Mia und der Erbe des Highlanders. Morag McAdams

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Название Mia und der Erbe des Highlanders
Автор произведения Morag McAdams
Жанр Языкознание
Серия Ian McLaren - der Berserker
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958131972



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bisschen.« Es war keine ganze Lüge, vergleichbar mit der Aussage, dass es keine Blusen in der passenden Größe mehr im Ausstattungsraum gegeben hätte, wenn der Lehrer mit den lüsternen Blicken und wandernden Händen die Aufsicht führte.

      »Komm, ich helfe dir.«

      Das mitfühlende Lächeln, das Mary ihr schenkte, hätte sie beinahe einlenken lassen. Doch sie stand gehorsam auf und ließ sich bei den Knöpfen des Kleides helfen, das sie am Vortag nur unwillig angezogen hatte. Marys Hände waren kalt. Mia konnte noch Freds zärtliche Finger an ihrem Rücken spüren. Es schien so lange her zu sein. Nun war sie froh, in passendem Gewand auf dem Stadtfest erschienen zu sein. In Jeans und T-Shirt hätte sie sich im Jahr 1843 sehr unwohl gefühlt.

      »Das ist ein tolles Kleid. Tut mir leid, dass es jetzt so zerknittert ist. Ich konnte dich gestern Abend nicht mehr wecken, du hast so tief geschlafen. Eigentlich müsstest du dich auch besser fühlen. Kannst du heute arbeiten? Der Berserker lässt dir sonst bestimmt den Arzt rufen. Aber das wird dir dann vom Lohn abgezogen, und eigentlich siehst du auch nicht mehr so blass aus wie gestern Abend. Aber vielleicht siehst du auch nur in dieser Farbe so blass aus. Das ist nicht dein Kleid, oder? Von wem hast du es bekommen?«

      Mia hatte ihren eigenen Gedanken nachgehangen, während Mary auf sie eingeredet hatte. Sie merkte, dass sie nicht wusste, was das Mädchen als Letztes gesagt hatte, als es plötzlich still war.

      »Hm?«

      »Du hörst mir gar nicht zu, Emma!«, schalt Mary, doch sie schien nicht ernstlich gekränkt. »Wer hat dir dieses Kleid geschenkt?«

      »Jane hat es mir gegeben«, log sie. Es wäre nicht ungewöhnlich, dass ihre Schwester das gelbe Kleid verschenkt hatte, denn sie war in anderen Umständen. Doch das würde sie Mary nicht erzählen, weil man darüber nicht sprach.

      »Ach so.« Mary lächelte und Mia wusste, dass sie verstanden hatte, was nicht gesagt worden war.

      In der Ecke des Schlafraums war ein kleines Becken in einen Waschtisch eingelassen. Mia goss kaltes Wasser aus dem Krug hinein und biss die Zähne zusammen, als sie sich schnell wusch.

      »Wo ist denn …«, murmelte sie vor sich hin.

      »Zweites von rechts, Emma. Immer das zweite von rechts. Was hast du gestern bloß an den Kopf bekommen?!«

      Mia rollte, von Mary unbemerkt, mit den Augen. Sie konnte sich problemlos daran erinnern, dass sie eine jüngere Schwester namens Jane hatte, die ein Kind erwartete, aber nicht daran, wo ihr Handtuch hing. Was passierte mit ihr? Sie hatte den Platz einer völlig Fremden eingenommen, trotzdem war ihr vieles bereits bekannt. Sie musste Sybilla deswegen befragen, vielleicht wusste sie eine Antwort. Sie wollte die fremden Erinnerungen nicht mitnehmen, wenn sie nach Hause ging.

      In einem Porzellanbecher stand eine altertümliche Zahnbürste, die Mia kritisch ansah. Die Borsten, die im Holzstiel steckten, waren ausgefranst, und Mia lief ein Schauer über den Rücken. Sie spülte sich den Mund lediglich mit Wasser aus.

      Das Frühstück hatte aus einem Kräutertee und einer Scheibe Brot mit Butter und Marmelade bestanden, und Mia hatte sich nach ihrer gemütlichen Küche, einem gekochten Ei und etwas geröstetem Weißbrot gesehnt. Dann hatte sie sich mit Mary auf den Weg in das obere Stockwerk des rechten Schlossflügels gemacht. Der ältere und der neue Teil von Donnahew Castle gingen nahezu unmerkbar ineinander über. Sie versuchte, sich möglichst alles zu merken, was sie sah, um Fred davon erzählen zu können. Mary mahnte jedoch zur Eile. Mia wusste nicht, ob sie jeden Tag gemeinsam arbeiteten oder ob das Mädchen sie nur wegen ihrer angeblichen Gehirnerschütterung unter die Fittiche genommen hatte. Es war angenehm, nicht allein herausfinden zu müssen, was von ihr erwartet wurde. Sie konnte sich Mary anpassen, deren Mund nie stillzustehen schien. Die Arbeit, die sie verrichteten, war einfach, aber anstrengend. Den Vormittag verbrachten sie damit, in den Schlafzimmern der Herrschaften nach dem Rechten zu sehen. Bettlaken wechseln, Federbetten auslüften, schmutzige Wäsche einsammeln, Staub wischen – es war nichts anderes als das, was sie jeden Tag tat. Den Nachttopf zu leeren war wie Toilettenputzen. Man durfte nicht zu sehr darüber nachdenken.

      In einem großen Spiegel in einem der Ankleidezimmer besah sie sich ihre Uniform. Wie alle anderen Hausmädchen – Mia vermutete, dass dies die korrekte Bezeichnung war – trug auch sie ein dunkelblaues Kleid mit einer hellen Schürze darüber. Zwar gehörte ein dicker Unterrock dazu, das Kleid fiel jedoch nicht so weit wie die, die sie während des Festivals gesehen hatte. Vermutlich war die Dienstkleidung der Angestellten einfacher gehalten als die der gehobenen Schicht. Feine Damen arbeiteten nicht, das hatte sie gestern an den Kleidern gesehen, die zum Teil überreich verziert und unpraktisch waren.

      Das blaue Kleid stand ihr gut, doch Mary scheuchte sie weiter, bevor sie sich für längere Zeit bewundern konnte. Von ihr erfuhr sie auch, dass gerade alle drei Herrschaften am Hof weilten: Alastair William hatte ein Lungenleiden, das ihn immer wieder für längere Zeit ans Haus fesselte. Kendrick, der ihn vermutlich bald ersetzen musste, war deshalb immer in der Nähe. Er lenkte bereits jetzt aus dem Hintergrund die Geschicke des Clans und seines Volkes. Dagegen war Frederick, sein jüngerer Bruder, nur am Hof, weil er einen Beinbruch auskurieren musste und sich deshalb erst vor wenigen Tagen von der Militärakademie hatte freistellen lassen.

      Mia lächelte vor sich hin. Tratsch verbreitete sich unter Angestellten also auch im neunzehnten Jahrhundert schnell. Ihr Lächeln gefror, als ihr bewusst wurde, dass sie Frederick bereits gestern gesehen hatte. Sie erinnerte sich an sein weiches Jungengesicht und dass er sie mit unverhohlener Neugier aus der Kutsche heraus gemustert hatte. Sie hatte ihn von weitem für Fred gehalten, nicht wissend, dass sie denselben Namen trugen. Hoffentlich begegnete sie dem finsteren Mann nicht wieder, der bei ihm gewesen war.

      Die Arbeit ohne die Hilfsmittel des einundzwanzigsten Jahrhunderts war anstrengend. Mittags ließ Mia sich erschöpft an den Tisch in der großen Küche fallen. Sie sehnte sich nach dem Abend, wenn sie zu Sybilla gehen konnte. Dann würde sie herausfinden, wie sie nach Hause käme. Fred suchte bestimmt schon nach ihr, obwohl er vermutlich befürchtete, sie sei wegen seines Antrags verschwunden. Sie würde sich nie verzeihen, wenn das letzte, was sie mit ihm erlebt hätte, von ihm als Kränkung aufgefasst worden war. Sie musste zurück!

      Das Essen war kräftiger gewürzt als Mia es gewohnt war, doch nach der harten Arbeit schmeckte es ihr sehr gut. Ihren ersten und letzten Tag auf Donnahew Castle wollte sie damit verbringen, alle Eindrücke aufzusaugen, die sie davon erhielt. In der Küche ging es gesittet, aber lebhaft zu. Angestellte kamen und gingen, plauderten und ruhten sich für einen Moment von der Arbeit aus. Mia war überrascht, unter dem Tratsch kein schlechtes Wort über den Berserker und seine Söhne zu hören. Er schien als gerechter Landesherr bei seinem Volk beliebt zu sein. Es war fast wie im Märchen. Jetzt fehlte nur noch die holde Maid, die den Prinzen heiraten sollte, und ein Bösewicht. Für diese Rolle schien der fiese Reiter, der Frederick am Vortag begleitet hatte, prädestiniert. Sie wusste, dass sie ihn kennen sollte und dass es irgendwie wichtig war, doch sie konnte die Erinnerung nicht festhalten. Am besten fand sie bald heraus, wer er war, damit sie ihm aus dem Weg gehen konnte.

      »Emma, hör auf zu träumen, wir müssen wieder an die Arbeit!«, ermahnte Mary sie. Mias Gefühle über das Ende der Mittagspause waren zwiespältig. Einerseits genoss sie die Atmosphäre in der Küche, die nicht mit dem Hauen und Stechen im HYA-Hotel zu vergleichen war. Dort musste jeder seine Arbeit allein erledigen und man begegnete seinen Kollegen bestenfalls höflich-distanziert. Der morgendliche Aufforderungsruf »Heya!« spottete über den Namen des Gasthauses, der als Akronym für »here you are«, also »bitte sehr, gern geschehen« stand. »Heya«, wie es ein Kutscher seinen Pferden zurief, war für ihren Arbeitstag allerdings deutlich passender ausgedrückt. Mehrfach hatte sie bereits kündigen wollen, doch sie war auf ihr Einkommen angewiesen. Vielleicht konnte sie zu Hause bleiben, wenn sie Fred heiratete. Sie würde ihren Haushalt vorbildlich führen, wie es von einer Frau erwartet wurde.

      Mia schüttelte den Kopf über ihre eigenen Gedanken. Was dachte sie da nur? Das war doch nicht das, was sie für richtig hielt. Oder doch? Sie wusste nicht mehr, was sie denken sollte. Waren das Emmas Gefühle? Schlichen sich ihre Ansichten in ihren Kopf, so wie sie, Mia, ihren Platz eingenommen hatte? Was