Till Türmer und die Angst vor dem Tod. Andreas Klaene

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Название Till Türmer und die Angst vor dem Tod
Автор произведения Andreas Klaene
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738062090



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Wo auch immer er sich mit jemandem verabredete, wollte er der Erste sein. Manchmal kam er auch eine Viertelstunde früher. Er legte Wert darauf, sich mit dem Ort vertraut zu machen, die Atmosphäre zu schnuppern, möglichst genau zu wissen, wo er war.

      In der Lounge war es still. Rechts von ihm blickte er auf eine zweiflügelige Tür, hinter der er einen Saal vermutete. Dumpf drang von dort die Unterhaltung einer größeren Gesellschaft zu ihm herüber, dann Gelächter. Die Tür öffnete sich, ein paar festlich gekleidete Frauen und Männer kamen heraus, gingen lachend durch die Hotelhalle, um vor der Eingangstür eine Zigarette zu rauchen. Till sah sich um, suchte sich einen Platz, von dem aus er durch die große Glasfront die Hotelzufahrt im Blick hatte.

      Ein Kellner kam, fragte, ob der Herr einen Wunsch habe. Was Till sich wünschte, konnte dieser Mann ihm nicht geben. Weil er aber so aussah, als ließe er sich nicht davon abhalten, Wünsche zu erfüllen, bestellte Till einen Kaffee. Die überaus galante Bedienung verneigte sich tief. Zu tief, für Tills Geschmack, und sagte, was sein Gast befürchtet hatte: »Seeeeehr gern!« Dieses »Sehr« hatte der Kellner so sehr in die Länge gezogen, dass in Till etwas zu reißen drohte. Er mochte Höflichkeiten, wenn sie ehrlich waren. Wenn nicht, fühlte er sich dermaßen gestochen, dass es ihm schwerfiel, nicht unhöflich zu reagieren.

      Zehn nach sechs brummte es in der Seitentasche seines Blazers. Nun war doch noch etwas von Simon gekommen. Eine ziemlich lange Nachricht – für seine Verhältnisse. Wieder wurde die Saaltür geöffnet. Die fröhliche Stimmung von nebenan gesellte sich wie ein Fremdkörper an Tills Seite. Er ignorierte sie, las, was Simon mitzuteilen hatte: »Der Mann hatte und hat nichts. Außer ein unverschämtes Selbstdarstellungstalent. Er hatte auch eine Frau. Eine ganz liebe. Millionenerbin. Ihr Geld hat er an der Börse verzockt. Gesessen hat er auch. Hat als Unternehmensberater Kunden betrogen und das Geld in ein paar Luxusschlitten und jede Menge Reisen gesteckt. Seine Frau ist jetzt mit dem Staatsanwalt liiert, der ihn ans Messer geliefert hat. Kein Witz! Das ist verbindlich. Sollte dir reichen. Halt die Ohren steif, mein Bester, und mach keinen Fehler.«

      Für einen Augenblick wusste Till nicht so recht, wie er nun vorgehen sollte. Dann stellte er fest, dass er sich entspannt und sogar erleichtert fühlte. Denn was er erfahren hatte, bewies ihm, dass auf seinen Bauch doch noch Verlass war. Nun wollte er noch eine Zeitlang in seinem Ledersessel bleiben – in der Hoffnung, seinem Gast sehr bald in die Augen sehen zu können.

      Fünf vor halb Sieben glitt eine stattliche PS-Eleganz langsam über die Hoteleinfahrt auf den Eingang zu. Ein schwarzer Jaguar. Eine maskuline Gestalt, die im Film prima die Gewinnergesellschaft verkörpern könnte, stieg aus, schritt geradewegs in die Eingangshalle, schwenkte einen kurzen Moment den Blick hin und her, bis er auf Till sicher landete.

      Obwohl die Männer sich nie begegnet waren, wussten beide im selben Moment, wen sie vor sich hatten. Tills Gast trat im dunklen Anzug und mit einem Lächeln auf ihn zu und streckte ihm dynamisch die Hand entgegen.

      »Marco Grossanter!«, sagte er, und augenblicklich war es wieder da, genau das, was Till schon am Telefon gestochen hatte, diese breite, tiefstimmige Inszenierung.

      Till quittierte sie mit einem freundlichen Lächeln, in dem nur seine besten Freunde Ironie entdeckt hätten, und reichte ihm seine Hand. Wie einer, der nun umgehend zur Sache kommen wollte, ließ Grossanter sich auf dem Sessel gegenüber nieder. Sein eigentliches Thema sprach er dann aber doch nicht an, und eine Erklärung für seine Verspätung lieferte er auch nicht. Stattdessen formulierte er lobende Worte über die ostfriesische Küstenlandschaft und die Freiheit, die den Menschen dort mit der Weite schon in die Wiege gelegt werde.

      »Sie wissen ja wahrscheinlich, was man sich über unseren Landstrich erzählt«, sagte Till.

      Weil der Andere ihm mit fragendem Blick seine Ahnungslosigkeit zeigte, verriet er es ihm. »Dass man hier schon morgens sieht, wer einen abends besuchen kommt. Man hat also viel Zeit, sich auf seinen Gast vorzubereiten.«

      Grossanter wollte darauf eingehen, aber Till hatte noch etwas anzuknüpfen. »Auch ich habe übrigens über die Freiheit nachgedacht, nicht nur über die ostfriesische. Wann hat Ihre Frau Sie eigentlich verlassen, während oder nach Ihrer Inhaftierung?«

      »Verstehe.« Er kniff die Lippen zusammen. »Daher weht also der Küstenwind. Kompliment. Ich mag es ja, wenn einer nicht mit seinem Wissen hintern Berg hält und klar zur Sache kommt. Aber mit Ihrem Tempo – das muss ich gestehen – haben Sie mich nun doch ein wenig überrascht.«

      Es gab eine kurze Unterbrechung, weil der Kellner kam und nun auch der neue Gast einen Kaffee bestellte.

      »Kompliment, Herr Türmer«, sagte er noch einmal, diesmal sehr lang gedehnt, und sah Till so freundlich an, als hätte der ihm gerade einen Ball zugespielt. »Sie kommen ja schneller auf den Punkt als ich meine Karten auf den Tisch legen kann.«

      »Welche wollten Sie denn gerade ausspielen?«

      »Das hier ist kein Spiel«, sagte er ernst. »Da Sie bereits im Bilde sind, will ich Sie nicht mit der Vorgeschichte langweilen. Aber eines muss klar ausgesprochen werden …«

      Grossanter beugte sich vor, stützte seine Ellenbogen auf die Oberschenkel und presste die Handflächen zusammen. »Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich das Kapital meiner Kunden anders als vereinbart angelegt habe«, sagte er fast flüsternd. »Das ist ein No-Go, und dafür bin ich in den Knast gegangen. Außerdem habe ich dafür finanziell geblutet. Natürlich kann man die Sache auch anders sehen. Wenn das nicht aufgeflogen wäre, hätten meine Kunden Riesengewinne gemacht. Und keinen dieser Saubermänner, das können Sie mir glauben, Herr Türmer, hätte es einen Dreck interessiert, wie ich das gemacht habe. Damit will ich …«

      Till stoppte ihn mit erhobener Hand. Er wollte nicht noch weitere Halbwahrheiten hören. Wenn Grossanter zugegeben hätte, mit dem ergaunerten Geld sein Luxusleben finanziert zu haben, wäre das immerhin eine beeindruckende Aussage gewesen. Eine, mit der er womöglich eine Tür bei Till hätte öffnen können. Nun blieb sie zu. Er hatte keine Lust mehr, in diesen Mann noch mehr Zeit zu investieren und machte Anstalten aufzustehen.

      »Herr Grossanter, die Details Ihres Delikts spielen hier keine Rolle. Ich möchte Sie bitten, die Angelegenheit mit Ihrer Frau auf andere Weise zu lösen.«

      »Moment! Machen Sie sich keine Sorgen, diese Geschichte ist längst völlig clean. Außerdem, mein Auftrag ist nicht irgendeiner. Das werden Sie schon noch feststellen. Da steckt eine Menge für Sie drin, weitaus mehr als Sie kalkulieren. Sie sollten also nicht so vorschnell urteilen, Herr Türmer.«

      Till stand auf. Er sah seinen Gast an wie einen, der mit schwerem Gepäck zum Bahnsteig gehechelt kommt und feststellt, dass sein Zug ihm vor der Nase abgefahren ist.

      »Herr Grossanter, Sie liefern mir nur Ihre Halbwahrheiten und begreifen nicht, wie unglaubwürdig Sie sich dadurch machen. Glauben Sie im Ernst, dass ich Ihnen helfen kann, wenn ich weiß, dass ich im Grunde nichts über Sie weiß? So kann aus Ihrem Plan nichts werden. Machen Sie’s gut!«

      Er ging entschlossenen Schrittes durch die Hotelhalle, bezahlte beim Kellner seinen Kaffee und noch einen zweiten. Dann verschwand er hinter einer Tür.

      Mit seinen dunkel glänzenden Marmorwänden bot ihm dieser weite Toilettenraum eine Art eleganter Klausur. Hier gab es keine scheinheiligen Gespräche, hier herrschte konzertante Stille, die durch leise Musik aus unsichtbaren Lautsprechern kam. Er hatte das Gefühl, sich die Hände waschen zu müssen, abzuspülen, was nach seiner Begegnung mit Grossanter an ihm klebte.

      Till blieb vor der Wand am Ende des Raumes stehen. Er spürte, wie Gelassenheit sich in ihm ausbreitete. Seine Beine standen fest auf dem polierten Boden, er spürte seine Fußsohlen, genoss das Gefühl, am Pissoir mit jedem Atemzug mehr bei sich selbst anzukommen. Sein Blick haftete entspannt auf dem undurchsichtigen Glas eines auf Kipp gestellten Fensters, durch das das Tageslicht vom rückwärtigen Hotel-Parkplatz zu ihm schien.

      Dann schaute er nach unten. Neben seinem rechten Fuß stakste eine Schnake auf ihren langen, zerbrechlich wirkenden Beinen über den dunkel glänzenden Boden. Ein Wesen, das an diesem Ort so fehl am Platz war wie ein Marco Grossanter, wenn er es sich in Tills Wohnzimmer gemütlichen