Als Jakob vom Himmel fiel. Peter Fuhl

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Название Als Jakob vom Himmel fiel
Автор произведения Peter Fuhl
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347114470



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und ihre akustischen Auslöser standen auf dem Stundenplan. Mit den Zauberworten „Achtung!“ oder „Stillgestanden!“ machte ein ranghöherer Soldat auf seine Anwesenheit aufmerksam oder konnte rangniedere Soldaten, die ihn nervten, auf fast schon biblische Art in schweigende Salzsäulen verwandeln.

      Rangniedrigere Soldaten mussten nämlich, wenn sie eines der Zauberworte vernahmen, sofort die Grundstellung einnehmen. Im Klartext: die Hacken zusammen, aufrecht und gerade, mit geschlossenen Händen, Handrücken nach außen am Oberschenkel anliegend. In dieser Stellung musste man dann bewegungslos verharren und die Klappe halten. Nicht einfach. Aber es war machbar, weil nur Männer in der Armee waren.

      Mit einem „Rührt euch!“ oder „Rühren!“ konnte man von einem ranghöheren Soldaten wieder aus seiner Bewegungslosigkeit befreit werden.

      Aber aufgepasst! Der Schein trog! Weder durfte jetzt wild gezappelt werden noch sollte gerührt werden. Es bedeutete lediglich, dass man die Hände hinter den Rücken zu nehmen hatte und den linken Fuß gut zwanzig Zentimeter nach links versetzte. Und damit man keinen steifen Hals bekam, wurde die Choreographie noch mit einem „Die Augen links! Augen rechts!“ erweitert.

      Am einfachsten und auch am beliebtesten war aber das Zauberwort „Wegtreten!“, bei dem man sich nur schnell aus dem Staub zu machen hatte.

      Als alle die Spielregeln kapiert hatten und die Bewegungsabläufe halbwegs synchron waren, übte man noch einmal in Kompaniestärke und wartete auf den Schallplattendieb.

      Der ließ sich geschlagene zwanzig Minuten Zeit, bis er sich endlich dazu bequemte anzusehen, was sein olivgrünes Ensemble mühevoll einstudiert hatte. Zuerst sah er nur zu, dann probierte er selber ein paar Zauberwörter aus. Seinem Gesichtsausdruck nach zu beurteilen, war er zufrieden.

      Schließlich beendete das Ganze mit einem „Zur Mittagspause wegtreten!“

      Wahrscheinlich hatte er Hunger.

       5. Stubenbesuche und gelebte Demokratie

      „Stillgestanden! Die Augen-Links!“, brüllte Harry, der sein Barett ähnlich wie der Schallplattendieb zusammengedrückt und aufgesetzt hatte. Scholz, der Rheinländer und Roland, der Skinhead aus Lübeck, standen stramm da und folgten den Kommandos so übertrieben, dass ihnen fast die Schiffchen vom Kopf flogen. Scholz hatte sich mit Kreide je einen Punkt auf seine Schulterklappen gemalt und war jetzt „Leutnant Scholz“. Roland machte Meldung bei Lt Scholz, Lt Scholz bei Harry und so ging es hin und her.

      Nussknacker und Jakob saßen am Tisch und lachten. Vollbart lag auf seinem Bett und las. Manchmal sah er über den Bücherrand herüber und schüttelte den Kopf. Pickelgesicht stand am offenen Fenster und rauchte. Die ganze Gruppe war auf der Stube.

      Bis auf die beiden Offizierssöhne, die sich für vier Jahre verpflichtet hatten und mehr die Nähe der Offiziersanwärter suchten.

      Den ganzen Tag war Antreten und Grüßen geübt worden. Militärisches Grüßen. Ellenbogen genau auf Schulterhöhe, Unterarm und Hand eine Gerade, Handrücken nach oben. Grüßen aus dem Stand und aus der Bewegung. Der ganze Tag bestand aus Kommandos und Befehlen. „Stillgestanden!“, „Die Augen-Links!“, „Rührt euch!“ usw.

      Eine Stunde vor Dienstschluss hatte Fhj Berger noch zwei Bogen Papier verteilt, Vollbart zum Stubenältesten bestimmt und erklärt, was ein Stubendurchgang ist. Die Regeln waren nicht schwer. Sobald der oder die Stubendurchgänger die Tür öffneten, hatte der Stubenälteste „Achtung!“ zu brüllen und alle Anwesenden mussten stramm stehen.

      Dann meldete der Stubenälteste dem Besuch, dass die Stube gereinigt und die Bettchen ordentlich gemacht waren. Der Besuch wiederum war misstrauisch und inspizierte jetzt die Stube, um sicherzugehen, dass der Stubenälteste nicht geflunkert hatte.

      Damit es auch jeder kapiert, wurden eine paar Probedurchgänge durchgespielt. Alle zehn Minuten kam Fhj Berger zur Tür hereingeschneit. Mal allein, mal mit einem anderen Unteroffizier. Aber immer ohne vorher anzuklopfen, um es spannender zu machen. In der Zeit dazwischen musste gelernt werden, was auf den zwei Bogen Papier stand, die verteilt worden waren.

      Einer der Bogen war mit Dienstgradabzeichen bedruckt. Beidseitig. Ein Schrägstrich auf der Schulterklappe bedeutete Gefreiter, zwei Obergefreiter, ein offenes U Unteroffizier, ein geschlossenes U Stabsunteroffizier. Ein geschlossenes U mit Winkel Feldwebel, mit zwei Winkeln Oberfeldwebel. Frisch eingezogene Rekruten mit völlig blanker Schulterklappe wie Jakob und die anderen hießen offiziell Jäger, wurden aber inoffiziell Rotärsche, Krummfinger oder Muschis genannt.

      „Achtung!“ rief Vollbart. Wie von der Tarantel gestochen standen alle auf und machten Männchen. Vollbart meldete, dass die Stube gereinigt und zur Abnahme bereit sei.

      Von wegen.

      Fhj Berger sah sich nur kurz in der Stube um und wurde sofort fündig.

      „Hier sieht es ja aus wie bei den Tschechen!“, brüllte er los und zeigte auf Pickelgesichts Spind, auf dem Schlafsack und Gasmaske falsch angeordnet lagen.

      „Die Mängel sind sofort abzustellen!“

      Dann verließ er die Stube und knallte die Tür zu.

      Pickelgesicht ordnete die Sachen auf seinem Spind. Alle überprüften noch einmal ihre Betten und Spinde. Der Boden war nass gewischt, der Papierkorb geleert.

      Als alle überzeugt waren, dass es wirklich nichts mehr zu beanstanden gab, sahen sie sich den zweiten Bogen Papier an, auf dem ein Lied stand, dessen Text auswendig gelernt werden musste. Lt Scholz las laut vor:

      „Gäb es nur eine Krone, wohlan ich schenkte sie,

      der Tapferkeit zum Lohne der deutschen Infanterie“

      „Achtung!“, rief Vollbart und machte Meldung, während der Rest die Atmung einstellte und blitzschnell Haltung einnahm. Fhj Berger stand mit einem anderen Unteroffizier in der Tür.

      „Die Stube gereinigt und zur Abnahme bereit?“, wiederholte Fhj Berger Vollbarts Meldung.

      „Soso.“ Ein sadistisches Grinsen in Richtung des anderen Fahnenjunkers folgte. Dann fuhr er mit seinem Mittelfinger den Türstock entlang, hielt sich den Finger vor den Mund und blies in Vollbarts Richtung.

      „Können Sie mich noch sehen? Mängel abstellen!“

      Und wieder knallte die Tür zu.

      Schweigen folgte dem Knall der Tür. Enttäuschung machte sich breit. Lange Gesichter, wohin man sah. Außer bei Harry, der die Situation rettete.

      „Mann, ist das vielleicht ein geiles Programm! Das erlebt man wirklich nur hier! Und wir kriegen noch Geld dafür!“

      „Geld?“, maulte Vollbart. „Das ist nicht mal ein Trinkgeld, was wir als Sold kriegen!“

      „Geld ist Geld“, sagte Harry. „Außerdem werden wir auch verpflegt! Und wenn man immer nur mit einer miesepetrigen Fresse herumläuft, wird es auch nicht besser. Jetzt genießt das mal, Leute! Unsere Fahnen-Junkies geben sich doch auch richtig Mühe!“

      Lt Scholz und der Nussknacker nickten zustimmend.

      „Achtung!“

      Fhj Berger betrat das Zimmer, Vollbart machte Meldung und fünf zufriedene Gesichter strahlten im Stillgestanden und harrten erwartungsvoll der Dinge, die da kommen mögen. Es waren die zufriedensten Gesichter, die es im Fallschirmjägerbataillon 251 während eines Stubendurchganges je gegeben hatte. Das machte keinen Spaß mehr.

      Fhj Berger nahm Vollbarts Meldung entgegen, wünschte eine gute Nacht und schloss hinter sich leise die Tür. Wenige Minuten später warfen Tisch und Stühle ihre Schatten, Harry redete im Schlaf, Lt Scholz und der Nussknacker schnarchten wieder um die Wette und Pickelgesicht rauchte mit traurigem Gesicht aus dem Fenster.

      Am nächsten Morgen, gleich nach dem Antreten, das jetzt vor dem Kompaniegebäude stattfand, ging es geschlossen in einen Schulungssaal. Da der Saal zu klein war, saßen manche Rekruten auf den Fensterbrettern oder am Boden. Oder sie lehnten sich an die Wand.

      Dann