Ganz für sich allein. Werner Koschan

Читать онлайн.
Название Ganz für sich allein
Автор произведения Werner Koschan
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738097450



Скачать книгу

waren begeistert und haben mir geholfen, wo sie nur konnten. Nach der Freilassung habe ich dann in einer Fernmeldeeinheit der Wehrmacht im Offizierskasino den Barmixer gespielt. Meine Drinks waren dort genauso der Hit wie in Antibes und ich war praktisch vor jeglicher Nachstellung sicher. Im Mai 1940 ging es mit denen nach Belgien und als Clou habe ich am 22. Juni in Compiègne die Drinks zum Abschluss der Waffenstillstandsverhandlungen gemixt.«

      »Du? Das gibt es nicht! Du bei jenen hohen Herren?«

      »Ja. Scheißplatte, ist schon wieder zu Ende. Na gut, lassen wir eben die Rückseite laufen. So, na also. Wo war ich? Ach ja, hat ja niemand gewusst, dass ich so gerne ein Franzose wäre! Und ich habe mir gedacht, in der Höhle des Löwen wird mich der Löwe wohl nicht vermuten. Ganz einfach. Und in Paris habe ich von einem süßen Mädchen französisch sprechen gelernt wie ein Pariser. Die Kleine hat im Widerstand mitgemischt und ich habe ihr alles erzählt, was ich im Kasino gehört hatte. Besoffene Offiziere reden ziemlich viel. Françoise, so hieß das Mädchen, wollte mir helfen, mich ins unbesetzte Frankreich schaffen und mir auf den Namen Gérard Courvoisier französische Papiere besorgen. Courvoisier, weil ich diesen Cognac als Grundlage meiner Drinks benutzte. Zu Weihnachten 1942 sollte es so weit sein. Ja, Scheiße!«

      »Bruno!«

      »Nix, Bruno. Im November hat dann die Wehrmacht mit der Besetzung der Südzone Frankreichs begonnen. Und somit hatte ich erneut Pech. Es war unmöglich, so schnell unbemerkt die Seiten zu wechseln. Und als sich die Zeichen einer alliierten Landung in Frankreich mehrten, rieten mir meine französischen Freunde, nach Dresden zurückzukehren. Sie würden sich melden. Und so bin ich hier gelandet. Wenn irgend möglich, möchte ich nach Antibes, bevor der Krieg zu Ende ist. Denn danach wird man uns bestimmt eine ganze Weile nicht aus Deutschland rauslassen, aber ich will dort unten leben. Das Essen, die Frauen und die Sprache haben es mir angetan. Abhauen werde ich auf jeden Fall. Und wenn es in der Nähe einen Volltreffer geben sollte, wird Bruno Bierlos nicht mehr existieren, Gérard klingt wesentlich besser. Wenn es mal im Hause kracht, sollten Sie besser anderswo in einem Keller überleben. Na ja, kann man ja nicht vorhersehen.«

      Der Marsch war leider zu Ende. Komisch, dass ausgerechnet ich dies bedauerte, wo ich doch Militär, Fahnen und Marschmusik für das Dümmste halte, was es gibt.

      »Jawohl, Herr Doktor, Sie haben recht!«, rief Bruno überlaut. »Wenn erst die neuen Waffen des Führers da sind, werden wir es den Kerlen ordentlich zeigen. Ich wünsche ein siegreiches neues Jahr. Ich werde nun die Verdunkelung im Block kontrollieren. Zunächst einmal muss ich pinkeln. Kommen Sie, Herr Doktor, lassen Sie uns eine gute deutsche Eiche düngen.«

      Ich folgte Bruno Bierlos. Jeder Horcher hätte gewusst, einem Blockwart stellt man sich besser nicht in den Weg.

      »Meinst du wirklich«, fragte ich Bruno draußen, »es ist gut, einen Juden aufzufordern, eine deutsche Eiche zu düngen? Schadet womöglich der Stämmigkeit, oder?«

      Bruno schwieg einen Moment lang. »Also die Verordnung ist bislang nicht raus. Wer weiß, aber ich wollte Ihnen unbedingt etwas zeigen.«

      Brunos Wasser plätscherte die Eichenrinde hinunter. Bruno schaute sich zunächst sorgfältig um und dann an mir hinunter.

      »Sie sind beschnitten, Herr Doktor, bedeutsam in unserer großen Zeit. Tja, ich habe auch etwas zu bieten, sehen Sie nur.«

      Ein Mann schaut nicht so leicht weg, dachte ich, und blickte an Bruno hinab und wollte es nicht glauben. Der Anblick verschlug mir den Atem. Ich schaute wieder in Brunos Augen und atmete tief aus.

      »Du bist beschnitten?! Kein Mensch wird einem beschnittenen Mann einen öffentlichen Posten in Deutschland verschaffen können. Und wieso bist du jetzt Blockwart?«

      Bruno lachte. »Purer Zufall, Herr Doktor. Ich war acht Tage alt, als mein Vater mich beschneiden ließ. Er war 1913 zum jüdischen Glauben übergetreten. Das wusste allerdings kaum jemand. Ich habe mich lange geschämt, weil ich eben anders war als die anderen - mittlerweile bin ich stolz darauf. Und einem hinkenden Mann glotzt keiner auf den Pimmel. Nicht einmal bei der Musterung wollte man mich zum Glück eingehender betrachten. Wir Gehkrüppel waren nie gerne gesehen. Aber unser Krieg hat inzwischen so viele Krüppel produziert, dass wir mittlerweile gar nicht weiter auffallen. Nicht mal Goebbels Klumpfuß und wer weiß, vielleicht gilt das demnächst sogar als besonders schick. Womöglich plant er sogar ein Gesetz in dieser Richtung, von dem wir nichts ahnen. Hinken darf in Großdeutschland nicht als krank gelten. Beschnitten sein schon, denn das ist undeutsch! Apropos, ich wollte Ihnen ja eine komische Begebenheit erzählen. Am 9. November letzten Jahres bin ich Esel am Adolf-Hitler-Platz in einen Aufmarsch zum Heldengedenken an Wessel und den Novemberputsch gestolpert. Wie ich da nun stehe und nicht weg kann, fangen die Dummköpfe an zu grölen: ›Juden raus, Juden raus!‹ Solch einen Blödsinn muss man sich erst mal vorstellen, es gibt doch kaum noch welche. Schließlich haben die Kerle vorletztes Jahr im Juni, ich glaube am 12. war’s, die Reichsvereinigung der Juden aufgelöst, weil es im ganzen Reich gar keine mehr gäbe. Hätte ich diesen grölenden Hirnlosen am liebsten entgegengerufen.«

      »Um Himmels willen, was hast du gemacht?«

      »Na, was werd ich gemacht haben? Ich habe mitgeschrien ›Juden raus!‹ - Soll ich mich totschlagen lassen?«

      7.

      Im Januar übernahm ein anderer Blockwart das Kommando. Bruno Bierlos war wie vom Erdboden verschwunden, obwohl wir keinen Angriff bekommen hatten. Was mochte seine gute Gelegenheit gewesen sein? Hoffentlich schaffte er es zu den Franzosen. »Ach Bruno«, sagte ich ins Nichts. »Ich wünsche dir alles erdenklich Gute.« Welchen Namen hatte er mir denn nur genannt, den er in Frankreich führen wollte? Irgendwas mit Schnaps, das wusste ich, nur welcher Schnaps? Keinen blassen Schimmer. Irgendwas Französisches, Cognac bestimmt. Ich werde alt. Hennessy war es auf jeden Fall nicht. Na egal. Alles Gute, Bruno.

      Die erste Anordnung des Neuen fand ich morgens an unsere Haustür gezwickt: ›Nichtariern sind die Arierkeller verboten!!!‹, wahrhaftig mit drei Ausrufezeichen. Offensichtlich hatte Bruno Bierlos tatsächlich genau gewusst, wovon er in der Silvesternacht gesprochen hatte. Zwar haben wir in unserem Judenhaus in der Sporergasse 2 einen Kellerverschlag in dem Juden sich verkriechen dürfen, aber nebenan im Mittelhaus gab es einen geeigneten Keller, der aus gemauertem Gewölbe einem richtigen Betonboden errichtet war. Dort durfte ich nun nicht mehr hinein. Jedes Mal, wenn die Sirenen heulten, machte ich mir beinahe in die Hosen und betete, dass Mutschmann recht behalten würde, und Dresden bliebe tabu.

      Die Gemeinsamkeit und der damit verbundene Schutz vor bürgerlicher Willkür bröckelte. Noch durften wir gemeinsam leben und wohnen, nur nicht mehr gemeinsam sterben. Carola durfte ohne Weiteres mit mir in unseren Judenkeller, doch da war kein Mensch wirklich drin sicher. Meinen Vorschlag, dass ich in den Judenkeller ginge und Carola nach nebenan, dann wären wir nur durch eine Brandmauer getrennt, lehnte Carola kategorisch ab.

      So paradox es klingen mag, wenn Carola und ich gemeinsam im Keller gehockt hatten, erschien uns auch jeder einzelne Angriff unerträglich - obwohl wir in Dresden beileibe nicht so viel abbekommen haben wie Berlin oder das Ruhrgebiet. Die Angst vor dem Tod lässt sich bei allem Intellekt nicht abschütteln. Und nun künftig getrennt zu sein angesichts des herabfallenden Todes, erschien uns noch viel grausamer. Als ob man gemeinsam leichter sterben würde.

      Den Keller in unserem Haus mochte sie nun überhaupt nicht mehr. Carola sprach oft vom Judenkeller in der Zeughausstraße. Selbst der Judenkeller in der Cranachstraße erschien ihr, aus welcher rationalen Überlegung auch immer, recht sicher zu sein und hatte zumindest den Vorteil, dass wir im Falle eines Angriffs nur einen kurzen Weg von zu Hause bis dorthin zurücklegen mussten. Bloß über den Schlageter Platz, zweihundert Meter die Pillnitzer lang und links in die Cranachstraße bis zur Nummer zwölf, ein Katzensprung. Ihren Rucksack hielt Carola bei Tag und Nacht griffbereit. Möbel und derartige Gegenstände zu verlieren, schien ihr völlig gleichgültig zu sein. Und sie hatte bisher recht behalten. Bei jedem Voralarm führten wir nur diesen Rucksack mit uns. Mal trug sie ihn, mal ich. Dresden blieb ja meist verschont. Wenn wir wieder in unsere Wohnung traten, lächelte Carola überlegen. Nichts war geschehen,