Als Jakob vom Himmel fiel. Peter Fuhl

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Название Als Jakob vom Himmel fiel
Автор произведения Peter Fuhl
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347114470



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Jakob marschierten, sangen mit makrobiotischer Lautstärke und waren gerade noch hörbar. Der Rest schwieg oder bewegte wie Jakob nur die Lippen und sang leise in sich hinein.

      „LIEEED -AUS! ABTEILUUUNG -HALT! STILLGESTANDEN!“

      Der Spieß war enttäuscht und brüllte seine Enttäuschung aus sich heraus. Er hatte sich so sehr auf das Lied gefreut und nun so etwas!

      „Glauben Sie die Herren Unteroffiziere singen Ihnen ein Ständchen vor, oder was?! Jetzt reißen Sie sich zusammen!“

      Am Horizont verabschiedete sich der Tag und über dem Exerzierplatz sammelten sich dunkle Wolken. Neugierige Zuhörer, die durch das laute Geschrei des Kompaniefeldwebels angelockt worden waren. Es begann leicht zu regnen.

      „Gäb es nur eine Krooone

      Wohlan …“

      „LIEEED -AUS!!“, schrie der Spieß, der immer noch nicht zufrieden war. Und das zu Recht.

      Die erste und zweite Reihe sangen zwar unverändert mit voller Inbrunst und auch die beiden Offizierssöhne waren gut hörbar. Aber ansonsten war nur ein dumpfer Murmelgesang in Moll zu vernehmen.

      Wie beim Gottesdienst in der Kirche sang jeder so leise, dass es sein Nebenmann kaum hören konnte. Gottesdienste an Weihnachten und Silvester natürlich ausgenommen.

      „NOCHMAAAAAL!“ schrie der Spieß, dessen Laune sich zunehmend verschlechterte.

      „MÄNNER -EIN LIED! ZWO-DREI-VIER!“

      „Gäb es nur eine Krooone

      wohlan, ich schenkte sieee,

      der Tapferkeit …“

      Die Regenwolken verdichteten sich und verschmolzen mit dem immer dunkler werdenden Himmel. Der Regen wurde stärker. Die Tropfen größer. Kalt und schwer fielen sie senkrecht aus dem Herbsthimmel und zerplatzten laut auf dem harten Exerzierplatz. So laut, dass die Aufschläge den Gesang übertönten.

      „LAUTER!!“, brüllte der Spieß in den Regen, der ihm nichts auszumachen schien.

      „NOCH LAUTER!“

      „Mit Waffen leicht, mit Waffen schwer,

      Kompanieee an Kompanieee,

      ist sie die Königin …“

      Die Uniformen saugten sich mit dem kalten Regenwasser voll. An den Schultern klebten sie schon schwer und satt auf der Haut und konnten kein Wasser mehr aufnehmen. Es war absehbar, dass alle bald völlig durchnässt sein würden. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieß nun olivgrüne Regenschirme verteilen lassen würde, war gering.

      „Gäb es für Sieg und Steeerben

      Nur eiiine Melodieee …“

      Die Dunkelheit war mittlerweile hereingebrochen und es schüttete wie aus Kübeln. Das Licht der Laternen spiegelte sich auf dem nassen Boden des Exerzierplatzes wieder. Stiefel klatschen im Gleichschritt.

      „… ist sie die Kööönigin im Heer,

      die deuuutsche Infanterie…“

      „LIEEED -AUS!!“, brüllte der Spieß und stellte die ganze Kompanie ins Achtung. Fünf Sekunden lang war nur noch der Regen zu hören. Dann auch wieder der Spieß. Er sprach sehr langsam und deutlich. Mit einer Brotmesserstimme.

      „Wir machen das solange, bis ihr es könnt. Ich habe viel Zeit und die Kantine macht wegen euch keine Überstunden. Kapiert? Also nochmal, Männer -EIN LIED!

      ZWO-DREI-VIER!“

      „GÄB ES NUR EINE KROOONE

      WOHLAAN ICH SCHENKTE SIEEE…“

      Alle sangen. Es gab keine Hemmungen mehr. Harry spielte kurz den Clown und wackelte übertrieben mit dem Kopf beim Singen. Sofort wurde er von jemandem aus der durchnässten Kolonne mit einem wütenden „Lass den Scheiß!“ angezischt.

      „… DER TAPFERKEIT ZUM LOOOHNE

      DER DEUUUTSCHEN INFANTERIEEE!“

      Springerstiefel gaben den Takt vor.

      „GÄB ES FÜR SIEG UND STEEERBEN

      NUR EIIIINE MELODIEEE

      Jakob sang sich allmählich in Trance. Er spürte seine nasse Uniform nicht mehr und auch nicht den Regen, der ihm ins Gesicht prasselte und vom Kinn tropfte.

      „NOCHMAL! MÄNNER -EIN LIEEED!“

      Ständig wurde das Lied wiederholt. Einer Runde um den Exerzierplatz folgte die nächste. Und auch der Regen gönnte sich keine Pause.

      „GÄB ES NUR EINE KROOONE …“

      Irgendwann erwachte Jakob aus seinem Trancezustand und bemerkte, dass etwas passiert war.

      Alle marschierten in Formation, alle sangen. Die jungen Männer hatten etwas Soldatenhaftes bekommen. Eine Stufe war genommen. Er hörte seine eigene Stimme und während er überlegte, was er da eigentlich sang, versanken die Worte des Liedes in den tiefsten Windungen seines Gehirns.

      Wie Wikingerleichen im Moor.

      Und Jakob marschierte weiter.

      Er marschierte wie ferngesteuert. Er nahm nur noch den dampfenden Atem wahr, der seinem Mund entströmte und zusammen mit einhundert anderen dampfenden Atem den Ruhm der deutschen Infanterie tief in die kalte Regennacht hinaustrug.

       8. Stehaufmännchen

      Anfangs war jeder für sich alleine damit beschäftigt und niemand traute sich das Thema anzusprechen. Irgendwann war es aber plötzlich da und schließlich wurde es zum Thema schlechthin. Zumindest am Morgen.

      Das Thema hieß „weicher Kasper“.

      „So eine Scheiße. Vor ein paar Wochen habe ich mir noch zwei, drei Mal einen runtergeholt, bevor ich zu meiner Alten gefahren bin. Inzwischen hat sie mit mir Schluss gemacht und ich kriege nicht mal mehr eine anständige Morgenlatte auf die Reihe!“, jammerte Lt Scholz.

      „Wie bitte? Du hast dir einen heruntergeholt, BEVOR du zu deiner Freundin gefahren bist? Wieso denn das?“, fragte Vollbart und sah in entgeistert an.

      „Na, damit ich länger aufsitzen konnte! Ist doch logisch!“, erwiderte Lt Scholz und sah Vollbart ebenso entgeistert an.

      Lt Scholz war nicht der Einzige. Bei jedem war die Gurke nicht mehr so, wie sie morgens eigentlich sein sollte. Es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass eine Art Schlappofix in die Getränke gemischt wurde, um das Anschwellen des Kaspers zu verhindern.

      Aber vielleicht war es auch nur die harte Ausbildung, die ihren Tribut forderte? Niemand konnte es sich erklären. Die einen munkelten dies, die anderen jenes.

      Umso erfreulicher war es deshalb, als Nussknacker eines Morgens seinem Schlafgemach entstieg und voller Zufriedenheit folgende Meldung machte:

      „Melde gehorsamst, habe eine gewaltige Morgenlatte in der Hose!“

      Und tatsächlich! Unter Nussknackers blauer Pyjamahose spannte ein bisamrattenzahnharter Kasper ein enormes Zelt.

      Alle applaudierten.

      Das war wahrlich eine frohe Botschaft!

      Und siehe da, innerhalb weniger Tage bäumte sich in den Pyjamahosen ein Kasper nach dem anderen auf und baute morgens sein Zelt.

      Die Tage der weichen Morgenaale waren gezählt.

      Das Thema war erledigt.

      Endgültig.

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