Nächstes Treffen Adria. Johanna Kemme

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Название Nächstes Treffen Adria
Автор произведения Johanna Kemme
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753189789



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zu träumen und spüre, wie müde ich bin. Die vielen Eindrücke, die ich gesammelt habe, während ich kreuz und quer durch die Stadt gelaufen bin, müssen erst noch verarbeitet werden, aber das Gefühl, in einem traumhaft schönen Ort zu sein, eingenommen von einer wunderbaren nächtlichen Stimmung, das wird sicher bleiben.

      Ach, was gibt es doch für traurige italienische Lieder, fällt mir auf, als der Cantante eines anstimmt, welches sich die drei Hippies an der Wand inständig von ihm gewünscht haben. So wehmütig und voller Verlangen, das es mir fast ungeeignet scheint, dieses Lied, für einen öffentlichen Auftritt auf der Straße, aber wir sind ja jetzt auch unter uns.

      Es sind wohl die letzten Gäste, die dem Kellner des Restaurants schräg gegenüber „Buona notte!“ wünschen. Dieser nutzt die Gelegenheit vor dem Restaurant eine Zigarette zu rauchen und lauscht dabei dem Gesang unseres Sängers. „Bravo!“, hören wir ihn rufen, bevor er wieder in das Restaurant hineingeht. Nur ein paar Minuten später aber erscheint er erneut und hält eine Espressotasse in der Hand. Anerkennend nickt er unserem Sänger zu, als er die kleine Tasse mit der Untertasse vorsichtig vor ihm auf dem Boden abstellt. Während er sich dann anschickt, die Tische und Stühle vor dem Restaurant so geräuschlos wie möglich zusammenzuräumen und dabei leise mitsingt, als das nächste Lied auf Italienisch ertönt, wird es zunehmend stiller in den Gassen um uns herum. Schon löscht der Kellner auch das Licht im Gastraum, schließt hörbar die Eingangstür ab und verschwindet „Buona notte!“ in der Nacht. Aufbruchsstimmung macht sich breit. Die drei Späthippies bedanken sich beim Cantante mit einer Verbeugung und schlendern davon. Der Musikant legt seine Gitarre in den Koffer, der nun schon seit einiger Zeit, ohne dass noch Münzen darin gelandet wären, an seiner Seite liegt.

      „Weiß einer von euch einen Platz zum Schlafen?“, wendet er sich an einen der jungen Männer, der gerade aufgestanden ist, an das Pärchen, das den Abend über Arm in Arm neben mir gesessen hat, und an mich. Ich kann nur mit den Schultern zucken. Auch der Mann hat keine Idee und das Pärchen versteht den Cantante offensichtlich nicht. Ich gebe seine Frage auf Englisch an sie weiter. Sie hätten nicht weit von hier ein billiges Zimmer gefunden, erklärt das Mädchen mit den schmalen Fingern und dass es dort wohl keinen Nachtportier gibt, der dem Sänger jetzt noch ein Zimmer vermieten könnte, ihr Freund. Unsicher schaut unser Musiker von einem zum anderen, als hätte auch er die Zeit vergessen, als hätte auch er nicht daran gedacht, sich einen Platz zum Schlafen zu suchen, bevor er mit seiner Vorstellung begonnen hat. „Ich gehe zum Bahnhof“, lächle ich ihn verlegen an, überzeugt davon, dass man dort schlafen kann. „Bahnhof?“, kann er wohl kaum glauben und schaut unentschlossen erneut zu den anderen. Achselzuckend blicke ich in sein weiches Gesicht, wende mich um und gehe in die Nacht hinein. Etwas Besseres als den Bahnhof weiß ich halt nicht. Drei, vier Schritte habe ich getan, da sehe ich ihn plötzlich neben mir gehen, mit seinem kleinen Rucksack auf den Schultern, den Koffer mit der Gitarre in der Hand. Nun will er also doch mit, denke ich und weiß nicht, was ich sagen soll. Auch ihm fehlen wohl die passenden Worte und so gehen wir schweigend durch die fast menschenleeren Gassen auf das Gebäude des Bahnhofs zu. Es sind viele Menschen, die dort bereits in seiner Halle liegen, an der langen Seite gegenüber den Gleisen vor der Wand, vor den heruntergelassenen Gittern vor den Läden und vor den geschlossenen Durchgangstüren. Und auch um die Ecke herum, dort wo es zu den zurückversetzten Gleisen und den Toiletten geht, haben sich Reisende hingelegt. Die Rucksäcke vor oder neben sich schlafen die meisten schon oder haben sich zumindest eingekuschelt in ihren Decken und Schlafsäcken. Erleichtert bin ich, dass wir hier wirklich bleiben können und erleichtert, wenn auch ein wenig schüchtern, lächelt auch das Gesicht des Straßenmusikanten mich an. Gemeinsam rollen wir unsere Matten aus, dicht nebeneinander, dort wo eben noch Platz ist zwischen all den anderen für uns beide und seine Gitarre. „Buona notte!“, wünscht er, kaum, dass wir liegen und schaut mich kurz noch einmal an, bevor er sich umdreht zu seinem Instrument. Grün sind seine Augen. Dunkelgrün.

      Ein Hüsteln hallt durch das hohe, halboffene Gebäude. Weiter hinten schnarcht jemand laut. Die Züge, die noch im Bahnhof stehen, sie werden die Nacht über bleiben. Ein kühler Windhauch weht von den Gleisen her an ihnen vorbei bis zu uns hin. Ich ziehe den Schlafsack bis hoch an die Nase, höre noch einmal die schöne Stimme des Mannes neben mir, die singt und schlummere selig ein.

      2 Sehnsucht

      Umso näher Lena ihrem Ziel kommt, desto mehr ergreifen die Zweifel Besitz von ihr, desto abstruser werden ihre Befürchtungen. Was, wenn Luca sie gar nicht wiedererkennt, fragt sie sich und muss dann lachen über sich selbst. Das ist nun wirklich Unsinn, Lena! Aber wenn er inzwischen eine Freundin hat? Nur die Vorstellung, er könne mit einem hübschen Mädchen hinten auf seiner Vespa drauf an ihr vorbeifahren, verursacht ihr schon echte körperliche Schmerzen. Und was, wenn er sie nicht mehr sehen will, für sich beschlossen hat, dass es keinen Sinn macht, eine Beziehung über diese Entfernung? Könnte sie ihn dann noch vom Gegenteil überzeugen, wo sie sich doch selbst nur zu gut darüber bewusst ist, wie weit das Neue Leben und Hamburg auseinanderliegen? Würde es reichen, ihm zu sagen, dass sie bereit wäre zu bleiben, sie sich nicht nur in ihn sondern auch seine Heimat verliebt hat? Lena weiß, dass es beinahe ausweglos ist für sie beide, eine Beziehung zu führen, aber sie ist eben auch so sehr von dem Wunsch erfüllt, Luca wiedersehen, dass sie an all diese Schwierigkeiten nicht denken mag. Für einen kurzen Moment flößt die Angst ihr den Gedanken ein, sie könne auch einfach weiterfahren. Hier an der Küste reihen sich schließlich unendlich viele Dörfer und Städte aneinander, an denen es Badestrände gibt, an denen man sich erholen kann. Absurd, all diese Gedanken, wird Lena bewusst. Warum ist sie nach Italien gefahren, wenn nicht, um Luca wiederzusehen? Sie wollte nicht am Strand rumliegen oder alte Städte besichtigen, alte Statuen bewundern und alte Kunst, auch wenn sie auch daran Gefallen finden kann. Die Sehnsucht, die Lena trieb, war die danach, erneut in Lucas Augen zu schauen, seine Nähe endlich wieder zu spüren. Wahrhaft lächeln wollte sie ihn sehen, dieses Lächeln, das ihr seit Wochen immer wieder vor Augen erschien, sobald sie diese schloss. Dieses Lächeln, das wusste Lena nun, hinter welchem Luca nicht selten auch einfach nur seine Schüchternheit verbarg.

      Vertraut ist alles für sie, als sie sich mit dem Rucksack auf den Schultern auf den Weg durch das kleine Bahnhofsgebäude hinaus in die Stadt macht. Nur das Treiben in der Einkaufsstraße, die sie hinuntergeht, wirkt anders, als sie es in Erinnerung hat. Verlassener scheint die Allee mit ihren unzähligen Läden zu sein, unaufgeregter das Leben auf ihr. Müde geht Lena an den Schaufenstern entlang, vorbei an der Unterführung, über welche sie gerade erst mit dem Zug in die entgegengesetzte Richtung gefahren ist. Kühl ist es hier, spürt sie mit einem Mal, viel kühler als in dem Landesinneren, aus dem sie kommt. Dieser Ort, denkt Lena, liegt eben auch nicht geschützt in einer Ebene, dieser Ort liegt am Meer, am Wind. Und während sie diesem Meer immer näher kommt, das Salz dieses Meeres immer mehr die Luft erfüllt, traut sie sich kaum auf die Straße zu schauen, auf die Menschen um sie herum, so sehr wünscht sie sich, Luca käme auf sie zugefahren von hinten oder von vorn, und so sehr fürchtet sie sich auch, so sehr spürt sie ihre Aufregung, ihre Angst vor genau diesem Moment.

      Auf ein weiches Bett freut sie sich jetzt, ein Zimmer für sich ganz allein, und auch darauf, den Besitzer der Pension, Herrn Bartonelli, wiederzusehen. Vor der Pension steckt sie ihre Hand durch das Gitter des Gartentors und drückt den Knopf, der dort von Innen am Schloss angebracht ist. Es klickt, doch es tut sich nicht auf, auch nicht, als Lena erneut darauf drückt und es dann noch ein weiteres Mal probiert. Sie klingelt, sie wartet, sie blickt hoch zur Tür. Nichts aber regt sich da in dem Haus vor ihr. Es scheint einfach niemand da zu sein, keine Gast und auch keine Gastgeber. „È chiuso!“, dringt eine rufende Stimme von der anderen Seite der Straße her an ihr Ohr und Lena entdeckt die Frau im Garten dort, die verneinende Handbewegungen macht. „Sie sind in den Urlaub gefahren“, kann Lena nicht glauben, was sie hört. Das kann doch jetzt wirklich nicht sein!

      Das Hotel an der Ecke am Platz fällt ihr ein. Es wird unglaublich teuer sein, weiß sie genau, aber sie weiß eben auch nicht, wo sie sonst bleiben soll. Langsam geht sie die Straße unten am Meer entlang, als wolle sie noch einmal fühlen, ob sie die Nacht nicht doch vielleicht am Strand verbringen kann, dort irgendwo schlafen. Doch der Wind ist zu kräftig und zu kühl ist es jetzt schon am frühen Abend. Und ganz