Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

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Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



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aber seit Adrians Tod ist die Familie wirklich kaputt. Sie kümmern sich um nichts mehr, Toni sorgt dafür, dass die Putzfrau und ab und an ein Gartenbaufritz das Nötigste machen, ich kümmere mich um alles Geschäftliche, Steuererklärungen und so – aber sie wissen gar nicht, wie wir so leben, ich glaube, sie wissen nicht mal unsere Adressen. Jedenfalls rufen sie uns nie an, immer müssen wir das machen. Sie sitzen einfach so rum, und einmal am Tag schauen sie sich Adrians Fotoalbum an, vermute ich. Zu fragen trauen wir uns schon gar nicht mehr.“

      „Habt ihr sie nie mal eingeladen, damit sie mal rauskommen?“

      „Oft und oft. Dann guckt Mutti waidwund drein und sagt Hier haben wir aber doch unsere Erinnerungen, wollt ihr uns das nehmen? Als hätten wir verlangt, dass sie ausziehen, und sie nicht bloß zum Kaffee eingeladen! Irgendwann haben wir aufgegeben.“

      „Ich dachte, Toni wollte im Juni heiraten?“

      „Tut sie auch. Aber in aller Stille, die Eltern kann sie ja doch nicht einladen, und ohne sie kann sie kein rauschendes Fest feiern. Wir haben schon überlegt, ob wir es ihnen überhaupt erzählen sollen. Auch, dass Toni mit Marc für zwei Jahre nach Frankreich geht.“

      „Dann musst du ja alles alleine machen!“ Ich war entsetzt, das war wirklich zuviel, schließlich hatte Sandra bei dem Wirtschaftsprüfer, bei dem sie arbeitete, reichlich zu tun und außerdem ab und zu auch mal ein Privatleben. „Ich finde, ihr solltet es ihnen sagen“, meinte ich nach einem weiteren Schluck, „auch wenn es vielleicht ein Schock ist. Aber vielleicht wachen sie dann ja endlich mal auf.“

      „Eher sind sie entrüstet“, wandte Sandra trübe ein, „dass wir es wagen, weiter zu leben, ist ja ohnehin ein Affront. Und deshalb ist es wohl auch uninteressant, wie wir weiter leben.“

      „Verflixt, das Ganze ist jetzt bald zehn Jahre her und es war ein Unfall! Ich will absolut nicht herzlos sein und ich respektiere auch die Trauer um ein Kind - aber nach so langer Zeit? Weißt du, wenn er verschwunden wäre und man bis heute nicht wüsste, was aus ihm geworden ist, aber so? Man muss doch mal loslassen können!“

      „Sag das nicht mir. Wir haben losgelassen. Manchmal würde ich meine Eltern am liebsten auch loslassen.“

      „Das solltet ihr vielleicht wirklich tun. Kann es nicht sein, dass sie gar keinen Grund haben, wieder aufzutauchen, solange ihr sie so umhegt?“

      Sie zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich hast du Recht. Warum wir so tüdelig sind, weiß ich auch nicht. Vielleicht schlechtes Gewissen.“

      „Weil ihr noch lebt? Das ist ja wohl die Höhe!“, zischte ich. „Werfen sie euch das etwa vor?“

      „Nein, wenigstens nicht direkt. Aber wenn eine von uns ihn gefahren hätte...“

      „Ihr wusstet doch gar nicht, dass er noch mal in die Schule wollte! Genauso könnten eure Eltern sich Vorwürfe machen, dass sie genau da gebaut haben, wo nur diese Rennstrecke zur Schule führt!“

      „Meinst du, das tun sie? Möglich wär´s. Ach, nach so langer Zeit hat das doch alles keinen Sinn mehr. Hören wir auf damit!“

      Gerne, aber Sandra ließ das Thema ja doch nicht los – nicht bei diesen geradezu besessenen Eltern! Die Geflügelsandwichs lenkten uns vorübergehend ab, und als auch noch Petra auftauchte und sich einen Stuhl an unseren Tisch zog (nicht ohne sich erst einmal mit einem anderen zu verhaken), fiel es uns leichter, das Thema zu wechseln. Dachten wir wenigstens.

      „Was soll ich meiner Mami bloß zum Muttertag schenken?“, fragte sie uns und sah uns hilfesuchend an, die blauen Augen weit aufgerissen. „Ich kann doch nicht immer mit Herzchenpralinen da auftauchen!“

      „Wo willst du denn jetzt noch was hernehmen?“, fragte Sandra leicht gereizt, weil Petra diese Hilflosigkeit so penetrant zur Schau trug. „Es ist schon fast acht. Willst du einen Spätbesuch starten?“

      „Aber nein, nächsten Sonntag doch erst, Dummerchen!“ Petra lachte fröhlich, aber dann sah sie unsere unbewegten Mienen und ihr Lachen erstarb. „Nein... sagt, dass das nicht wahr ist! Heute?“ Wir nickten gewichtig. „Scheiße!“, jammerte sie los. „Was mach ich denn jetzt? Ich hab´s schon letztes Jahr vergessen! Wieso erinnert ihr mich denn nicht daran?“

      „Wieso kaufst du dir nicht endlich mal einen Kalender und trägst so was ein?“, fuhr ich sie an. „Du bist ein erwachsener Mensch, du musst doch langsam mal deine Termine geregelt kriegen!“

      „Hab ich doch! Aber den muss ich irgendwo liegen gelassen haben, jedenfalls finde ich ihn nicht mehr. Nun schaut nicht so, als ob euch so was nie passieren würde!“

      „Ich hab in der siebten Klasse mal mein Hausaufgabenheft verloren“, sagte Sandra, „aber das war das letzte Mal. Und nach zwei Tagen hatte ich ein neues und alles nachgetragen. Und du, Isi?“

      „Einmal meine Seminarkarte, im ersten Semester. Aber ich wusste, wo ich die vergessen haben musste, und da war sie auch. Kein Problem. Nee, Petra, so was passiert einem denkenden Menschen eigentlich ab einem gewissen Alter, etwa zehn, nicht mehr. Dann kauf dir halt so ein DIN A 0-Ding und pinn´s dir an die Wand! Das verlierst du garantiert nicht.“

      „Das sieht ja scheußlich aus, ich will doch nicht in einem Büro wohnen!“ Ein bisschen Büro hätte ihr gar nicht geschadet, fand ich. Und Sandra auch, so wie sie die Augen verdrehte. „Jedenfalls solltest du schauen, dass du Blümchen und Kuchen auftreibst oder so und schleunigst bei deiner Mami zu Kreuze kriechen“, schlug Sandra vor. „Am Bahnhof kriegst du sicher alles, was du brauchst.“

      „Am Bahnhof? Da ist doch alles total teuer!“

      „Wer nicht mitdenkt, muss mehr zahlen“, sagte ich mitleidlos.

      „Habt ihr nicht noch was?“

      „Was denn? Eine halbtote Topfpflanze oder so? Angeschmuddelte Topflappen? Eine angebrochene oder steinalte Schachtel Pralinen? Du kannst deiner Mami doch nicht irgendwelchen Krempel von anderen Leuten mitbringen! Notfalls probier´s an der Tankstelle, vielleicht haben die noch ein paar Blumen zum Sonderpreis.“ Manchmal hatte Petra ja schon einen Hau, fand ich.

      Sie murrte, lehnte es ab, etwas zu bestellen, und trank mein Bier aus. Danach erhob sie sich, sagte: „Dann werd ich mal...“ und ging, nicht ohne den Stuhl mitten im Gang stehen zu lassen. Seufzend räumte ich ihn aus dem Weg. Petra würde sich auch im Leben nicht mehr ändern! „Lieber eine Scheißfamilie als so sein wie Petra“, fand Sandra und machte sich über ihr zweites Bier her. Ich schob das Glas weg, dem Petra den Garaus gemacht hatte, und nahm mir ebenfalls mein frisches. Köstlich!

      „Ich denke, wir müssen uns mit unseren Geschwistern trösten“, schlug ich vor. „Toni ist doch echt nett, oder? Und Philipp ist auch ganz in Ordnung. Für einen Bruder wenigstens.“

      „Ja, schon. Aber Toni geht ja nach Bordeaux. Vielleicht kein Wunder, wenn die beiden Weinbau studiert haben, was kann man da im Bierland schon werden.“

      „Und dann bist du ganz alleine, meinst du?“

      Sie starrte in ihr Bierglas und schwenkte den Inhalt hin und her.

      „Ich bin doch auch noch da, Mensch! Und was ist mit Florian?“

      Sie zuckte die Achseln. „Flo? Der ist nicht der Typ für so was. Nett, lustig – aber nicht belastbar. Der macht die Fliege, wenn ich stressig werde.“

      „Ehrlich? Warum behältst du ihn, wenn er so wenig taugt?“

      „Wieso so wenig? Er ist nett und lustig, wie gesagt. Und gut im Bett. Mehr wollte ich eigentlich gar nicht. Als Seelentröster hab ich ihn nicht engagiert, also muss er das auch nicht können. Und wenn es ihm zu viel wird und er sich davon macht – schade wär´s schon. Ich mag keine einsamen Nächte.“

      Ich verstand das nicht – entweder war ein Mann rundum perfekt, oder er konnte mir gestohlen bleiben. Wenn man es wie Sandra machte, brauchte man womöglich ja mehrere – einen fürs Bett, einen zum Reden, einen zum Heimwerken, einen für den Sport... Viel zu anstrengend!

      „Liebst