Название | Krokodile |
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Автор произведения | Angie Volk |
Жанр | Контркультура |
Серия | |
Издательство | Контркультура |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783455011517 |
Etxeberria nickte. Die erste Einigkeit. Die Professionalität war in so einem Moment größer als der Wille zur Profilierung. Sie sahen auf die Leiche und auf das Blut am Hinterkopf. Eine Menge Blut. Es musste eine große Wunde unter den blonden Haaren sein.
»Da hat ihr jemand den Schädel ziemlich brutal eingeschlagen«, sagte Anouk. »Muss eine furchtbare Wut gehabt haben.«
Verlain drehte sich weg, nahm aus seiner Tasche eine Schachtel Parisienne und zündete sich eine Zigarette an. Parisienne würde er hier unten wahrscheinlich gar nicht in jedem Tabac kriegen, dachte Verlain, und stöhnte innerlich auf. Dann würde er zurückwechseln müssen auf Gauloises rouge, ärgerlich. Er blickte aufs Meer. Es war merkwürdig. So viel Leid, so viel Vergänglichkeit, an einem so schönen Ort.
Ein Mitarbeiter der Spurensicherung erhob sich und hielt ein Streichholzpäckchen in der Hand. »Das hier hatte sie bei sich. Außerdem ihr Portemonnaie mit ihrer Carte d’Identité, ihrer Carte Bleue und zehn Euro.«
Das Streichholzheftchen war bedruckt mit Werbung für Le Garage de Brach, die Werkstatt in dem kleinen Dorf. Luc kannte sie sogar. Er erinnerte sich, dass in Brach höchstens 500 Menschen wohnten, wenn überhaupt. Und nun war einer aus ihrer Mitte tot. Eine furchtbare Nachricht für alle dort. Alle bis auf denjenigen, der vielleicht etwas damit zu tun hatte, der wusste, was in den schicksalhaften Stunden, Minuten oder gerade mal Sekunden hier am Meer geschehen war.
»Untersuchen Sie alles auf Fingerabdrücke und schauen Sie nach, ob Sie noch irgendwas am Strand finden. Wenn es nicht mit dem Spaten geht, bestellen Sie einen Bagger, ich will alles finden, was es hier gibt.«
Etxeberrias Ton war harsch. Luc war erstaunt, dass die Kollegen das mit sich machen ließen. In Paris würden sie diesen Ton nicht durchgehen lassen. Bei der Pariser Police Nationale war in den letzten Jahren die Erkenntnis gereift, dass Chefs und Mitarbeiter eng zusammenarbeiten müssen, ohne steile Hierarchien. Das half sehr bei Extremsituationen. Doch hier im Aquitaine galt offenbar noch der alte Kasernenton, der eher zur Gendarmerie passte.
»Wir müssen die Eltern benachrichtigen«, fuhr Etxeberria fort. »Das machen wir beide zusammen, Filipetti.«
Sofort trat eine peinliche Stille ein. Luc drehte sich zu Etxeberria um und schaute ihm in die Augen.
»Das denke ich nicht, Commissaire, bei allem Respekt. Wir sind gleichgestellt, wie Sie heute Vormittag richtig bemerkten. Und natürlich werden wir alle nach Brach fahren. Filipetti und Pannetier können bei den Nachbarn klingeln, und wir informieren die Familie. Schließlich ist das unser einziger Anhaltspunkt. Und alle Ermittlungen werden genau dort beginnen, wenn die Spurensicherung hier nichts weiter herausfindet. Ich bitte Sie um etwas mehr Kollegialität.« Er korrigierte sich: »Nein, ich bitte Sie nicht darum. Ich erwarte sie.«
Etxeberria wollte etwas erwidern, besann sich dann aber und murmelte nur irgendetwas Unverständliches in seinen Oberlippenbart. Dann drehte er sich um und stapfte den Strand entlang Richtung Parkplatz. Luc hätte es an dieser Stelle nicht eskalieren lassen müssen, aber er wollte es. Er wollte von Anfang an zeigen, dass er sich auf eine gute Zusammenarbeit gefreut hatte, aber im Zweifel auch eine Rivalität annehmen würde.
Anouk lächelte Verlain an. »Nehmen wir Ihren Wagen«, sagte sie. »Meinen bringt die Gendarmerie zurück nach Bordeaux.«
Luc war nur kurz verwundert über ihre forsche Art. Es war keine Frage gewesen, sie hatte für sie beide entschieden. Luc gefiel das sehr. Sie gingen den Weg zur Strandpromenade gemeinsam. Luc warf noch einen Blick auf die Surfer und stieg dann die Treppe in den Ort hinauf. Dort waren noch die Stände vom Strandfest am Vorabend aufgebaut.
Anouk zeigte auf Lucs Jaguar. »Ich wusste ja, dass man in Paris bei der Police Nationale nicht schlecht verdient, aber dass es so gut ist …«, sagte sie lachend.
Luc stieg ein, und Anouk setzte sich neben ihn.
»Der hat einfach nur ideellen Wert für mich. Ich war nach der Ausbildung zwei Monate in London bei Scotland Yard und habe da unglaublich viel gelernt«, sagte der Commissaire. »Und danach habe ich ihn mir gekauft. Er fährt wie ein Schiff, einfach immer majestätisch geradeaus.« Anouk lächelte und strich über das Armaturenbrett aus echtem Holz. »Und ich wollte nie ein französisches Auto fahren. Diese neumodischen Plastikkisten, die mir vorschreiben, wann ich mich anschnallen und wie ich die Spur halten muss«, ergänzte Luc.
»Oh ja, das verstehe ich. Mein Dienst-Citroën macht mich auch wahnsinnig.«
Sie lächelten sich an. Es tat gut, nur ein wenig zu plaudern, nach diesen Bildern vom Strand, die sich bei beiden ins Gedächtnis gebrannt hatten. Alles, was ihnen jetzt bevorstand, würde noch belastend genug werden. Aussagen, Lügen, Geständnisse.
»Etxeberria ist unglaublich«, sagte Anouk, nachdem sie eine Weile schweigend gefahren waren. »Da hat man einen Mord im Jahr, der Fragen aufwirft, und dann benimmt er sich so. Sie hätten ihn mal erleben sollen, als uns gesagt wurde, dass Sie kommen.«
Verlain schaute nicht zu Anouk, sondern richtete den Blick weiter auf die Straße, wo sich die Sonne auf dem Asphalt spiegelte.
»Ich kann ihn schon ein bisschen verstehen. Wenn man mir jemand vor die Nase setzen würde, wäre ich auch sauer.«
»Ein bisschen Ehrgeiz ist ja ganz gut, aber er übertreibt es einfach. Fachlich ist er toll, aber warum dieser Übereifer? Wir wollen doch alle das Gleiche: Diesen Typen kriegen, der das getan hat.«
»War es ein Typ?«, fragte Luc, erstaunt über Anouks plötzlichen Ausbruch.
Sie schwieg und sah starr geradeaus durch die Windschutzscheibe. Sie dachte nach. Sagte nichts.
»Ich kenne Etxeberria gar nicht aus meiner Zeit in Bordeaux. Wo kommt er her?«, durchbrach Luc die Stille.
»Er war vorher in Biarritz. Da war er sogar der Boss des ganzen Commissariats. Irgendetwas ist dann dort vorgefallen, mit korrupten Beamten und Schutzgeld. Das war vor sechs Jahren. Es gab Ermittlungen gegen ihn, und er wurde hierher versetzt. Aber ich bin ja auch erst vor einem knappen Jahr gekommen, da hatte er sich schon ein bisschen mit der Situation arrangiert.«
»Haben Sie was dagegen, wenn ich eine rauche?«
»Nein, kein Problem«, antwortete Anouk. »Ich nehme auch gerne eine.«
Wieder zwei Parisienne weniger.
Sie fuhren schweigend raus aus Lacanau in Richtung Brach. Minuten später flogen sie förmlich die kerzengerade Straße entlang, erst die Umgehungsstraße von Lacanau und dann die Departementstraße durch die dichten Pinienwälder. Luc genoss das Tempo. In Paris brauchten sie immer ewig zum Einsatz. Selbst mit Blaulicht auf der Busspur stand man mehr, als man fuhr.
Brach lag etwas abseits vom Meer, auf halber Strecke Richtung Bordeaux. Die Sonne verschwand nun manchmal hinter kleinen Schönwetterwolken.
Anouk sprach in die Stille. »Ist es nicht wunderschön hier?«
Luc brummte. »Ja, es ist schön. Aber auch eng.«
Anouk schaute ihn von der Seite an. »Sie kommen von hier, oder? Sie sehen gar nicht mehr das Grün der Bäume und diesen Kontrast zur Sonne und zum Strand …«
Luc sah auf. Er überlegte. »Doch, ich sehe es … Aber ich hatte es wohl vergessen.« Er wunderte sich über seine Worte. Und doch besagten sie genau das, was er vorhin empfunden hatte, als er in Lacanau-Océan oben auf der Promenade die Wellen gesehen und seine Nase in den Wind gestreckt hatte. Dieser Blick. Unter seinen Füßen der weiße Sand. Dann die Bäume, kilometerweit das Grün, und dieser Himmel. Ein Blau, das es nur am Atlantik gab. Und dann hatte Luc durchgeatmet. Und wieder Luft bekommen. Als ob er jahrelang nicht mehr richtig geatmet hatte. Dass er sich gegenüber der neuen Kollegin nun so öffnete, überraschte ihn selbst.
Anouk lächelte ihn unverwandt an. »So ist das, Commissaire. Ich bin in Nizza aufgewachsen und habe die Promenade des Anglais jahrelang