Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur. Julius Hoxter

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Название Quellentexte zur jüdischen Geschichte und Literatur
Автор произведения Julius Hoxter
Жанр Документальная литература
Серия Judaika
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843800242



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Ihr Anführer jedoch hielt sie zurück, weil ihm sehr viel daran lag, den Mann lebendig in seine Gewalt zu bekommen. Während nun Nikanor in ihn drang und die feindliche Schar fortgesetzt Drohungen ausstieß, traten dem Josephus nächtliche Träume in die Erinnerung, in welchen ihm Gott das bevorstehende Unglück der Juden und das künftige Geschick der römischen Imperatoren offenbart hatte. Josephus verstand es nämlich, bei der Auslegung von Träumen auch diejenigen Verkündigungen zu erklären, die die Gottheit zweideutig gelassen hatte, da er als Priester und Priesterssohn mit den Weissagungen der heiligen Bücher wohlvertraut war. Gerade zu dieser Stunde nun ward er von göttlicher Begeisterung ergriffen, und indem er die Schreckbilder kürzlich gehabter Träume sich vergegenwärtigte, schickte er in der Stille ein Gebet zu Gott und sprach: »Weil du beschlossen hast, das Volk der Juden, das du geschaffen, zu beugen, weil alles Glück zu den Römern gewandert ist und du meine Seele erwählt hast, die Zukunft zu offenbaren, so biete ich den Römern die Hand und bleibe am Leben. Dich aber rufe ich zum Zeugen an, dass ich nicht als Verräter, sondern als dein Diener zu ihnen übergehe.«

      Nach diesem Gebet sagte er dem Nikanor zu. Als aber nun die Juden, die sich mit ihm in dem Versteck befanden, merkten, dass er dem Zureden der Feinde nachzugeben entschlossen sei, umringten sie ihn in dichten Haufen, … zückten ihre Schwerter gegen ihn und drohten, ihn niederzustoßen, wenn er sich den Römern ergäbe.

      Aus Furcht vor ihrem Angriff und in der Überzeugung, dass er einen Verrat an den Aufträgen Gottes begehen würde, wenn er vor deren Verkündigung stürbe, begann Josephus im Drange der Not Vernunftgründe gegen sie geltend zu machen. Die Verzweiflung indes machte sie taub gegen alle Vorstellungen; schon längst hatten sie sich dem Tode geweiht und wurden darum nur noch erbitterter gegen ihn. Von allen Seiten mit gezückten Schwertern auf ihn eindringend, beschuldigten sie ihn der Feigheit, und jeder zeigte sich bereit, ihn auf der Stelle niederzustoßen. Er aber wusste, indem er den einen bei seinem Namen anrief, den anderen mit dem Blick des Feldherrn anschaute, einen dritten bei der Hand ergriff, einen vierten durch Bitten umstimmte, in seiner Not, die die verschiedenartigsten Gefühle in ihm aufkommen ließ, jedes Mal das Mordschwert von sich abzuwehren, gleichwie das eingekreiste Wild sich stets gegen den wendet, der es gerade anzugreifen Miene macht. Da sie nun selbst in dieser äußersten Bedrängnis noch den Feldherrn in ihm ehrten, wurden ihre Arme gelähmt, die Dolche entglitten ihren Händen und viele, die das Schwert gegen ihn erhoben hatten, steckten es aus freien Stücken wieder ein.

      Trotz dieser verzweifelten Lage verließ übrigens den Josephus seine Besonnenheit nicht; vielmehr setzte er nun im Vertrauen auf Gottes Fürsorge sein Leben aufs Spiel, indem er zu seinen Gefährten sprach: »Da der Entschluss, zu sterben, nun einmal feststeht, wohlan, so wollen wir das Los darüber entscheiden lassen, wer von uns jedes Mal den anderen niederstoßen soll. Es falle also der Ausgeloste von der Hand dessen, der nach ihm bezeichnet wird. Auf diese Weise wird das Todeslos alle treffen, ohne dass der Einzelne darauf angewiesen ist, sich selbst zu töten; denn es wäre doch unrecht, wenn nach dem Tode seiner Gefährten der letzte sich’s reuen ließe und sein Leben rettete.« Dieser Vorschlag verschaffte ihm wieder Zutrauen, und nachdem die anderen sich einverstanden erklärt hatten, loste er auch selbst mit. Wie nun ein jeder vom Lose getroffen wurde, ließ er sich willig von dem Nächstfolgenden hinschlachten in dem Bewusstsein, dass gleich darauf ja auch der Feldherr sterben müsse; denn der Tod mit Josephus erschien ihnen angenehmer als das Leben. Übrig blieb nun eben Josephus, sage man durch glücklichen Zufall oder durch göttliche Fügung, mit noch einem Gefährten, und da er weder vom Lose getroffen werden, noch, wenn er schließlich allein dagewesen wäre, seine Hand mit dem Blute eines Landmannes beflecken mochte, überredete er auch diesen, sich den Römern zu ergeben und dadurch sein Leben zu retten. Nachdem Josephus so aus dem Kampfe mit den Römern sowohl als mit seinen eigenen Leuten heil hervorgegangen war, wurde er von Nikanor zu Vespasianus geführt.

      … Titus zog sich hierauf in die Antonia zurück, entschlossen, am folgenden Tage in aller Frühe mit seiner ganzen Heeresmacht anzugreifen und den Tempel zu umzingeln. Über diesen jedoch hatte Gott schon längst das Feuer verhängt, und es war endlich im Laufe der Zeiten der Unglückstag – der zehnte des Monats Loos – gekommen, an dem auch der frühere Tempel vom Babylonierkönig eingeäschert worden war; nur waren es diesmal die Einheimischen selbst, durch deren Veranlassung und Schuld er den Flammen zum Opfer fiel. Kaum nämlich hatte Titus sich entfernt, als die Empörer nach kurzer Rast abermals gegen die Römer ausrückten. Hierbei kam es zum Handgemenge zwischen der Besatzung des Tempels und denjenigen Mannschaften, die das Feuer in den Gebäuden des inneren Vorhofes löschen sollten. Als nun die Letzteren den zurückweichenden Juden nachsetzten und bis zum Tempelgebäude vorgedrungen waren, ergriff einer der Soldaten, ohne einen Befehl dazu abzuwarten oder die schweren Folgen seiner Tat zu bedenken, wie auf höheren Antrieb einen Feuerbrand und schleuderte ihn, von einem Kameraden emporgehoben, durch das goldene Fenster, wo man von Norden her in die den Tempel umgebenden Gemächer eintrat, ins Innere. Sowie die Flammen aufloderten, erhoben die Juden, entsprechend der Größe des Unglücks, ein gewaltiges Geschrei und rannten, ohne der Gefahr zu achten oder ihre Kräfte zu schonen, von allen Seiten herbei, um dem Feuer zu wehren, denn es drohte unterzugehen, was sie bisher vor dem Äußersten zu bewahren gesucht hatten.

      Ein Eilbote meldete es dem Titus. Schnell sprang dieser von seinem Lager im Zelt, wo er eben vom Kampfe ausruhte, auf und lief, wie er war, zum Tempel hin, um dem Brande Einhalt zu tun – ihm nach die sämtlichen Offiziere und die durch den Wirrwar erschreckten Legionen. Wie bei der ungeordneten Bewegung einer solchen Menschenmenge leicht erklärlich, entstand nun ein fürchterliches, mit betäubendem Lärm untermischtes Getümmel. Der Caesar wollte durch Schreien und Handbewegungen den Kämpfenden zu verstehen geben, man solle löschen; sie aber hörten sein Rufen nicht, da es von dem noch lauteren Geschrei der anderen übertönt wurde, und die Zeichen, die er mit der Hand gab, beachteten sie nicht, weil sie teils von der Aufregung des Kampfes, teils von ihrer Erbitterung völlig eingenommen waren. Keine gütlichen Vorstellungen, keine Drohungen vermochten den stürmischen Andrang der Legionen aufzuhalten; die Wut allein führte das Kommando. An den Eingängen kam es zu einem so schrecklichen Gedränge, dass viele von ihren Kameraden zertreten wurden; viele auch gerieten auf die noch glühenden und rauchenden Trümmer der Hallen und teilten so das Schicksal der Besiegten. In die Nähe des Tempels gekommen, stellten sie sich, als hörten sie nicht einmal die Befehle des Feldherrn, und schrien ihren Vordermännern zu, sie sollten Feuer in den Tempel werfen. Die Empörer hatten übrigens die Hoffnung, den Brand noch eindämmen zu können, völlig aufgegeben; denn allenthalben wurden sie niedergemetzelt oder in die Flucht getrieben. Auch ganze Haufen von Bürgern, lauter schwache, wehrlose Leute, fielen, wo der Feind sie traf, dem Schwert zum Opfer. Besonders um den Altar her türmten sich die Toten in Masse auf; stromweise floss das Blut an seinen Stufen, und dumpf rollten die Leichen derer, die oben auf ihm ermordet wurden, an seinen Wänden herunter.

      Als nun der Caesar dem Ungestüm seiner wie rasend gewordenen Soldaten nicht mehr zu wehren vermochte und die Flammen immer weiter um sich griffen, betrat er mit den Offizieren das Allerheiligste und beschaute, was darin war. Alles fand er weit erhaben über den Ruf, den es bei den Fremden genoss, und ganz entsprechend der fast prahlerisch hohen Meinung, welche die Einheimischen davon hatten. Da übrigens das Feuer bis in die innersten Räume noch nicht vorgedrungen war, sondern nur erst die an den Tempel anstoßenden Gemächer verzehrte, glaubte er, und zwar mit Recht, das Werk selbst könne noch gerettet werden. Er sprang also hervor und suchte nicht nur persönlich die Soldaten zum Löschen anzuhalten, sondern befahl auch dem seiner Leibwache angehörenden Centurio Liberalis, die Widerspenstigen durch Stockschläge zu zwingen. Aber Erbitterung, Judenhass und die allgemeine Kampfwut erwiesen sich stärker als die Rücksicht auf den Caesar und die Furcht vor seiner Strafgewalt. Die meisten freilich feuerte die Aussicht auf Raub an, da sie der festen Überzeugung waren, es müsse, weil sie außen alles von Gold gefertigt sahen, das Innere erst recht von Schätzen aller Art strotzen. Während nun der Caesar heraussprang, um die Soldaten zurückzuhalten, hatte schon einer von denen, die ins Innere eingedrungen waren, im Dunkel Feuer unter die Türangeln gelegt, und da jetzt auch von innen plötzlich die Flamme hervorschoss, zogen sich die Offiziere mit dem Caesar zurück, und