Krokodile. Angie Volk

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Название Krokodile
Автор произведения Angie Volk
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783455011517



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Verlain zur Seite und führte ihn aus dem Büro.

      »Ich sehe Sie alle nachher«, rief Luc im Weggehen.

      Gemeinsam gingen sie ins Büro von Inspecteur Général Preud’homme im unteren Stockwerk. Die ältere Frau im Vorzimmer grüßte freundlich. Sie war schon ewig an der Seite von Preud’homme und gehörte quasi zum Inventar der Polizei von Bordeaux. Er hatte sie wohl schon in den Achtzigern aus seiner Heimat in Lille mit hierhergebracht. Im Büro des Inspecteurs war es sehr ordentlich, und hier waren auch die Fenster sauber. Luc wartete, bis Preud’homme in seinem imposanten Ledersessel Platz genommen hatte, und setzte sich dann selber.

      »Tut mir leid, aber Etxeberria ist nicht zu bremsen. Er nimmt es persönlich, dass wir für Sie keine neue Abteilung aufgemacht haben. Aber ich brauche nur ein Team für Kapitalverbrechen. So viel passiert hier nicht. Und als der Anruf aus Paris kam, dass Sie auf Zeit hierher versetzt werden müssen, dachte ich, dass Sie zusammenarbeiten könnten. Er ist damit nicht einverstanden, aber nehmen Sie es ihm nicht übel, er ist wirklich ein guter Polizist.«

      Verlain nickte. »Wir kriegen das hin, Inspecteur.«

      »Das werden Sie. Und Ihr Team ist eine klasse Einheit: Pannetier kommt aus einer alteingesessenen Familie und ist hier in der Gegend tief verwurzelt. Ein fähiger junger Beamter, ein guter Schütze und sehr sportlich – auch, wenn man das nicht auf den ersten Blick sieht.«

      Luc verkniff sich ein Grinsen, doch sogar der alte Preud’homme lachte schelmisch. Er hatte einen wunderbaren jugendlichen Charme.

      »Pannetier wird nie von hier weggehen, glaube ich. Er ist verheiratet, hat zwei Kinder und draußen in Bègles ein kleines Häuschen gebaut.«

      Verlain nickte und schaute aus dem Fenster. Bègles war eine Vorstadt von Bordeaux, im Süden an der Garonne gelegen.

      Preud’homme fuhr fort: »Mademoiselle Filipetti hat die Akademie mit Auszeichnung bestanden und wartet auf ihre Beförderung. Dann wird sie wohl weggehen, weil hier zu wenig Herausforderungen auf sie warten.«

      »Sie ist eine bemerkenswerte Frau, oder?«

      Preud’homme lächelte, aber es wurde fast ein jungenhaftes Grinsen daraus. »Ja Luc, das ist sie. Wir wissen auch nicht, warum sie uns als Wunschort angegeben hat. Und ich habe mich noch nicht getraut, sie zu fragen. Sie wirkt immer so …«

      »… unnahbar?«, half Luc.

      »Unnahbar, genau, das trifft es. Aber gut, wahrscheinlich wollte sie mal raus, sie war erst in Paris, dann irgendwo im Süden, ich glaube in Nizza. Und wenn sie befördert wird, dann wohl wieder in eine große Stadt. Vielleicht wollte sie etwas Ruhigeres machen, bevor ihre Karriere so richtig beginnt.«

      Luc nickte, und Preud’homme beugte sich vor: »Wissen Sie, Verlain, die meiste Zeit wird nicht so viel zu tun sein, und Sie können sich in Ruhe um Ihren Vater kümmern. Mit Etxeberria wird es sich schon finden. Er ist eben ein typischer Baske. Störrisch, stur und sehr eigen.«

      Preud’homme zwinkerte komplizenhaft, und Verlain lächelte zurück. Er dankte dem Chef und ging zurück in sein neues Büro. Sein Schreibtisch stand mit dem Rücken zum Fenster. Luc setzte sich. Sein Blick fiel auf die eingestaubte Zimmerpflanze, irgendeine Palme, die vertrocknet in der Ecke stand, und er nahm sich vor, sie zu entsorgen.

      Da war er also wieder. In Bordeaux. Als Commissaire. Von hier war er vor fünfzehn Jahren weggegangen. Und jetzt war er zurück und traf auf lauter neue Gesichter: Pannetier war noch zur Schule gegangen, als Luc die Akademie abgeschlossen hatte. Anouk kam nicht von hier, war dafür aber umso interessanter. Und über Etxeberria würde Luc nachdenken müssen, schließlich würden sie einen Weg finden müssen, zusammenzuarbeiten. Preud’homme war einer der alten Hasen, schon jahrzehntelang der Chef hier. Davor hatte er im Norden gelernt und viele aufsehenerregende Fälle gelöst. Der Liebe wegen hatte es ihn ins Aquitaine verschlagen, sonst säße er jetzt als irgendein höherer Beamter im Innenministerium. Er hatte Verlain zum Polizisten gemacht und ihn nach Paris ziehen lassen. Nun war Verlain zurück, um seinen Vater zu pflegen. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Das war der Grund für seine Versetzung. So musste er nur wenig arbeiten und konnte sich um seinen Vater kümmern. Gleich nachher wollte er ihn im Krankenhaus besuchen, wollte endlich ein guter Sohn sein. Er war zu wenig da gewesen. Auch, weil die Flucht nach Paris von Dauer sein sollte. Bis heute war sie ihm gut gelungen.

      Kapitel 2

      Gaston brachte die dampfende Platte zusammen mit einem vor Kälte beschlagenen Glas Muscadet. Die Touristen, die neben Luc saßen, schauten neugierig auf seinen Teller: Waren das etwa heiße Austern, die dort serviert wurden? Die aß man doch eigentlich kalt. Doch der Commissaire kannte das Geheimnis des Restaurants, das schlicht La Plage hieß und direkt hinter dem Strandübergang in Carcans Plage lag. Ganz in der Nähe von dem kleinen Holzhaus, in dem Luc aufgewachsen war. Es waren die gratinierten Austern aus dem Bassin d’Arcachon. Ein Geheimrezept. Natürlich konnte man sie hier auch roh und kalt essen, nur mit Zitrone und Schalottenessig. Aber es gab eben auch dieses Gericht, das Luc seit Kindertagen kannte: Die Austern wurden ganz vorsichtig geöffnet, sodass das Meerwasser drinnen blieb. Dann kam mit geheimen Kräutern gewürztes Eigelb und Lauch dazu, einige Frühlingszwiebeln und darüber Gruyère aus Savoyen. Ab in den Ofen – und nach fünf Minuten wurden die Austern serviert: eine kulinarische Sensation. Tief in der Schale waren sie noch fast roh, ganz oben am Käse verliefen sie zartschmelzend. Und der kalte Muscadet aus der Loire-Region, nördlich von hier, war an diesem warmen Tag eine Offenbarung, sogar schon jetzt zur Mittagsstunde.

      Luc ging nicht davon aus, heute noch mal arbeiten zu müssen. Nachher würde er nach Arcachon ins Hôpital fahren und dann früh ins Bett gehen, nach der langen Fahrt am Morgen. Sein Blick fiel auf die hohe Düne, hinter der der weiße Sandstrand lag. Die kilometerlangen Strände waren wie eine Landmarke für das Aquitaine, die gesamte Küste bis hinunter ins Baskenland, breit und ausladend. Und an der Küste brachen sich die heftigen Wellen, ein Paradies für Surfer und Wellenreiter.

      Der Ort am Fuße der Düne war klein, vielleicht fünfzig alte Häuser, dahinter im Pinienwald der riesige Zeltplatz Camping de l’Océan neben den Holzhäusern der reichen Pariser, die im Sand der Wälder auf Stelzen standen. Im Winter war Carcans Plage wie ausgestorben. Dann lebten hier nur wenige Familien, Fischer, Seeleute und ein paar hängengebliebene Wellenreiter, die alt geworden waren. Sie rückten eng zusammen, liehen sich gegenseitig Lebensmittel, wenn etwas knapp wurde, denn Bäcker, Fleischer und Supermarkt waren nur jetzt im Sommer geöffnet. Es konnte ganz schön einsam werden, wenn draußen der Dezembersturm tobte, wenn die Gischt des Atlantiks es an manchen Tagen über die Düne schaffte. Luc hatte auch diese Tage immer geliebt. Die langen Winter. Die Alteingesessenen bevorzugten diese Zeit, bevor es dann im April wieder voller wurde, bis sich im Juli die Einwohnerzahl von Carcans Plage mal eben verhundertfachte. Wenn in den kleinen Surferbars jede Nacht gefeiert wurde, im Mascotte de l’Océan morgens die Crêpes vorgebacken wurden, um sie den Touristen den ganzen Tag über als frisch zu verkaufen, und sich bei der Gaststätte Chez Heidi, die einer deutschen Auswanderin gehörte, der Jambonneau im Grill drehte, der riesige Schweineschinken nach deutschem Vorbild. Dann war es hier wie im Nachbarort, dem Surfermekka Lacanau-Océan. Nicht ganz so groß, aber ebenso voll.

      Hier wollte Luc nun wohnen, in dem Holzhaus seines Vaters in der Avenue des Dunes. Seitdem sein alter Herr im Krankenhaus war, stand die Cabane ohnehin leer, also konnte der Kommissar genauso gut hier schlafen statt in einer kleinen Wohnung in Bordeaux. Die vierzig Minuten Fahrzeit ins Commissariat waren mit dem alten Jaguar kein Problem. Hier würde er viel besser zur Ruhe kommen als in einer Stadtwohnung. Sich erholen vom Stress der letzten Monate. Nachdenken über sich und seine Beziehungen – über Delphine und die anderen Frauen der letzten Jahre. Und er freute sich auf lange einsame Strandspaziergänge im Regen. Auch wenn es bis zum nächsten Regen noch etwas dauern konnte.

      Bevor er ins Restaurant gegangen war, hatte er seine zwei kleinen Koffer ausgeladen, dazu die Einkäufe, die er aus Paris mitgebracht hatte: einige Flaschen Bier, zwei Flaschen Chablis. Rotwein, Käse und frisches Baguette hatte er vorhin im kleinen Dorfladen gekauft. Er hatte Glück, noch kurz vor halb eins im Laden gewesen zu sein. Danach war nämlich Mittagspause