Nächstes Treffen Adria. Johanna Kemme

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Название Nächstes Treffen Adria
Автор произведения Johanna Kemme
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753189789



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eine große Nase. „Wohin fährst du?“, erwacht er plötzlich aus seiner Versunkenheit auf Englisch mit starkem italienischen Akzent, so dass ich seine Worte kaum verstehe. „Perugia.“ - „Ah! Mit dem Zug nach Rom?“ - “Ja!”, zunächst schon. „Den nehm` ich auch. Hat Verspätung das Ding! Wunderbar unsere italienische Bahn!“ - „Verspätung?“ - „Ja, steht dran. Bei den Gleisen. Mindestens `ne Stunde! Und `ne Stunde heißt in Italien zwei oder drei“, behauptet er sehr überzeugt und zu meinem Leidwesen. Noch mehr Zeit! Und wenn ich dann keinen Anschlusszug nach Perugia mehr kriege?

      „Komm! Lass uns was trinken gehen!“, schlägt er vor, mit dem Kopf in Richtung Ausgang weisend. „Wo?“ erkundige ich mich lieber, bevor ich mich ihm anschließe. „Drüben, gegenüber vom Bahnhof ist eine Bar.“ Er steht schon, lächelt, nimmt einen tiefen Zug und tritt zappelig von einem Bein aufs andere, während ich mir die Träger meines Rucksacks über die Schultern streife. „Schwer?“- „Geht so!“, untertreibe ich. „Sieht es so aus?“ - „Beh, sì!“ (Na ja, ja!) und er eilt voraus in Richtung Straße. „Tut mir leid“, wendet er sich mir dort unvermittelt zu und tritt nah an mich heran, was ich, so spüre ich, nicht unangenehm finde. „Bin grad echt nicht so gut drauf.“ - „Warum?“ frage ich und ernte Schweigen, als wir die breite Straße überqueren, ohne auf die Zeichen der Ampeln zu achten. „Beh, hatte Stress!“ - „Ok. Warum? Mit wem?“ - „Beh, meinen Eltern“, hält er mir die Tür zu Bar auf und zieht mich leicht am Arm zur Theke hin. „Wein?“ Ich nicke. „Rot?“ Auch das! Der Mann hinter der Theke beäugt ihn skeptisch. Mit seiner Schürze steht er hier bestimmt Tag und Nacht, hier in seinem Reich, seiner Bar, und das sicher schon seit Jahren. Genau genommen müsste er ja aber mich schräg anschauen, finde ich, so wie ich hier sitze, mit meinen Schlapperklammotten, ohne Make-up, eben überhaupt nicht zurechtgemacht. Mein neuer Begleiter hingegen ist doch ganz gut gekleidet mit seiner kurzen weißen Sommerjacke, dem hellen beschen Hemd und dem weißen T-Shirt darunter. Aber vielleicht ist es genau das, was ihn skeptisch macht, dass so einer mit so einer wie mir hier auftaucht.

      “Salute!“, halten die langen Finger meiner neuen Bekanntschaft mir sein Glas entgegen. „Salute!“, stoße ich mit meinem Glas daran. Schön sind die, finde ich, diese, seine Finger. „Von wo aus Deutschland bist du?“, will er wissen, scheinbar nicht in der Laune, weiter über den Stress mit seinen Eltern zu reden. „Und was machst du hier in Italien? Rumreisen?“, schlussfolgert er sicher aus der Tatsache, dass ich mit einem Rucksack unterwegs bin und ich nicke. „Und was hast du gesehen bisher?“ - „Ich war in Florenz. Jetzt hier...“, versuche ich wenigstens die letzte seiner Fragen zu beantworten, bevor ihm wieder eine neue einfällt. „Und gefällt dir dieses Land?“, erkundigt er sich, als hätte er selbst rein gar nichts mit diesem Land, in dem er ja wohl selbst lebt, zu tun. „Ja, sehr!“, ist meine ehrliche Antwort. „Hm“, macht er mal wieder. Unklar, was genau er mir damit sagen will. Immer wieder begegnen sich unserer Blicke, aber er lässt mich nie länger als ein, zwei Sekunden lang in seine Augen schauen. Dabei wirkt er nicht unbedingt schüchtern und nunmehr auch schon ein wenig ruhiger als vorhin. Kleine Augen. Grün. Und flink. Kleine, grünbraune Augen, die flink umherschauen, als wollten sie stets alles um sie herum mit wenigen Blicken erfassen. „Hast du Geschwister?“ Wie er jetzt wohl auf diese Frage kommt? „Ja, einen Bruder.“ - „Ah, sí, ich auch. Älter?“ – „Nein, zwei Jahre jünger.“ - „Beh, wie bei mir.“ Er stürzt den Wein hinunter, bestellt gleich noch zwei Gläser, verlangt Wasser dazu. Wieder erntet er einen skeptischen, ja fast schon abfälligen Blick des Mannes hinter der Theke. Ich will auch gar nicht noch ein Glas, aber er fragt ja nicht. Er wird es schon auch noch hinunterkippen, denke ich mir amüsiert und trinke weiter vom Inhalt meines ersten. „Also hast du Ferien?“, wechselt er erneut das Thema. „Nein, Ferien habe ich nicht mehr.“ -„Dann arbeitest du?“, schlussfolgert er richtig und das klingt nach: Arbeitest du etwa? Lachend nicke ich diesmal. „Wie alt bist du?“, hat er wohl gedacht, ich sei jünger und würde noch zur Schule gehen. „Achtzehn. Und du?“ - „Achtzehn? Ah, du bist noch jung!“ findet er, doch mir scheint, da war ein wenig Ironie mit im Spiel. „Ja, ja, und du?“, nehme ich seinen Ausspruch daher auch nicht so ernst. „Einundzwanzig“, verkündet er so, als wäre ihm das schon viel zu alt. „Ja“, betone ich anerkennend, „da bist du ja wirklich viel älter als ich!“, und freue mich über sein Lächeln. „Also, womit verdienst du dein Geld?“, will er nun doch sehr neugierig wissen und da meine Antwort ihm wieder einmal nicht schnell genug kommt, beginnt er zu raten. „Du machst was mit Kindern!“, versucht er meinem Gesicht zu entnehmen. „Im Kindergarten oder als Lehrerin?“ - „Nein!“ Da hat er etwas in meinem Gesicht missverstanden. „Sekretärin?“, grinst er mich an. „Findest du, ich sehe so aus?“, grinse ich zurück. „OK. Also Hausfrau von zwei Kindern?“ Ach, er gibt schon auf! „Genau!“, bestätige ich ihm und halte ihm mein Glas hin, damit er anstoßen kann daran. „Ich habe die Schule geschmissen, ein Jahr vor dem Abitur“, verrate ich ihm dann gespannt auf seine Reaktion. „Mit achtzehn? Da ist man doch fertig!“, kann er zunächst nicht verstehen. „Ach nein“, erklärt er sich dann aber selber. „Bei euch dauert die Schule bis zum Abitur ja ein Jahr länger als im Rest der Welt.“ Das als weiß er, woher auch immer. „Aber du? Geschmissen?“, traut er mir das wohl nicht zu. „Man, dann haben wir ja etwas gemeinsam. Und jetzt?“- „Verkaufe ich Bücher“, grinse ich. „Echt! Siehst gar nicht so aus!“, meint er es diesmal erstaunlich ernst. „Weil?“, muss ich lachen. „Na, Brille und so“, scherzt er und wird dann nachdenklicher. „Ja, so stelle ich mir Buchhändler vor. Immer in ihre Bücher vertieft“, und dann ergänzt er nach kurzer Überlegung, als müsse er sich selbst noch davon überzeugen, „Na klar! Von morgens bis abends, egal, wo sie sind. Nicht? Immer in so anderen Welten versunken. Du aber bist so nicht! Du bist offen!“ - „Offen?“ Was meint er damit? - „Na, offen, eh!“, will er nicht glauben, dass ich nicht weiß, was er damit sagen will. „Also, als ich dich da im Bahnhof sah, wusste ich sofort, dass ich dich ansprechen kann, verstehst du? Ah, und du hast nicht gelesen!“, triumphiert er. Schön, mit ihm zu lachen. Nichts mehr von dieser unglaublichen Hastigkeit. „Ich dachte wirklich, dass Leute die Bücher verkaufen immer lesen, immer mit der Nase in einem Buch stecken“, sagt er nun wie zur Entschuldigung und tut so, als würde er die seine, die große, ganz tief in eines hineinstecken. „Ach nein, das denkst du nur. Und außerdem verkaufe ich sie ja auch nur. Als Job, um Geld zu verdienen“, erkläre ich ihm. „Hm“, ist er aber noch immer nicht überzeugt oder hat meine letzten Worte vielleicht auch nicht verstanden. „Also, warum hast du nicht gelesen, als du gewartet hast?“ - „Na, ich habe Urlaub!“, finde ich und wir lachen wieder.

      Schön, dass er meine Ironie versteht, freue ich mich, obwohl wir beide nun wahrlich nicht perfekt Englisch sprechen. Nur manche Sätze gelingen schnell und ohne Überlegung. Immer wieder müssen wir beide auch nach passenden Vokabeln suchen, beziehungsweise den treffenden Umschreibungen für sie. So aber ist es fair, was, würden wir Italienisch reden, ganz anders wäre. Auch zeigt mir, dass er nun lacht, dass man diese Form des feinen, aber verdeckten Spottes nicht nur an der Wahl der Worte erkennen kann, sondern eben häufig schon an der Betonung, mit welcher solch ironische Bemerkungen geäußert werden sowie auch an dem Ausdruck des Gesichtes, der mit diesen Äußerungen einhergeht.

      Einen Moment lang schaut der junge Mann neben mir mich nun an und hat plötzlich direkt etwas Sanftes, etwas Weiches an sich. „Und du?“, hoffe ich, dass ich jetzt nicht raten muss. „Ich?“, winkt er ab. „Ich habe angefangen zu studieren. In Macerata. Kennst du die Stadt?“ – „Die ist quasi schon in den Bergen in den Marchen, nicht?“, meine ich. „Dort gibt es eine der ältesten Universitäten Europas“, nickt er „Weißt du?“ Nein, ich weiß nicht! „Gegründet im Jahr 1290 nach Christi, eh!“ Ich hoffe, er sieht Anerkennung in meinem Gesicht! „Und was studierst du da?“, will ich natürlich wissen. Er hebt einen Zeigefinger und bewegt ihn hin und her, während er mit der anderen Hand das Glas vom Mund zurück auf die Theke stellt. „Ich hab` doch gesagt, wir haben was gemeinsam. Ich habe es abgebrochen, wie du. Rechtswissenschaften! Maah (abweisend), das ist nicht mein Ding!“ – „Echt nicht?“, kann ich das gar nicht nachvollziehen. „Da könntest du doch die Welt ein wenig besser machen, wenn du später Anwalt oder Richter wirst.“ – „Tsss!“, macht er und schaut mich fast höhnisch an. „Glaubst du daran? Glaubst du daran, dass das Recht auch gerecht ist?