Till Türmer und die Angst vor dem Tod. Andreas Klaene

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Название Till Türmer und die Angst vor dem Tod
Автор произведения Andreas Klaene
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738062090



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wie er an seiner akzentuierten Aussprache nach langsam gewählten Worten feilte.

      Sein Auftreten machte Till immer misstrauischer, denn so hatte sich noch niemand verhalten, der ihn um einen Brief gebeten hatte. Eines hatten nämlich all diese Auftraggeber gemeinsam: Ihrem ersten Anruf war immer eine lange Überlegung und auch eine gehörige Überwindung vorausgegangen. Und sobald sie Till am Telefon hatten, waren sie darauf aus, ihn erst einmal anzuhören. Sie wollten erspüren, mit wem sie es zu tun hatten, bevor sie den Mut aufbrachten, ihm von sich mitzuteilen, was sie noch keinem gesagt hatten.

      Als Grossanter Till dann fragte, welche Zielgruppen er eigentlich habe und ob seine Briefeschreiberei sich überhaupt lohne, unterbrach er ihn: »Herr Grossanter, was wollen Sie eigentlich von mir? Falls Sie mit dem Gedanken spielen, mir eine Unternehmensberatung anzu­dienen, muss ich Sie enttäuschen.«

      »Wo denken Sie hin? Das ist nur meine alte Consultant-Krankheit. Ständig dreht sich alles um Effizienz und Wachstum.«

      Gleich darauf legte er eine Prise Reumütigkeit in seine Stimme und sagte: »Aber Sie haben schon recht, wird Zeit, dass ich lerne, im Privaten mal den Hebel umzulegen. – Womit wir übrigens schon bei meiner Frau wären, lieber Herr Türmer. Wenn ich mal offen und ganz ehrlich bin, muss ich gestehen, dass ich sie im ständigen Business-Fieber wohl zu lange vernachlässigt habe. Und nun ist sie auf einen ziemlich zweifelhaften Typ hereingefallen und meint, mich mit ihm an der Seite strafen zu können.«

      Als Till nicht reagierte, sondern auf weitere Informationen wartete, sagte Grossanter: »Wenn Sie mir da helfen, können Sie Ihren üblichen Honorarsatz übrigens vergessen. Ich werde mich da gerne sehr groß­zügig zeigen. Ein pikantes Thema muss schließlich ordentliches Gewürz in die Kasse bringen, finde ich. Und nach allem, was ich über Sie gelesen habe, haben Sie vor pikanten Themen ja keine Angst, oder?«

      »Sprechen wir doch mal über Sie. Wovor haben Sie Angst?«

      »Angst?«, wiederholte er, indem er versuchte, das Wort zeitgewin­nend zu dehnen, »guter Hinweis! Wenn ich auf die Uhr sehe und unser Gespräch nicht sofort vertage, kriege ich Angst, meinen Termin zu verpassen.«

      Schon am nächsten Tag rief der Mann aus München wieder an: »Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen.«

      Grossanter schien draußen zu telefonieren und sich stimmlich gegen den Wind zu behaupten. »Samstag, also morgen, bin ich geschäftlich da oben bei Ihnen in der Ecke, ganz in Ihrer Nähe. Ist doch bestimmt in Ihrem Sinne, mich bei der Gelegenheit mal Face to Face zu durchleuchten!? Oder sehe ich das falsch?«

      »Sie durchleuchten? Ist doch unnötig. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass aus unserem Projekt nur etwas werden kann, wenn Sie mit offenen Karten spielen. Also gehe ich davon aus, dass Sie bisher offen waren und mir nichts als Wahrheiten auf den Tisch gelegt haben.«

      »Selbstredend, Herr Türmer, ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen! Aber trotzdem. Kann doch nur von Vorteil sein, einem wie Marco Grossanter mal in die Augen zu sehen. Meinen Sie nicht auch?«

      Es war Überheblichkeit, ja, geradezu Selbstherrlichkeit, die Till aus fast allem heraushörte, was dieser Mann sagte. Darum konnte er auch seine Andeutung in Sachen Honorar nicht so ganz ernst nehmen. Dennoch fand er einen merkwürdig unbestimmten Reiz darin, ihn am Samstag zu treffen.

      Als Till durch seinen Kalender klickte, fiel ihm ein, dass er sich fest vorgenommen hatte, Samstag zum Krankenhaus zu fahren. Allerdings nur so fest, dass er es lediglich in seinem Kopf notiert hatte, denn er wusste, dort würde es ihm leichter fallen, etwas zu löschen als in seinem Kalender. Schriftliche Eintragungen waren für ihn so etwas wie das Grün einer Ampel, das ihn zum Durchstarten verpflichtete.

      Als er sich ganz kurz vorstellte, wie es für ihn sein würde, am Bett eines Kranken zu stehen, kam ihm Grossanters Idee geradezu willkommen. Allerdings mochte er sich das kaum eingestehen. Kurzum beschloss er, am Samstag um 18 Uhr Zeit zu haben. Als Treffpunkt schlug er das Hotel Lamberti-Palais in Aurich vor. Das konnte er zu Fuß von seiner Wohnung aus erreichen. Es hätte ihm nicht geschmeckt, für dieses Treffen mehr Aufwand zu betreiben. Darum fand er es prima, dass Grossanter auf Anhieb einverstanden war.

      Nach dem Gespräch lehnte Till sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück. Er fuhr mit der Hand über sein kurzes Haar, als wäre er auf Suche nach dem Greifbaren, das er bei Grossanter nicht so richtig fand. Es störte ihn, dass er bei jedem Gedanken an ihn nur Klischees sah: gelackter Typ, protziger Schlitten und am Handgelenk eine jener ins Auge springenden Kapitalanlagen, deren Hauptaufgabe es nicht war, die Zeit anzuzeigen.

      Till schaute aus dem Fenster, ließ das Gespräch einen Moment wirken. Sein Blick lag auf der langen Reihe alter Linden, die in einiger Entfernung an der Straße standen. Mit ihren hohen, schwarzen Stämmen standen sie da wie riesige Wächter, die schon immer dort waren und nie gehen würden. Sie strahlten eine Verlässlichkeit aus, die er bei Grossanter nicht fand. Sie sind alle gleich, dachte er, und doch verschieden. Mitten in der Reihe ein Baum, der sich Jahr für Jahr hervortat. Nicht jetzt, im Sommer, aber im Frühling. Dann fiel er Till auf, weil er in seiner ausladenden Krone als erster einen zarten Schimmer Grün zeigte. Zuerst waren es nur winzige Knospen, die sich sonnenhungrig aus den Zweigen quetschten. Dann sprangen sie auf, Tage bevor es die zahllosen Triebe der anderen alten Wächter nachmachten. Bis die Blätter sich entfaltet hatten und die Straße wie ein Dach beschatten.

      Bäume hatten ihm etwas voraus, dachte Till. Sie kannten kein Miss­trauen, sorgten sich nicht um die Zukunft und stellten sich schon gar nicht die lähmende Frage, wie lang ihre Zukunft wohl sein könnte. Sie führten einfach ihr Leben, setzten mit ihren jungen Trieben in jedem Frühling alles daran, ihre Lebendigkeit zu zeigen. Sie fürchteten sich im Regen nicht vor der Trockenheit, wiegten sich im Wind, hatten nichts gegen Dunkelheit und entfalteten sich im Licht. Und wenn einer von ihnen starb, war es halt so. Er machte Platz für den nächsten, der als Winzling darauf wartete, aus der Erde zu sprießen und es dem alten gleich zu tun.

      Till war anders, noch nicht so weit wie die Linden. Irgendwie war er froh, den alten Jupp am Samstagabend nun doch nicht im Kranken­haus besuchen zu müssen, dort, wo alles nach Endlichkeit roch.

      Schon mehrfach hatte er in den letzten Tagen an einen Kollegen gedacht, mit dem er vor über zehn Jahren seine journalistische Ausbildung gemacht hatte. Till kannte keinen, der sich in Münchens Schickeria besser auskannte als Simon. Nicht, dass auch er zu diesem Volk gehörte, aber als freier Journalist des Bayerischen Rundfunks und Drehbuchautor roch er häufig direkt in das Milieu hinein, über das andere nur bewundernd in Magazinen lasen. Es war schon wieder ein Jahr her, dass Till sich die Zeit genommen hatte, auf einer Dienstfahrt in den Süden einen Abstecher nach München zu machen. Die beiden wollten sich damals nur auf einen Kaffee zusammensetzen, redeten aber bis zum späten Abend.

      Jetzt rief er Simon an. Leider meldete sich nur die Stimme seines Anrufbeantworters. Wenn er diesen Mann nicht bestens gekannt hätte, wäre das, was da in sein Ohr drang, ein Grund gewesen, sofort wieder aufzulegen. Der Simon, den er nun hörte, war nicht der, dem er sich seit zwei Jahrzehnten verbunden fühlte. Hier klang er reserviert, kurz angebunden, fast wie einer, bei dem man sich für seinen Anruf entschuldigen musste. Till wusste, woran das lag. Für seinen Freund waren sämtliche Kommunikationstechniken durchaus zweckmäßige Werkzeuge, nie jedoch zeitraubende Quasselgeräte.

      Till entschuldigte sich nicht, er fasste schnell für Simon zusammen, was über Marco Grossanter zu sagen war und was jeder wissen durfte. Abschließend bat er seinen Freund darum, ihm spätestens bis Samstagvormittag mitzuteilen, was er über diesen Mann wusste.

      Am Samstagnachmittag schickte sein Freund endlich eine SMS. Darin stand: »Bin für den BR in Amman. Ziemlich eingespannt. Du und Grossanter? Lass die Finger von dem. Es sei denn, du willst ohne Honorar arbeiten. Nächste Woche mehr. Gruß, Simon!«

      Till wurde ungeduldig, drückte auf Antwort, schrieb zurück.

      »Danke, aber das ist mir zu wenig. Bitte ein bisschen konkreter, wenn möglich. Ich treffe ihn gleich.«

      Die Antwort ließ auf sich warten. Noch eine Viertelstunde bis zum Treffen. Er machte sich auf den Weg zum Lamberti-Palais, zog unterwegs sein Handy aus der Tasche. Mit einer weiteren