Als Jakob vom Himmel fiel. Peter Fuhl

Читать онлайн.
Название Als Jakob vom Himmel fiel
Автор произведения Peter Fuhl
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347114470



Скачать книгу

      Als alle endlich in Reih und Glied standen, ging es sofort im Laufschritt zurück auf die Stube. Nur, um von dort gleich wieder zum Exerzierplatz zu rennen und erneut anzutreten. Nach dem vierten Mal war Schluss und die neuen Rekruten wurden durch das nächtliche Kasernengelände vom Exerzierplatz in die Mannschaftskantine zum Abendessen geführt. Es gab Gulaschsuppe und Brot. Dazu warmen Tee.

      „Beeilen Sie sich mit dem Essen! In dreißig Minuten beginnt im Kompaniegebäude die Ausgabe der Wäsche!“, sagte einer der beiden Soldaten, die sie zur Kantine geführt hatten, während er von Tisch zu Tisch ging.

      „Gemütlichkeit sieht anders aus“, sagte Harry mit breitem Grinsen und sah sich am Tisch um. Als aber niemand darauf einging, hielt er die Klappe und schaufelte wie die anderen so schnell es ging die Gulaschsuppe in sich hinein.

      Irgendwann war Schluss. Nachdem sie im Laufschritt zum Kompaniegebäude zurückgelaufen waren. Nachdem sie ihre Socken, Unterwäsche, Hemden, Krawatten, Schuhe und ihre Hosen bekommen hatten. Nachdem sie geduscht waren und jemand auf den Lichtschalter gedrückt hatte.

      Irgendwann war plötzlich Ruhe.

      Jakob lag wach im Bett. Die Vorhänge verdunkelten nicht richtig. Die Helligkeit, die von draußen durch sie hindurchfiel, war noch so stark, dass Tisch und Stühle deutliche Schatten über den Boden und an die Wand warfen und das Auge, sobald es sich angepasst hatte, alles genau erkennen konnte.

      Die Spinde sahen aus wie Särge, die jemand an die Wand gestellt hatte.

      Harry, der über ihm schlief, redete im Schlaf. Am anderen Ende der Stube schnarchten im unteren Stockbett der Rheinländer und über ihm der Nussknacker um die Wette. Vollbart lag auf dem Bauch, das Gesicht nach unten. Vielleicht war er tot. Das Pickelgesicht rauchte heimlich eine Zigarette am gekippten Fenster.

      Jakob drehte sich um zur Wand, starrte sie eine Weile an und schloss dann die Augen.

       4. Zauberworte und Synchronisation

      Mitten in der Nacht schrie jemand „Kompanie aufstehen“. Jakob blieb liegen, weil er nicht Kompanie hieß, rieb sich die Augen und sah sich um. Auch die anderen fühlten sich nicht angesprochen. Aber alle in ihrer Nachtruhe gestört. Draußen war es noch stockfinster und die Laternen auf dem Kasernengelände arbeiteten auf Hochtouren, damit der Tisch und die Stühle ihre Schatten in der Stube werfen konnten.

      Plötzlich blitzte es mehrmals und ein helles aufdringliches Licht raste durch die Stube und blieb schließlich an der Decke hängen. Alle schlossen ihre geblendeten Augen. Die Pupillen drückten sich gegen hellgelbe Lider, die schnell ockerfarben wurden, dann orange und dann Richtung Tür blinzelten.

      Ein Soldat war in die Stube gekommen und hatte das Licht angemacht.

      „Raus jetzt aus den Furzmulden! Aber dalli!“

      Sofort quälten sich alle aus den Betten. Vollbart war nicht tot. Er war sogar der Erste, der vor seinem Bett stand.

      „Ich bin Fahnenjunker Berger“, fuhr der Soldat fort, „und ich werde Ihnen in den nächsten Wochen die Grundlagen des Soldatenlebens beibringen.“

      Es war einer der Soldaten, die gestern mit Silberkordel auf dem Exerzierplatz waren. Groß, blonde Haare, breitschultrig. Aber mit einem gutmütigen Kindergesicht und großen blauen Babyrobbenaugen. Kaum älter als Jakob und mit Sicherheit jünger als Vollbart.

      „Sie müssen an den Ausgabestellen noch ihre restlichen Sachen in Empfang nehmen. Also beeilen sie sich! Anziehen! Zähne putzen! In fünf Minuten gehen wir los!“

      Die restlichen Sachen waren noch eine ganze Menge und Jakob fragte sich, ob er das ganze Zeug überhaupt in seinem Spind verstauen konnte. Schlafsack, Poncho, Einmannzelt, Stahlhelm, Gasmaske, Klappspaten, Kampfmesser usw. usw.

      Die Armee schüttete in Geberlaune ihr Füllhorn über ihre zukünftigen Kämpfer aus!

      Aber die Gegenstände waren von sehr unterschiedlicher Qualität. So war Jakobs Klappspaten handlich und nagelneu. Vorne spitz zulaufend und an der Seite so scharf, dass man im Nahkampf dem Gegner damit einen Scheitel bis zum dritten Halswirbel ziehen konnte. Das Kampfmesser dagegen hatte schon einiges erlebt und musste geschliffen werden. Es war so stumpf, dass man nur mit viel Kraft eine dünne Schnur damit durchtrennen konnte.

      Das Essgeschirr war ein nierenförmiger Blechnapf. Mehrteilig, zusammensteckbar und mit ebenso lieblosem Besteck. Nichts, was Oberkellner aus guten Hotelküchen ihren Gästen an die Tische tragen. „Aber wichtig ist nicht der Blechnapf an sich, sondern was im Blechnapf drin ist“, tröstete sich Jakob.

      Zuletzt bekam jeder noch seine Hundemarke und seine Namensbänder, die an die Uniform genäht werden mussten.

      Wieder auf der Stube zeigte Fahnenjunker Berger, wie die Spinde einzuräumen waren und wie der Soldat sein Bettchen zu machen hatte. Gleichzeitig waren in der Gemeinschaftsdusche zwei Soldaten mit Haarschneidegeräten und stellten sicher, dass bei allen Ohren und Hemdkragen zu sehen war.

      Anschließend wurde befohlen, den kleinen Dienstanzug anzuziehen und nachdem Harry, Pickelgesicht und Jakob endlich gelernt hatten, wie man eine Krawatte bindet, ging es in die Kantine zum Frühstücken.

      Draußen wurde es langsam hell.

      Die zweite Tasse Kaffee war noch nicht ausgetrunken, da unterbrach ein lauter Befehl das Schmausen und mit noch vollem Mund ging es im Laufschritt zurück zum Kompaniegebäude, wo im Eingangsbereich von allen Rekruten Passbilder gemacht wurden. Vor dem Gebäude beim Kompaniewappen mit der eisernen Faust wurden in der morgendlichen Herbstsonne weitere Bilder gemacht. Gruppenbilder.

      Fhj Berger stellte kurz drei Rekruten vor, die auf einer anderen Stube schliefen. Zwei davon hatten sich für vier Jahre verpflichtet, ihre Väter waren beide Offiziere. Der dritte war ein Skinhead aus Lübeck. Ein Hüne mit ungewöhnlich gelben Zähnen.

      „Sie sind ab jetzt eine Kampfgruppe. Ich bin ihr Gruppenführer. Mit zwei anderen Gruppen bilden wir einen Zug. Über die einzelnen Teileinheiten werden Sie später mehr erfahren. Jetzt machen wir ein Gruppenbild.“

      Zuerst machten aber noch andere Gruppen ihre Fotos, weil Harry sich beim überhasteten Aufbruch in der Kantine Kaffee über sein Hemd geschüttet hatte. Fhj Berger schickte ihn auf die Stube, um das Hemd zu wechseln und gab „Feuer frei“. Pickelgesicht, Jakob und der Skinhead gingen etwas zur Seite und zündeten sich Zigaretten an. Die Sonne war warm geworden und wirkte angenehm einschläfernd. Die Pause war zwar nur von kurzer Dauer. Aber sie fühlte sich länger an.

      Sie hatten ihre Zigaretten fast fertig und nicht einmal heiß geraucht, als Harry wieder zurückkam.

      „Los jetzt! Um das Kompaniewappen herum aufstellen! Stehen Sie gerade! Und dass mir keiner auf die Idee kommt dämlich in die Kamera zu grinsen!“

      Kaum war das Bild im Kasten, ließ Fhj Berger die Gruppe zum Umziehen auf die Stuben wegtreten. Der kleine Dienstanzug wurde aus- und eine Uniform angezogen.

      Die Uniform war olivgrün. Unterhemd, Jacke, Hose und Schiffchen ebenso. Fast alles. Dazu farblich passend schwarze Springerstiefel. Schwer, aus Leder, nagelneu. Beste Qualität. Nachdem auch Pickelgesicht gelernt hatte, wie sie geschnürt werden mussten, ging es im Laufschritt zum Exerzierplatz, wo schon andere Rekruten angetreten waren.

      Nach ihnen kamen noch zwei weitere Unteroffiziere mit ihren Gruppen die Treppe heruntergerannt.

      Dann war die 5. Kompanie komplett.

      Komplett? Nicht ganz.

      Jakob sah sich um. Ananas fehlte. Silberkordel auch. Wo gestern noch alles bunt war, war jetzt alles olivgrün. Und wo Haare waren, sah man jetzt Ohren. Anstatt Silberkordel stand vorne jetzt ein schwarzhaariger Soldat mit Oberlippenbart. Sein rotes Barett lag waagerecht auf dem Kopf. Als ob er eine Schallplatte geklaut hätte. Es war der Hauptmann, dem auch gleich gemeldet wurde, dass die 5. Kompanie angetreten sei.

      „Beginnen Sie mit der Formalausbildung!“, meinte der Hauptmann und ging mit zwei anderen Soldaten wieder die Treppe hoch zum Kompaniegebäude.