Название | Das Passagen-Werk |
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Автор произведения | Walter Benjamin |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026829706 |
Am Schlusse von »Matière et Mémoire« entwickelt Bergson, Wahrnehmung sei eine Funktion der Zeit. Würden wir – so darf man sagen – gewissen Dingen gegenüber gelassener, andern gegenüber schneller, nach einem andern Rhythmus, leben, so gäbe es nichts »Bestehendes« für uns sondern alles geschähe vor unsern Augen, alles stieße uns zu. So aber ergeht es mit den Dingen dem großen Sammler. Sie stoßen ihm zu. Wie er ihnen nachstellt und auf sie trifft, welche Veränderung in allen Stücken ein neues Stück, das hinzutritt, bewirkt, das alles zeigt ihm seine Sachen in ständigem Fluten. Hier betrachtet man die pariser Passagen als wären sie Besitztümer in der Hand eines Sammlers. (Im Grunde lebt der Sammler, so darf man sagen, ein Stück Traumleben. Denn auch im Traum ist der Rhythmus des Wahrnehmens und Erlebens derart verändert, daß alles – auch das scheinbar Neutralste – uns zustößt, uns betrifft. Um die Passagen aus dem Grunde zu verstehen, versenken wir sie in die tiefste Traumschicht, reden von ihnen so als wären sie uns zugestoßen.〈)〉 [H 1 a, 5]
»L’intelligence de l’allégorie, prend en vous des proportions à vous-même inconnues; nous noterons, en passant, que l’allégorie, ce genre si spirituel, que les peintres maladroits nous ont accoutumés à mépriser, mais qui est vraiment l’une des formes primitives et les plus naturelles de la poésie, reprend sa domination légitime dans l’intelligence illuminée par l’ivresse.« Charles Baudelaire: Les paradis artificiels Paris 1917 p 73 (Aus dem, was folgt, ergibt sich unzweifelhaft, daß Baudelaire in der Tat die Allegorie, nicht das Symbol im Sinn hat. Die Stelle ist dem Kapitel vom Haschisch entnommen.) Der Sammler als Allegoriker □ Haschisch □ [H 2, 1]
»La publication de l’Histoire de la Société française pendant la Révolution et sous le Directoire ouvrit l’ère du bibelot, – et que l’on ne voie pas en ce mot une intention dépréciatrice; le bibelot historique jadis s’appela relique.« Rémy de Gourmont: Le IIe livre des Masques Paris 1924 p 259. Es ist von dem Werk der Brüder Goncourt die Rede. [H 2, 2]
Die wahre Methode, die Dinge sich gegenwärtig zu machen, ist, sie in unsere〈m〉 Raum (nicht uns in ihrem) vorzustellen. (So tut der Sammler, so auch die Anekdote.) Die Dinge, so vorgestellt, dulden keine vermittelnde Konstruktion aus »großen Zusammenhängen«. Es ist auch der Anblick großer vergangner Dinge – Kathedrale von Chartres, Tempel von Pästum – in Wahrheit (wenn er nämlich glückt) ein: sie in unserm Raum empfangen. Nicht wir versetzen uns in sie, sie treten in unser Leben. [H 2, 3]
Im Grunde ein recht sonderbares Faktum, daß Sammelgegenstände als solche industriell hergestellt wurden. Seit wann? Man hätte den verschiedenen Moden nachzugehen, die im 19ten Jahrhundert das Sammeln beherrscht haben. Charakteristisch für das Biedermeier – ob aber auch in Frankreich? – ist die Manie der Tassen. »Eltern, Kinder, Freunde, Verwandte, Vorgesetzte und Untergebene geben sich in Tassen ihre Gefühle kund, die Tasse ist das bevorzugte Geschenk, der beliebteste Zimmerschmuck; wie Friedrich Wilhelm III. sein Arbeitszimmer mit Pyramiden voller Porzellantassen füllte, so sammelte auch der Bürgersmann in seiner Servante in Tassen die Erinnerung an die wichtigsten Ereignisse, die wertvollsten Stunden seines Lebens.« Max von Boehn: Die Mode im XIX Jahrhundert II München 1907 p 136 [H 2, 4]
Besitz und Haben sind dem Taktischen zugeordnet und stehen in einem gewissen Gegensatz zum Optischen. Sammler sind Menschen mit taktischem Instinkt. Übrigens hat neuerdings mit der Abkehr vom Naturalismus der Primat des Optischen aufgehört, der das vorige Jahrhundert beherrscht. ■ Flaneur ■ Flaneur optisch, Sammler taktisch. [H 2, 5]
Gescheiterte Materie: das ist Erhebung der Ware in den Stand der Allegorie. Fetischcharakter der Ware und Allegorie. [H 2, 6]
Man mag davon ausgehen, daß der wahre Sammler den Gegenstand aus seinen Funktionszusammenhängen heraushebt. Aber das ist kein erschöpfender Blick auf diese merkwürdige Verhaltungsweise. Denn ist nicht dies die Grundlage, auf der eine im Kantischen und Schopenhauerschen Sinne »interesselose« Betrachtung sich aufbaut, dergestalt, daß der Sammler zu einem unvergleichlichen Blick auf den Gegenstand gelangt, einem Blick, der mehr und anderes sieht als der des profanen Besitzers und den man am besten mit dem Blick des großen Physiognomikers zu vergleichen hätte. Wie aber der auf den Gegenstand auftrifft, das hat man sich durch eine andere Betrachtung noch weit schärfer zu vergegenwärtigen. Man muß nämlich wissen: dem Sammler ist in jedem seiner Gegenstände die Welt präsent und zwar geordnet. Geordnet aber nach einem überraschenden, ja dem Profanen unverständlichen Zusammenhange. Der steht zu der geläufigen Anordnung und Schematisierung der Dinge ungefähr wie ihre Ordnung im Konversationslexikon zu einer natürlichen. Man erinnere doch nur, von welchem Belang für einen jeden Sammler nicht nur sein Objekt sondern auch dessen ganze Vergangenheit ist, ebensowohl die zu dessen Entstehung und sachlicher Qualifizierung gehört wie die Details aus dessen scheinbar äußerlicher Geschichte: Vorbesitzer, Erstehungspreis, Wert etc. Dies alles, die »sachlichen« Daten wie jene andern, rücken für den wahren Sammler in jedem einzelnen seiner Besitztümer zu einer ganzen magischen Enzyklopädie, zu einer Weltordnung zusammen, deren Abriß das Schicksal seines Gegenstandes ist. Hier also, auf diesem engen Felde, läßt sich verstehen, wie die großen Physiognomiker (und Sammler sind Physiognomiker der Dingwelt) zu Schicksalsdeutern werden. Man hat nur einen Sammler zu verfolgen, der die Gegenstände seiner Vitrine handhabt.
Kaum hält er sie in Händen, so scheint er inspiriert durch sie, scheint wie ein Magier durch sie hindurch in ihre Ferne zu schauen. (Interessant wäre den Büchersammler als den einzigen zu studieren, der seine Schätze nicht unbedingt aus ihrem Funktionszusammenhange gelöst hat.) [H 2, 7; H 2 a, 1]
Der große Sammler Pachinger, Wolfskehls Freund, hat eine Sammlung zustande gebracht, die im Verfemten, Verkommenen sich der Sammlung Figdor in Wien zur Seite stellen ließe. Er weiß kaum mehr, wie die Dinge im Leben stehen, erklärt seinen Besuchern neben den altertümlichsten Geräten Taschentücher, Handspiegel, etc. Von ihm erzählt man, wie er eines Tages über den Stachus ging, sich bückt, um etwas aufzuheben: Es lag da etwas, wonach er wochenlang gefahndet hatte: der Fehldruck eines Straßenbahnbilletts, das nur für ein paar Stunden im Verkehr gewesen war. [H 2 a, 2]
Eine Apologie des Sammlers dürfte nicht an diesen Invektiven vorbeigehen: »L’avarice et la vieillesse, remarque Gui Patin, sont toujours en bonne intelligence. Le besoin d’accumuler est un des signes avant-coureurs de la mort chez les individus comme dans les sociétés. On le constate à l’état aigu dans les périodes préparalytiques. Il y a aussi la manie de la collection, en neurologie ›le collectionnisme‹. / Depuis la collection d’épingles à cheveux jusqu’à la boîte en carton portant l’inscription: Petits bouts de ficelle ne pouvant servir à rien.« Les 7 péchés capitaux Paris 1929 p 26/27 (Paul Morand: L’avarice) vgl aber Sammeln bei Kindern! [H 2 a, 3]
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich so ganz und gar der Betrachtung dieses Erlebnisses hingegeben hätte, wenn ich nicht diese Unmenge phantastischer Dinge bunt durcheinandergewürfelt in dem Laden des Raritätenhändlers gesehen hätte. Sie drängten sich mir immer wieder auf, wenn ich an das Kind dachte, und, indem sie gleichsam unzertrennlich von ihm waren, führten sie mir die Lage dieses Geschöpfchens in greifbarer Deutlichkeit vor Augen. Ohne meiner Phantasie Zügel anzulegen, sah ich Nells Bild von allem umgeben, was ihrer Natur widersprach und den Wünschen ihres Alters und Geschlechts durchaus fernlag. Wenn mir diese Umgebung gefehlt und ich mir das Kind in einem ganz gewöhnlichen Zimmer hätte vorstellen müssen, in dem nichts Ungewöhnliches oder Unnatürliches gewesen wäre, dann hätte höchstwahrscheinlich ihr merkwürdiges und einsames Leben viel weniger Eindruck auf mich gemacht. So aber schien es mir, als lebte sie in einer Art Allegorie.« Charles Dickens: Der Raritätenladen Lpz ed Insel p 18/19 [H 2 a, 4]
Wiesengrund in einem ungedruckten Essay über den »Raritätenladen« von Dickens: »Nells Tod ist beschlossen in dem Satz: ›Es waren noch einige Kleinigkeiten dort, arme, wertlose Dinge, die sie wohl gerne hätte mitnehmen mögen –, aber es war unmöglich.‹ … Daß aber dieser Dingwelt, der verworfenen, verlorenen, die Möglichkeit des Übergangs und der dialektischen Rettung selbst innewohnt, hat Dickens erkannt und besser ausgesprochen, als es der romantischen Naturgläubigkeit jemals möglich wäre, in jener gewaltigen Allegorie