Leopold von Ranke: Historiografische Werke. Leopold von Ranke

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Название Leopold von Ranke: Historiografische Werke
Автор произведения Leopold von Ranke
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027206056



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parlamentarischen Verpflichtungen nicht übel.

      Worin besteht nun seine Größe? Sie liegt in der Stellung, die er einnahm und vollkommen ausfüllte, in den welthistorischen Erfolgen, die er zum Teil bei seinem Leben errungen, zum Teil begründet und herbeigeführt hat.

      Sollte sie aber erfüllt werden, so war an keine politische oder religiöse Parteistellung zu denken. Daß der Protestantismus aufrechterhalten werden mußte, lag am Tage, da der Gegner im Innern seines Reiches zu einer überaus gewaltsamen katholischen Reaktion schritt. Aber wie dies Verfahren zum großen Teil in der Idee der nationalen Einheit und Macht seinen Grund hatte, so war das keineswegs das einzige Moment, auf das es ankam. Ohne die Teilnahme der katholischen Welt ließ sich gegen Ludwig XIV. nichts ausrichten; die Hälfte der Verbündeten, die gegen ihn zusammentraten, waren Katholiken. In diesem Konflikt erschien die Idee der Toleranz als eine historische Notwendigkeit; von Anfang an hat sie Wilhelm III. auf seine Fahnen geschrieben. Für kein Land ist sie bedeutender geworden als für das Deutsche Reich. Von jeher hatte das norddeutsche Fürstentum die protestantischen Ideen dem Kaisertum gegenüber aufrechterhalten; jetzt traten die Heerscharen des einen und des andern der Macht, welche sie beide bedrohte, einträchtig zusammenwirkend entgegen; das Kaisertum der letzten Habsburger nahm eine veränderte Stellung ein, durch welche das Emporkommen der protestantischen Fürsten nicht mehr ausgeschlossen und doch dem Kaisertum eine weitere Ausdehnung möglich gemacht wurde. So standen auch in Holland der städtische Republikanismus und die statthalterische Autorität einander nicht mehr unversöhnlich gegenüber, sobald ein Statthalter das Gemeinwesen gegen einen gefährlichen Feind verteidigte. Aber die Hauptsache war, England von der Verbindung mit der französischen Monarchie, die dieser erst ihr Übergewicht verlieh, loszureißen. Im Gegensatz mit der Krone, welche daran festhielt, mußten dann die parlamentarischen Gewalten in den europäischen Bund gezogen werden; durch die Teilnahme daran wurden sie selbst für Europa unentbehrlich. Diese Koalition der verschiedenartigsten Elemente zustande gebracht und sie der vorherrschenden Macht mit Erfolg entgegengestellt zu haben, das ist die historische Handlung Wilhelms III. Was sonst gibt überhaupt einer bedeutenden Persönlichkeit ihren Charakter, als das Verhältnis der ihr auferlegten oder von ihr übernommenen Verpflichtung zu den angebornen Eigenschaften? Das Zusammentreffen von beiden bildet die großen Männer.

      Seiner krankhaften Natur zum Trotz, zum Erschrecken hager und blaß, mit fortwährendem Asthma geplagt, entwickelte Wilhelm III. doch eine unverwüstliche Arbeitskraft. Er kannte fast kein Vergnügen, er lebte nur in Geschäften, er redete wenig und handelte um so mehr. Jeder seiner Schritte zeugt von gesundem Urteil und kluger Entschlossenheit. Niemand war jemals geschickter, Bündnisse zu bilden und zusammenzuhalten, Armeen der mannigfaltigsten Zusammensetzung ohne Erweckung nationaler Antipathien zu befehligen, auch in den innern Streitigkeiten Zeit und Stunde abzuwarten, zurückzuweichen und doch festzuhalten. In einem seiner Briefe findet sich ein Wort, das als sein Wahlspruch gelten könnte, es lautet: »Vorsichtig und mit Nachdruck.« Er unternahm nie etwas, ohne sich allseitig die Schwierigkeiten vorgestellt zu haben, auf die er dabei stoßen mußte. Bei der Ausführung folgte er fast mehr dem Zuge der Dinge, als daß er von vornherein viel veranstaltet hatte; sein Ehrgeiz erschien immer höchst gerechtfertigt und durch die Verhältnisse geboten. Die Vorbereitung des spanischen Erbfolgekrieges kann als sein politisches Meisterstück gelten.

      In England ist Wilhelm III. nie recht einheimisch geworden. Die muntere Geselligkeit seiner stuartischen Vorgänger lag außer seinem Naturell; zuweilen hat er Feste gegeben, Gesellschaften gesehen, aber nicht weil es ihm selbst Vergnügen gemacht hätte, sondern um seine Dankbarkeit für geschehene Bewilligung zu zeigen oder eine günstige Parlamentssitzung zu gewinnen. Man hatte Mühe bis zu ihm vorzudringen; dann zeigte er sich unbefangen und gesprächig, er ließ sich auf Diskussionen ein und suchte zu überzeugen. Vertraulich aber war er nur in seinem engen Kreise von Holländern, deren Bildung, Sinnesart und Geschmack er teilte. Wenn man die Bauten und Anlagen in Hamptoncourt betrachtet, die sein Andenken erhalten, so empfindet man einen Anhauch holländischen Wesens. Den Gewohnheiten seines früheren Lebens blieb er auch in England treu, vielleicht selbst aus Bedürfnis. Er durfte die Jagden in gewohnter Weise nicht unterlassen, wenn er leben wollte; er brauchte viel Schlaf und reichliche Nahrung; man hat ihm die langen Mittagsmahle, die er mit seinen Holländern hielt, selbst zum Vorwurf gemacht; da ruhte er aus und ließ sich gehen. Alle Jahre im Sommer eilte er nach Holland zurück, selbst wenn es die Geschäfte nicht unbedingt erheischten; er befand sich dort, besonders in Loo, immer am besten.

      Wilhelm war keineswegs unempfänglich für den Glanz der Krone, die ihm zuteil geworden war, und hielt auf Beobachtung der Äußerlichkeiten; doch lag in seiner Art und Weise zugleich etwas von der Familiarität des Privatmannes. Die Franzosen, denen ein gutes Urteil in dieser Beziehung zuzugestehen ist, finden in seiner Erscheinung und seinem Ausdruck Einfachheit, Größe und selbst eine gewisse Anmut. Auch vertraute Freunde klagen doch, daß sie mit der Zeit von ihm vernachlässigt worden seien; sie geben ihm Herzlosigkeit schuld: das mochte daher rühren, daß er eben dann nicht mehr ganz mit ihnen einverstanden war, oder vielleicht daß er ihrer nicht mehr bedurfte. Er lebte nur immer in den großen Angelegenheiten, die freilich allezeit zugleich seine eigenen waren; davor verschwanden ihm die persönlichen Beziehungen.

      Sein Leben macht den Eindruck einer Seefahrt, die zwischen gefährlichen Klippen nicht selten unter heftigen Stürmen dahinführt, in welchen der geschickte Pilot jede Wendung der Elemente benutzen muß.

       Schlacht am Boynefluß 6, 359-362. Seeschlacht bei La Hogue 7, 47-52. Die Bank von England 7, 78-82.