Nächstes Treffen Adria. Johanna Kemme

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Название Nächstes Treffen Adria
Автор произведения Johanna Kemme
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753189789



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blonder Freund nicht zum ersten Mal diese Möglichkeit, von der er irgendwo gelesen hat. „Für mich auch kein Problem!“, schaue ich mich in der langen Ankunftshalle des Kopfbahnhofes um, die nicht sonderlich hoch ist, da ja keine Züge durch sie hindurchfahren können. „Wenn das denn wirklich erlaubt ist.“- „Und wenn uns dann jemand überfällt?“ studieren Sinas schöne Augen die quadratischen Marmorplatten, die sich rot und weiß unter unseren Füßen aneinanderreihen. Oh je, so ängstlich habe ich Sina bisher gar nicht kennen gelernt! Selbstbewusst, ja mutig schien sie mir zu sein. Kein Wunder aber auch, hatte ich mir gedacht, wenn eine Frau so schöne schwarze Augen und Haare hat und einen so schönen hellbraunen Teint. „Wollen wir uns nicht doch lieber ein kleines Hotel suchen?“, bettelt meine schöne Kollegin nun geradezu, wobei sie ihre Worte ausschließlich an Olaf richtet, als wäre ich gar nicht präsent. „Wenn wir eins für fünfundzwanzig Mark finden, bin ich einverstanden“, stelle ich nicht zum ersten Mal klar, „Ansonsten kann ich mir das einfach nicht leisten.“ Sina und Olaf, dunkel und hell, stehen unentschlossen da. Weit gekommen sind wir ja noch nicht, seit der Ankunft unseres Zuges hier in der „Blume“ am Arno, muss ich ein wenig schmunzeln und schlage vor, dass wir erst einmal versuchen, unser Gepäck loszuwerden. Waschen möchte Sina sich aber zuvor. Das hätten wir auf dem Campingplatz machen können, denke ich noch, als ich den beiden zu den Bahnhofstoiletten folge. In den geräumigen, von den Toiletten abgetrennten Waschräumen, führen Sina und ich eine Katzenwäsche durch. Sogar duschen könnten wir hier, stellen wir fest, und dass die Benutzung dieser Duschen das einzige ist, wofür man hier bezahlen muss auch.

      Das internationale Symbol mit dem Koffer darauf führt uns dann endlich zu einem sich scheinbar endlos weit in die Tiefe erstreckenden, fensterlosem Raum, der durch zwei verglaste Schwingtüren von der Halle getrennt ist. Freundlich nimmt der Bahnhofsmitarbeiter, der hier hinter einer langen Theke stehen, unsere Rucksäcke entgegen, beklebt sie mit einem Stück Papier, auf dem eine Nummer steht, reicht uns ein kleines Stück Pappe, auf dem dieselbe Nummer steht und verstaut unser Gepäck in den unzähligen Regalen, die hinter ihm hoch bis zur Decke ragen.

      Endlich treten wir schließlich hinaus aus dem Bahnhofsgewusel hinein in das warme Sonnenlicht. Endlich Florenz denke ich und sehe, wie Olaf seinen Reiseführer aufschlägt. Während wir die breite Straße überqueren, auf der sich unzählige Vehikel um das Bahnhofsgebäude bewegen, beginnt er genau an der Stelle zu lesen, an der die erste Markierung, ein abgerissenes Stück kariertes Papier, zwischen zwei Seiten klemmt. Sina hat sich bei ihm eingehängt, umklammert mit beiden Händen fest seinen Arm. „Der erste Platz, den man betritt, geht man vom Bahnhof aus über die Straße in Richtung des Flusses Arno, ist der Piazza Santa Maria Novella, der sich vor der gleichnamigen Klosteranlage aus dem 13. Jahrhundert erstreckt. Nach ihr ist auch der Florentiner Bahnhof benannt“, zitiert ihr Freund im Gehen seinen Führer. „Meinst du, dass es das hier ist, das Kloster?“, blicken Sinas schöne Augen auf das Gebäude hinter der mit schwarzen und weißen Marmor verkleidete Mauer, welche die zum Platz hin breiter werdende Gasse, auf der nur Fußgänger erlaubt sind, rechts von uns begrenzt. „Ja, das hier sind die Grabnischen der Klostermauer“, höre ich Olaf sagen, nachdem er noch einmal seinen Führer konsultiert hat. „Die mit Marmor verzierten Spitzbögen hier, das sind wohl die einzelnen Gräber.“

      Kaum, dass wir ihn betreten, verliebe ich mich schon in ihn, diesen großen, weiten Platz, der von hier aus gesehen der erste im historischen Zentrum ist, dem historischen Zentrum dieser Stadt in der Toskana, welches man erst im vergangenen Jahr zum Weltkulturerbe erklärt hat. Beinahe still liegt er da, dieser unbebaute Ort mit seinen noch unbesetzte Bänken zwischen den liebevoll angelegten, kleinen Beeten in seiner Mitte und beinahe auch noch menschenleer ist er zu dieser frühen Stunde, sieht man von den wenigen, die zügig über ihn hinweg streben, unbeirrt, als wären sie auf dem Weg zur Arbeit, einmal ab. „Siehst du?“, blickt Olaf seine Freundin an, die noch immer an seinem Arm hängt. „Das ist die Kirche des Klosters!“ Schön, davor einmal Platz zu nehmen und sich die imposante Fassade genau anzusehen, finde ich, mit Blick auf die rechteckigen Fensterrahmen, die aus schwarzem und weißem Marmor nachgestellt worden sind und die oben in runden Bögen auslaufen. Schwarz und weiß reihen sich auch darum herum die vielen Marmorplatten aneinander. Nur um das Eingangsportal und an den Seiten an den Säulen wurde roter Marmor gewählt und oben, wo durch die Dachschrägen ein Dreieck entsteht hat man aus hellen Steinen eine Sonne eingelegt. Freundlich schaut ihr Gesicht zu uns hinunter, eingerahmt von ihren schlangenförmigen Strahlen. „Marmor“, kann Olaf seinem Reiseführer entnehmen, „wird in Carrara in der Toskana schon seit dem zweiten Jahrhundert vor Christi abgebaut.“

      „Lass uns da doch mal nach einem Zimmer fragen“, schlägt Sina mit Blick auf das fünfstöckige Gebäude auf der anderen Seite vor, auf dessen Fassade „Hotele“ in großen Lettern geschrieben steht. An der Rezeption redet Olaf gleich auf Englisch los, obwohl er doch weiß, dass ich ein wenig Italienisch gelernt habe. Er habe nur noch zwei Doppelzimmer frei, erklärt uns der Hotelangestellte. Sechzig Mark, errechnen wir schnell, soll ein jedes kosten. Keine Wunder bei dieser exponierten Lag! Während Sina und Olaf ihr Namen und Adressen aufschreiben, beginne ich mich zu ärgern. Darüber, dass wir nicht wie verabredet alle auf einem Campingplatz schlafen werden, darüber, dass Olaf die Dinge in die Hand nimmt, ohne zu fragen, ob das für mich in Ordnung ist, aber vor allem auch darüber, dass ich die Kosten für eine Übernachtung immer alleine werde tragen müssen.

      Der Domus Dei, auf den wir uns durch eine Gasse zubewegen, ist kaum auszumachen, so nah stehen die anstehenden Gebäude um ihn herum. „Die Kathedrale Santa Maria del Fiore, das Wahrzeichen der Stadt“, sagt Olaf, sagt sein Reiseführer. Sina und Olaf neben mir geben die perfekten Touristen ab. Ich aber beginne mich zu wundern. Wollen die beiden auf diese Weise wirklich für den Rest des Tages diese Stadt erkunden? Wollen sie tatsächlich nur von einer Sehenswürdigkeit zur anderen eilen, ohne einmal innezuhalten, das Leben in dieser Stadt ein wenig in sich aufzunehmen? Und warum haben sie mir vorgeschlagen, mit mir zusammen zu reisen, wo sie sich doch selbst schon genug zu sein scheinen, frage ich mich, als wir auf den scheinbar von allen Seiten mit weißen, roten, grünen und schwarzen Marmor verkleideten Prachtbau zugehen, und ich Olaf „mit einem Längsschiff von über hundertundfünfzig Metern Länge, das viertlängste Kirchenschiff Europas, dessen eigentliches Wunder seine Kuppel mit ihren fünfundvierzig Metern Durchmesser ist“ sagen höre. All das hat er schon einmal gelesen, wird mir klar, als er noch zu Hause war. Und er hat dabei, wie ich erkennen kann, das Wesentliche unterstrichen. Oder zumindest das, was er für das Wesentliche hält. Das, was er Sina zeigen, was er ihr unbedingt vorlesen will. Sogar die Route, auf der wir uns durch die Stadt bewegen sollen, hat er offensichtlich schon auf dem Stadtplan seines Reiseführers festgelegt, und in diesem Moment begreife ich, dass zwischen den Vorstellungen, die Sina und Olaf und ich vom Reisen haben, unendliche Welten liegen. "Ich denke, es ist besser, wenn ich ab jetzt alleine weitergehe", höre ich mich selbst da auch schon sagen, und muss mich einmal mehr wundern, denn Olaf und Sina stehen vor mir wie vor den Kopf geschlagen. „Wir hätten dich schon noch zum Campingplatz gebracht“, erklärt Olaf und „Willst du denn nicht in die Uffizien gehen?“, kann Sina mich nicht verstehen. „Vielleicht, Sina, vielleicht auch nicht. Jetzt aber möchte ich erst einmal diese Stadt sehen, herumgehen, einfach mal schauen, was kommt. Verstehst du das?“ Augenscheinlich aber versteht Sina es nicht. Wir konnten wohl auch beide nicht ahnen, dass wir so verschieden sind. „Und wenn wir uns später noch mal treffen?“, scheint Olaf sich auch ein bisschen für mich verantwortlich zu fühlen und mit Blick in sein gutmütiges Gesicht, seine ernsthaft besorgten Augen, ergebe ich mich. „OK. Heute Abend um sechs am Bahnhof!“, fällt mir nichts Besseres ein und ich spüre, wie sehr ich mir wünsche, die beiden mögen jetzt zufrieden sein. „Bei der Gepäckausgabe?“, versucht er wohl meinen Gedanken zu folgen. „Genau“, bestätige ich den beiden, „Und dann können wir ja vielleicht auch noch etwas zusammen machen“, klammert Sina sich noch fester an Olafs Arm. „Ja, mal schauen!“, hebe ich meine Hand zum Gruß und marschiere an Herrn Brunelleschi vorbei, der hier in Stein gemeißelt mit seinem Zirkel in der Hand auf seinem Hocker sitzt und auf die, wie ich nun von Olaf weiß, von ihm erdachte Kuppel blickt dort oben auf dem Dom.

      Als ich weiter in Richtung Arno gehe, fühle ich mich plötzlich frei. Frei und unabhängig von jeglichen Plänen lasse ich mich durch die Gassen treiben, schaue mir die riesigen Skulpturen an, die auf einem großen Platz