Tödliches Monogramm. Elisa Scheer

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Название Tödliches Monogramm
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783737562591



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drei waren nicht doof und nicht hässlich und auch keine Junkies (wenn sie auch manchmal so taten), aber sie machten nichts aus sich. Sie liefen rum wie die Penner und kultivierten ein Auftreten, bei dem es jeder Frau mit Geschmack im Handgelenk juckte, sie schauten nur dann in der Uni vorbei, wenn gar nichts Spannenderes anlag (außer Olaf, den hatten sie gerade rausgeschmissen) und hatten, wenn überhaupt, die obskursten Jobs. Drei kleine Gauner, hatte ich manchmal das Gefühl.

      Thilo wenigstens sagte manchmal ganz offen, sein Ziel gehe dahin, ohne Arbeit durchs Leben zu kommen – Arbeit sei für die Blöden, er sei zu schlau dafür. Wovon lebte der eigentlich? Und die anderen? Zahlten die Eltern da etwa immer noch? So gut müsste man´s mal haben, ärgerte ich mich schon wieder und versuchte, die ersten Aktivitäten von Johann Friedrich Greiff knapp und übersichtlich auf das Handout zu bringen. Vielleicht noch einen Auszug aus seiner wutentbrannten Kampfschrift Wider die gottlosen Horden der Raubdrucker, insonderheit Herrn Schmieder zu Karlsruhe (Leisenberg 1774)...

      Drüben dröhnten die Bässe so laut, dass ich fast mein eigenes Telefon überhört hätte. Im letzten Moment hechtete ich hin und meldete mich. „Ich brauch ein Bier und was Gescheites zu essen“, jammerte es am anderen Ende. Wenn Sandra so kläglich drauf war, hatte sie eine Überdosis Familie genossen – und ich hatte jetzt sowieso keine Lust mehr. Morgen musste ich erst um drei in eine Vorlesung und um sieben arbeiten, also konnte ich ausschlafen. Warum nicht weggehen und hinterher, wenn diese Maden von nebenan zugedröhnt pennten, noch ein bisschen arbeiten?

      „Ins Ratlos?“, schlug ich also vor.

      „Ja, gut, in einer halben Stunde?“

      Da musste ich mich zwar beeilen, aber warum nicht? Ich schraubte den Füller zu, mit dem ich meiner stockenden Arbeitsweise mehr Schwung hatte verleihen wollen, und fuhr in die Stiefel – für Mai war es noch ziemlich kalt, und auf dem Fahrrad erst recht. Geld, Zigaretten, Handy (wozu, wusste ich auch nicht), warme Jacke, Handschuhe – wieso war da mal wieder nur einer? Ich sollte vielleicht doch mal aufräumen!

      Der zweite fand sich in der Jackentasche, ich schloss die Tür hinter mir ab und unten die komplizierten Schlösser meines Gefährts wieder auf. Hier wurde ganz schön geklaut, also hatte ich eine dicke Stahlkette durch beide Räder gewickelt und dann alles an den Apfelbaum im Hof gekettet, dazu noch ein Speichenschloss angebracht und ein Zahlenschloss, das die Kette blockierte. Damit saute ich mir zwar jedes Mal die Finger ein, aber immerhin hatte ich das Rad noch. Das konnte natürlich auch an seinem Schrotthaufen-Eindruck liegen, musste ich zugeben, während ich über das Kopfsteinpflaster der Sellinger Straße Richtung Univiertel hoppelte und garantiert wieder ein paar Schrauben verlor. Ein Auto müsste man haben, so wie dieses Schnuckelding, das vorhin vor dem Haus geparkt hatte. Ein Japaner, aber edel, in Silbergrau. So was konnte man ordentlich abschließen, drinnen war es warm, durch die Federung spürte man nicht jeden Katzenkopf, man konnte was mitnehmen, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten... Geld müsste man haben, genügend Geld! Ich hatte zwar Geld, aber nur so viel, dass ich zwei Monate ohne Job überstehen konnte, ohne dass mein Konto ins Minus geriet. Mehr hatte ich noch nie gehabt, mir zahlte ja auch keiner das Studium! Ich kriegte immer nur zu hören Wann bist du denn jetzt endlich mal fertig? Was studierst du gleich wieder? Wozu soll das gut sein? Weiberkram! Kannst du dich nachher wenigstens mal selbst ernähren? Willst du nicht doch lieber heiraten? Einmal muss es ja doch sein!

      Erstens – wieso musste es sein? So wie Zahnarzt? Zweitens – wieso musste ich mir das immer anhören, ohne sagen zu dürfen, dass ich längst fertig wäre, wenn ich nicht vom ersten Semester an nebenbei hätte arbeiten müssen? Drittens – den Magister hatte ich ja längst, nur die Diss dauerte so lang. Und viertens ging das meinen Vater gar nichts an – wer sich weigerte zu zahlen, ja, wer seine studierwillige Tochter praktisch rauswarf, der hatte nichts mehr mitzuquatschen!

      Der Ärger gab mir den Schwung, den Sophienhügel neben dem Waldburgviertel ganz hochzuradeln, ohne mich auf die Pedale stellen zu müssen – und nun musste ich bloß noch die Sophienstraße entlangrollen, ohne über eine leichtsinnig geöffnete Fahrertür zu fliegen, zweimal abbiegen und das Rad wieder narrensicher an einen Laternenpfahl ketten.

      Im Ratlos ging es wie üblich gewaltig zu, aber ich schaffte es doch noch, mich durchzuboxen und einen Zweiertisch am Fenster zu ergattern. Sandra kam nur einen Moment nach mir und ließ sich erschöpft auf den Stuhl mir gegenüber fallen. „Ich halt´s nicht mehr aus!“, stöhnte sie und versuchte, sich im Sitzen aus ihrem Mantel zu schälen.

      „Du warst bei deinen Eltern“, stellte ich überflüssigerweise fest.

      „Klar. Muttertag. Du etwa nicht?“

      „Gestern. Da war Papa nicht da, er findet ja ohnehin, dass Muttertag völlig überbewertet ist, weil er die Kohle ranschafft und Mama angeblich nichts tut. Aber den Krach haben wir schon so oft durchgespielt, darauf hatte ich keine Lust mehr. Und Mama sagt ja doch bloß immer Kind, nun lass doch und guckt verschreckt.“

      „Dein Vater ist ein Riesenarschloch“, stellte Sandra fest.

      „Darauf einen Dujardin“, stimmte ich zu und winkte Ayse, die sofort herbeieilte und uns zwei Bier und zwei Geflügelsandwichs versprach.

      Sandra seufzte und zündete sich eine Zigarette an. „Wolltest du nicht eigentlich aufhören?“, fragte ich und bereute es sofort, denn ihr traten die Tränen in die Augen. „Klar. Ich wollte vieles, aber dann sehe ich sie wieder... findest du mich eigentlich egoistisch? Wenn ich auch mal zur Kenntnis genommen werden möchte?“

      „Unsinn, das ist doch ganz natürlich“, widersprach ich sofort. Im Stillen fand ich Sandras Eltern mindestens so furchtbar wie meine eigenen, aber sie verteidigte sie immer, wegen des großen Verlusts.

      „Heute auch wieder... Sie haben uns geschmerzt angelächelt, Toni und ich haben unsere Geschenke überreicht und wir hatten auch einen Tisch reserviert, in Herzhofen... aber dann hatte Mutti wieder einen Weinkrampf, weil ihr eingefallen ist, dass Adrian ihr bestimmt auch was geschenkt hätte, wenn er noch da wäre... und schließlich hat Vati uns weggewunken und wir kamen uns mal wieder so vor, als hätten wir die Krise mutwillig ausgelöst.“

      „Allmählich könnten sie ja doch mal realisieren, dass sie drei Kinder haben und zwei noch da sind“, fand ich.

      „Ja, denke ich auch. Aber dann komme ich mir wieder so egoistisch vor... immerhin lebe ich, mir geht´s eigentlich gut, Toni auch – und Adrian ist tot.“

      „Aber das ist Jahre her! Allmählich müsste das doch ein bisschen verblassen und die beiden müssten eigentlich mal wieder ihren Alltag zur Kenntnis nehmen.“

      Sandra schnaubte. Allmählich schien der Ärger den Kummer zu besiegen. „Von wegen! Bei allem und jedem heißt es Macht ihr das bitte, ihr wisst doch... dafür sind wir nun wirklich nicht in der Verfassung...“

      „Mein Gott, ihr habt doch auch getrauert, immerhin war er euer kleiner Bruder!“

      „Ja, aber eben nicht lebenslang. Toni hat nicht mit ihrem Freund Schluss gemacht, ich hab weiter studiert – ich glaube, das nehmen sie uns übel. Dass für uns das Leben irgendwann weiter gegangen ist. Weißt du was? Ich musste heute die Bügelwäsche nach oben tragen, und da hab ich gesehen, dass Tonis Zimmer nun eine Wäschekammer ist und meins so eine Art Gästekabuff – als ob da jemals jemand käme – und Adrians Zimmer schaut noch genauso aus wie damals, mit dem FC Bayern-Bettbezug und dem steinalten Rechner, seinem Jugend-forscht-Trostpreis und den Abenteuerbüchern. Über dem Sessel liegt sogar noch ein verknautschtes Hemd, und in der Ecke steht die volle Sporttasche. Fehlt bloß noch die rote Kordel vor der Tür. Aber wenn wir mal aus irgendeinem Grund zurückmüssten – dafür hätten sie keinen Platz.“

      „Ist es vielleicht auch, weil Adrian eben der Sohn war?“, fragte ich, weil mein Vater nur Augen für Philipp hatte, der sich aber auch nicht öfter sehen ließ, weil er Papa so wenig leiden konnte wie ich. „Ja, vielleicht. Ich glaube, so arg wie bei euch ist es nicht, aber man merkt es schon auch: Nur noch die Mädchen übrig... eigentlich unglaublich, in welchem Jahrhundert leben wir denn!“

      „Das scheint manchen aus der Elterngeneration wirklich