Till Türmer und die Angst vor dem Tod. Andreas Klaene

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Название Till Türmer und die Angst vor dem Tod
Автор произведения Andreas Klaene
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738062090



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so oder so. Immer, auch wenn wir es nicht sehen.« Sie drückte sich an ihn, und Tills Finger glitten über ihren Leib. Dann hob sie ihre Arme, legte ihre Hände in seinen Nacken, und er umfasste zärtlich ihr Gesicht. Eine Weile standen sie einfach da, ganz still, und schauten in die Finsternis, in deren Ferne das winzige Licht eines Schiffes zu erkennen war.

      Als er dann ihren Nacken mit seinem Mund berührte, rangen ihre Hände nach allem, was von ihm greifbar war. Wie ein Sturm fuhren sie unter seine Jacke. Ihre Körper sanken hinab, erreichten das Deichgras wie zwei Athleten ihr gemeinsames Ziel. Till küsste Katrins Mund, dann mit liebender Hast ihre Schultern und ihren Leib, bis ihre Stimme ihn unterbrach.

      »Gleich kommt die Flut, Till, sie kommt«, hörte er sie sagen und fühlte eine urplötzliche Windstille mitten im Orkan. Was sie gesagt hatte, begriff er wie eine liebende Forderung, eine, der er nicht ent­kommen konnte und wollte.

      Einen Atemzug lang hallten in Till die Gespräche wider, die er mit ihr an diesem Abend gehabt hatte, und er ahnte, mit dieser Frau gegen den Strom schwimmen zu können.

      Ein plötzlich herannahendes Geräusch durchdrang die Deichstille. Es kam näher. Sie lauschten, hörten ein tiefes, dumpfes »Rott-Rott-Rott«. Katrins Atem stockte.

      »Was ist das?« flüsterte sie.

      Lauschend hob er den Kopf. »Müssen Ringelgänse sein«, sagte er und schaute in das Schwarz des Himmels. »Klingt jedenfalls so. Aber die sind verdammt spät dran. Müssten schon längst weg sein.«

      »Weg? Wohin?«

      »Zur Paarung nach Lappland und in irgendwelche arktischen Gewässer. – Und dann bleiben sie zusammen.«

      Sie legte ihre Hände auf seinen Rücken, zog ihn an sich heran. Wie in tosender See schwangen ihre Körper im Takt der Brandung. Till hatte das Gefühl, mit allem was er war, immer tiefer in Katrin zu ankern. Aber noch in derselben Nacht riss der Anker los.

      Till blickte noch immer auf die glänzenden Fliesen in der Hoteltoilette, als suchte er in den grauen Fugen nach einem Weg zu der Stimme am Fenster, die ihn so in Aufruhr gebracht hatte. Gleichzeitig dachte er an Katrin, daran, wie sie sich ihr Kleid auf dem Deich überzog und ihn umarmte. Dann hörte er ihre Stimme, mit der sie leise und fasziniert sagte: »Absolute Nähe in absoluter Weite.« Aber sie hatte ihm noch mehr zu sagen. Nämlich, dass sie übermorgen nach Somalia fliege. Für einige Jahre. Im Dienst von Ärzte ohne Grenzen.

      Er blickte wieder auf das Fenster. Dann drehte er sich um und hörte noch im Weggehen, wie die Unbekannte sagte: »Ich weiß, was zu tun ist. – Tut mir leid, Ute, muss jetzt wirklich los.«

      In der Hotelhalle meldete sich sein Verstand. Der flüsterte ihm, dass er eine ziemlich lächerliche Figur darstellte. Also zwang er sich, nicht in Laufschritt zu geraten. Sein Blick zielte auf den Ausgang. Er ging forsch, dachte ganz kurz daran, nach rechts zu seinem verlassenen Gast zu sehen, ließ es aber sein. Draußen bog er um die Ecke, und sobald er die Fensterfront des Hotels hinter sich hatte, erlaubte er sich einen kurzen Sprint bis zur hinteren Ecke. Dort stoppte er. Seine Augen suchten nun an der roten Klinkerfassade das Fenster, hinter dem er soeben noch gestanden hatte.

      Sofort war er sich sicher, das richtige gefunden zu haben. Eine junge Frau stand etwa dort, wo er kurz zuvor durchs Fenster diffus zwei Gestalten erkannt hatte. Das musste Ute sein. Sie hatte sich etwas von der Hauswand entfernt, stand nun auf dem gepflasterten Parkplatz und winkte jemandem zum Abschied. Till konnte gerade noch sehen, wem ihr Gruß galt. Am Straßenrand leuchteten die gelben Lichter eines kirschroten Minis auf. Eine kleine, zierliche Frau von vielleicht Mitte dreißig winkte zurück. Er wollte sich schnell einprägen, was er sah. Ihr volles dunkles Haar bedeckte halb ihre Schultern. Das Rot ihres Kleides war fast das gleiche wie das ihres Autos. Der schimmernde Stoff bedeckte nicht einfach ihren Körper, er hantierte sanft an ihren grazilen Formen. Dann schlug die Wagentür zu, und die Frau wurde wieder zu dem, was sie schon einmal war: nur eine Stimme hinter Glas, die in ihm etwas in Aufruhr brachte. Während die Unbekannte ihren Mini in Bewegung setzte und nichts als eine Parklücke hinterließ, wartete Till darauf, dass ihr Autokennzeichen zum Vorschein kam. Aber sie verschwand sogleich in der nächsten Seitenstraße, und was er erkennen konnte, war nur der erste Teil des Schildes: »AUR – S«.

      Nun stand er da an der Hausecke wie jemand, der unmittelbar nach einem mitreißenden Film wieder in seine Realität zu springen hatte. Als er zur Seite blickte, sah er noch einmal die Frau, deren Name Ute sein musste. Sie drehte sich um und folgte einer Gruppe festlich gekleideter Leute, die alle auf den hinteren Eingang des Hotels zusteuerten. Till hatte das Gefühl, noch einen Versuch starten zu müssen. Wie, davon hatte er keine Ahnung, er wusste nur, dass er diese unbekannte Ute jetzt nicht aus dem Blick verlieren sollte. Bevor sie, der Gruppe folgend, das Haus betrat, war er direkt hinter ihr. Er hörte, wie weitere Gäste ihm folgten, und sah sich im Strom einer Herde, die gemeinsam einem Ziel entgegenstrebte, das wohl nur er nicht kannte.

      Mitgezogen von den anderen landete er in dem Saal, aus dem schon während seines Treffens mit Grossanter Feststimmung zu hören war. Ob der noch in der Lounge saß, wusste Till nicht, weil er über den Seiteneingang in den Saal gelangt war. Aber das interessierte ihn jetzt auch nicht. Er hatte damit zu tun, die unbekannte Frau zwischen den vielen Menschen, die im Eingangsbereich standen und sich mit einem Glas Sekt in der Hand unterhielten, nicht aus den Augen zu verlieren. Er schob sich nah hinter ihr durch die Menge, so nah, dass er den Duft ihres kurzen blonden Haares in der Nase vernahm.

      »Hey, wo hast du sie gelassen?«, fragte ein Mann in ausgelassener Stimmung, als er Ute entdeckte.

      »Wen, Sarah?«

      »Natürlich Sarah«, antwortete er, als könnte an diesem Ort nur das Fehlen einer einzigen Person von Relevanz sein.

      Ute winkte ihn näher zu sich heran und sagte dann so, als sollte es nicht jeder hören: »Sie ist zurück nach Pewsum.«

      »Wie, was will sie denn ausgerechnet jetzt zu Hause? Ich bin doch hier!«

      »Sie ist nicht nach Hause. Ihr Handy hat sich gemeldet, ihr Dienst­handy.«

      »Ja und? Heute feiern wir, da hat dieses Ding doch nichts zu melden.«

      »Das sieht sie aber anders. Kannst ihr ja helfen, damit sie schneller wieder hier ist.«

      Der Mann verdrehte die Augen und winkte ab. »Um Gottes Willen! Das würde mich umhauen«, sagte er, ging weiter und verschwand in der feiernden Gesellschaft.

      Was Till da gehört hatte, war für ihn bei aller Rätselhaftigkeit wie ein überraschendes Geschenk. Nun hatte er ganz beiläufig immerhin Vornamen und Wohnort herausbekommen. Aber was nutzte ihm das, ihm fehlte das Werkzeug, mit dem er die verschweißte Verpackung seines Geschenks aufreißen konnte. Einen kurzen Moment überlegte er, ob er Ute in ein Gespräch verwickeln sollte, schlug sich das aber sogleich aus dem Kopf. Hier, wo er nicht dazugehörte, war das nicht die passende Vorgehensweise. Aber dass sie ausgerechnet in Pewsum, diesem besonderen Nest in der Weite ostfriesischer Küstenlandschaft, wohnte, gefiel ihm. Und das nicht nur, weil er diesen Ort von Aurich aus in einer guten halben Stunde erreichen konnte. Der Hinweis auf Pewsum war für ihn wie die erste kleine Skizze eines Planes, der ihn irgendwann zu seinem Ziel führen könnte.

      Verdrängter Anruf

      Als das Telefon klingelte, war wieder einmal keine Rufnummer im Display zu sehen. Genau wie beim Anruf eine Viertelstunde zuvor. Aber diesmal wurde nicht nach dem zweiten Klingelton aufgelegt. Till sah auf das Display, wartete noch ein paar Sekunden, bevor er abhob. Er hatte Erfahrung mit Anrufern, die sich nicht zeigten. Die meisten zögerten noch, sich ihm anzuvertrauen. Manche gestanden ihm später, irgendwie froh darüber gewesen zu sein, dass er nicht abnahm. Sein Anrufbeantworter kam ihnen gerade recht. Sie wollten erst einmal nur die Stimme hören, um dann zu entscheiden, ob sie vor diesem Mann ihre Hüllen fallen lassen konnten.

      Die Frau am anderen Ende nannte eilig ihren Namen. Zu eilig, als dass Till ihn hätte verstehen können. Aber er hakte nicht nach, ließ sie noch ein wenig hinter ihrem Vorhang stehen.

      »Ich schlage mich schon arg lange