Das Passagen-Werk. Walter Benjamin

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Название Das Passagen-Werk
Автор произведения Walter Benjamin
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788026829706



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Beispiel. Volles Licht aber fällt darauf, wenn man von der erbitterten Polemik erfährt, die in den dreißiger Jahren gegen die Schienen geführt wurde. So wollte A. Gordon: A treatise in elementary locomotion die Dampfwagen – wie man damals sagte – auf Granitstraßen laufen lassen. Man glaubte garnicht Eisen genug für die damals doch erst in kleinstem Maßstab projektierten Eisenbahnlinien produzieren zu können. [F 3, 4]

      Man muß beachten, daß die großartigen Aspekte, die die neuen Eisenkonstruktionen auf die Städte gewährten – Giedion: Bauen in Frankreich 〈Leipzig Berlin 1928〉 gibt in den Abb. 61-63 ausgezeichnete Beispiele am Pont Transbordeur in Marseille – auf lange hinaus sich ausschließlich den Arbeitern und Ingenieuren erschlossen. ■ Marxismus ■ Denn wer sonst als Ingenieur und Proletarier ging damals die Stufen, die allein erst das Neue, Entscheidende – das Raumgefühl dieser Bauten – ganz zu erkennen gaben? [F 3, 5]

      1791 kommt in Frankreich für die Offiziere der Befestigungs- und Belagerungskunst die Bezeichnung »ingénieur« auf. »Und zu derselben Zeit, in demselben Land begann der Gegensatz zwischen ›Konstruktion‹ und ›Architektur‹ sich bewußt und bald in persönlicher Schärfe zu äußern. Die gesamte Vergangenheit kannte ihn nicht … In den ungemein zahlreichen kunsttheoretischen Erörterungen aber, welche die französische Kunst nach den Stürmen der Revolution wieder in geregelte Bahnen zurückbegleiteten, … traten die ›constructeurs‹ den ›décorateurs‹ gegenüber, und sofort zeigte sich die weitere Frage, ob dann nicht auch die ›ingénieurs‹, als ihre Verbündeten, sozial ein eigenes Lager mit ihnen beziehen müßten.« A. G. Meyer: Eisenbauten Esslingen 1907 p 3 [F 3, 6]

      »Die Technik der Steinarchitektur ist: Stereotomie, die des Holzes: Tektonik. Was hat der Eisenbau mit dieser und mit jener gemeinsam?« Alfred Gotthold Meyer: Eisenbauten Esslingen 1907 p 5 »Im Stein spüren wir den natürlichen Geist der Masse. Das Eisen ist uns nur künstlich komprimierte Festigkeit und Zähigkeit.« ebd p 9 »Das Eisen ist an Festigkeit dem Stein vierzigfach, dem Holz zehnfach überlegen und hat jenem gegenüber trotzdem nur das vierfache, diesem gegenüber nur das achtfache Eigengewicht. Ein Eisenkörper besitzt also im Vergleich mit einem gleichgroßen Steinvolumen bei nur viermal größerer Schwere eine vierzigmal größere Tragkraft.« ebd p 11 [F 3, 7]

      »Dieses Material selbst hat schon in seinen ersten hundert Jahren wesentliche Wandlungen erfahren – Gußeisen, Schweißeisen, Flußeisen – so daß heut dem Bauingenieur ein völlig anderer Baustoff zur Verfügung steht als vor etwa fünfzig Jahren … Das sind im Sinne geschichtlicher Betrachtung ›Fermente‹ von beunruhigender Wandelbarkeit. Kein Baustoff bietet etwas auch nur annähernd Verwandtes. Man steht hier am Anfang einer mit rasender Schnelligkeit weiterstrebenden Entwicklung … Die … Bedingungen des Stoffes … verflüchtigen sich zu unbegrenzten Möglichkeiten‹.« A. G. Meyer: Eisenbauten p 11 Eisen als revolutionäres Baumaterial! [F 3 a, 1]

      Wie es indessen im Vulgärbewußtsein aussah, zeigt kraß und doch typisch die Äußerung eines zeitgenössischen Journalisten, einst werde die Nachwelt gestehen müssen: »Im 19ten Jahrhundert erblühte die altgriechische Baukunst wieder in ihrer alten Reinheit.« Europa Stuttgart u Lpz 1837 II p 207 [F 3 a, 2]

      Bahnhöfe als »Kunststätten«. »Si Wiertz avait eu à sa disposition … les monuments publics de la civilisation moderne: des gares de chemins de fer, des chambres législatives, des salles d’université, des halles, des hôtels de ville … qui pourrait dire quel monde nouveau, vivant, dramatique, pittoresque, il eût jeté sur la toile?« A. J. Wiertz: Œuvres littéraires Paris 1870 p 525/26 [F 3 a, 3]

      Welcher technische Absolutismus dem Eisenbau schon lediglich dem Material nach, zugrunde liegt, erkennt man, wenn man sich den Gegensatz vergegenwärtigt, in dem es zu den überkommenen Anschauungen von der Geltung und Brauch⁠〈bar〉⁠keit von Baumaterialien überhaupt stand. »Man brachte dem Eisen ein gewisses Mißtrauen entgegen, eben weil es nicht unmittelbar von der Natur dargeboten, sondern als Bildstoff erst künstlich gewonnen wird. Das ist nur eine Sonderanwendung jenes allgemeinen Empfindens der Renaissance, dem Leo Battista Alberti (De re aedificatoria Paris 1512 fol XLIV) einmal mit den Worten Ausdruck gibt: ›Nam est quidem cujusquis corporis pars indissolubilior, quae a natura concreta et counita est, quam quae hominum manu et arte conjuncta atque, compacta est.‹« A. G. Meyer: Eisenbauten Esslingen 1907 PH [F 3 a, 4]

      Es ist der Überlegung wert – und es scheint diese Überlegung käme zu einem verneinenden Resultat – ob auch früher die technischen Notwendigkeiten im Bauen (aber auch in den übrigen Künsten) die Formen, den Stil so weitgehend determinierten, wie das heute geradezu zur Signatur aller Produktionen dieser Epoche zu werden scheint. Am Eisen als Material ist das schon deutlich, und vielleicht am frühesten, erkennbar. Denn die »Grundformen, in denen das Eisen als Baustoff auftritt, sind … bereits an sich als Einzelgebilde teilweise neuartig. Und ihre Eigenart ist in besonderem Grade Ergebnis und Ausdruck der natürlichen Eigenschaften des Baumaterials, weil schon die letzteren selbst technisch und wissenschaftlich gerade für diese Formen entwickelt und ausgenutzt werden. Der zielbewußte Arbeitsprozeß, der den Rohstoff zum unmittelbar verwendbaren Baustoff umformt, setzt beim Eisen bereits in einem weitaus früheren Stadium ein als bei den bisherigen Baumaterialien. Zwischen Materie und Material waltet hier füglich ein anderes Verhältnis als zwischen Stein und Quader, Ton und Ziegel, Holz und Balken: Baustoff und Bauform sind im Eisen gleichsam mehr homogen.« A. G. Meyer: Eisenbauten Esslingen 1907 p 23 [F 3 a, 5]

      1840-1844: »La construction, inspirée par Thiers, des fortifications … Thiers, qui pensait que les chemins de fer ne marcheraient jamais, fit construire des portes à Paris au moment où il lui eût fallu des gares.« Dubech-D’Espezel: Histoire de Paris Paris 1926 p 386 [F 3 a, 6]

      »Schon vom 15. Jahrhundert an beherrscht dieses fast farblose Glas als Fensterscheibe auch das Haus. Die ganze Entwicklung des Innenraumes folgt der Parole: ›Mehr Licht!‹ – Im 17. Jahrhundert führt sie zu Fensteröffnungen, die in Holland selbst im Bürgerhaus durchschnittlich etwa die Hälfte der Wandfläche einnehmen … / Die dadurch bedingte Lichtfülle mußte … bald unerwünscht werden. Beim Zimmer bot die Gardine eine durch den Übereifer der Tapezierkunst schnell verhängnisvoll werdende Hilfe … / Die Entwicklung des Raumes durch Glas und Eisen war auf einen toten Punkt gelangt. / Da floß ihr von einer ganz unscheinbaren Quelle plötzlich neue Kraft zu. / Und wieder war diese Quelle ein ›Haus‹, das ›Schutzbedürftiges bergen‹ sollte, aber weder ein Haus für Lebewesen noch für die Gottheit, ebensowenig ein Haus für die Herdflamme oder für tote Habe, sondern: ein Haus für Pflanzen. / Der Ursprung aller Architektur aus Eisen und Glas im Sinne der Gegenwart ist das Gewächshaus.« A. G. Meyer: Eisenbauten 〈Esslingen 1907〉 p 55 □ Licht in den Passagen □ Spiegel □ Die Passage ist das Wahrzeichen der Welt, die Proust malt. Merkwürdig wie sie, genau wie diese Welt, in ihrem Ursprung dem Pflanzendasein verhaftet ist. [F 4, 1]

      Über den Kristallpalast von 1851⁠〈:〉 »Unter allem Großen des ganzen Werkes ist diese gewölbte Mittelhalle das Größte – in jenem Sinn … Allein auch hier sprach zunächst nicht ein raumgestaltender Architekt, sondern ein – Gärtner … Das gilt sogar unmittelbar, denn der Hauptgrund für diese Erhöhung der Mittelhalle war, daß sich auf ihrem Terrain im Hydepark herrliche Ulmenbäume befanden, welche weder die Londoner noch Paxton selbst fällen mochten. Indem Paxton sie in sein riesiges Glashaus einschloß, wie zuvor die südlichen Pflanzen von Chatsworth, gab er seinem Bau fast unbewußt einen wesentlich höheren architektonischen Wert.« A. G. Meyer: Eisenbauten Esslingen 1907 p 62 [F 4, 2]

      Viel veröffentlicht als architecte gegen die ingénieurs et constructeurs seine äußerst heftige, umfangreiche Polemik gegen das statische Rechnen unter dem Titel: »De l’impuissance des mathématiques pour assurer la solidité des bâtiments«, Paris 1805 [F 4, 3]

      Von den Passagen, insbesondere als Eisenbauten, gilt: »Der wesentlichste Bestandteil … ist ihre Decke. Sogar die Sprachwurzel des Wortes ›Halle‹ selbst wird daraus abgeleitet. Es ist ein überbauter Raum, nicht ein umbauter; die Seitenwände sind gleichsam ›verborgen‹.« Gerade dies letztere trifft in besonderem Sinne auf die Passage zu, deren Wände erst in zweiter Linie die Funktion von Wänden der Halle, in erster die von Wänden oder Fronten von Häusern haben.