire, der – wie neben seinem Namen auch sein Äußeres verriet – ganz klar ein Baske war. Etxeberria hatte einen ungepflegten Sechs-Tage-Bart, trug eine abgewetzte braune Lederjacke und Cowboystiefel, seine schwarzen Haare hingen strähnig herab. Der Oberlippenbart war braun vom Tabak, die roten Risse auf seinen Wangen wiesen auf nicht wenig Rotwein hin. Der Commissaire hatte einen nervösen Tick. Sein linkes Auge zuckte, alle paar Sekunden krampfte sich das Lid zusammen und öffnete sich wieder. Luc bemühte sich, nicht die ganze Zeit dort hinzuschauen. Man konnte erahnen, dass der Baske mal gut ausgesehen haben musste. Aber jetzt wirkte es eher, als habe er in einem schlechten Buch nachgelesen, wie der Prototyp des Bad Cops aussieht, und sich dann entsprechend verkleidet. Augenscheinlich war Etxeberria gar nicht wohl dabei, einen hochdekorierten Commissaire vor die Nase gesetzt zu bekommen. Viel Ruhm war hier im Aquitaine ohnehin nicht zu ernten, mit Luc im Büro wohl in Zukunft noch weniger.

      Etxeberria fuhr fort: »Ich erwarte eine gute Zusammenarbeit und bitte Sie, alles mit mir abzusprechen. Wir sind ein Team, und das wollen wir auch bleiben.«