Nächstes Treffen Adria. Johanna Kemme

Читать онлайн.
Название Nächstes Treffen Adria
Автор произведения Johanna Kemme
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753189789



Скачать книгу

kommen wird, meint sie einmal wieder. Aber so ein Brief, hatte sie sich noch in Deutschland überlegt, hätte ihn eh nicht rechtzeitig erreicht, so kurzfristig, wie sie sich entschieden, wie sich alles ergeben hatte. Aber warum hatte er ihr denn auch nicht geschrieben, in all diesen Wochen, die vergangen waren, seitdem sie hier zusammen gewesen waren? Nicht ein einziges Wort!

      So bedrückend werden all diese Fragen am Morgen des dritten Tages, die immer und immer wiederkehren in Lenas Kopf, so bedrückend, dass sie nur noch fliehen mag, ganz weit weg von ihnen. Ich sollte nach Perugia fahren, findet sie, denn ihr Gefühl sagt ihr eben auch schon die ganze Zeit, dass sie Luca sicher begegnet wäre, wäre er denn tatsächlich hier im Ort. Und so, wie sie ihn kennen gelernt hatte, würde er eine Nachricht von ihr auch nicht einfach ignorieren. In Perugia aber wird es sicher eine Jugendherberge geben, einen Ort, der viel günstiger ist, als ihr Hotel hier. Einen Ort aber auch, an dem sie andere Menschen treffen kann, sich nicht mehr so alleine fühlen wird, wie hier in diesen Tagen. Und da es auch nicht weit ist von hier bis in diese Stadt, kann sie ja auf dem Rückweg vielleicht auch noch einmal hier vorbeikommen, mit Mut genug vielleicht ja auch, um am Haus von Lucas Eltern zu klingeln.

      3 Der falsche Zug

      Ich Dösch bin doch tatsächlich in den falschen Zug gestiegen! Wäre der Schaffner nicht so schnell gekommen und hätte er sich meine Fahrkarte nicht so ausführlich angesehen, ich würde wohl noch immer in die falsche Richtung fahren. Nun bin ich also wieder dort, wo ich vorhin schon war, um die paar Mark ärmer für die Rückfahrt von dort, wo ich nicht hingewollt habe. Aber wenigstens hat mein Ticket nach Perugia jetzt nicht auch noch seine Gültigkeit verloren. Doof nur, dass der nächste Zug erst irgendwas vor neun heute Abend fährt! Und das ja auch erst mal nur bis Foligno. Ich werde also sicher erst spät ankommen in Perugia.

      Nun aber heißt es erst einmal wieder warten. Einen Cappuccino habe ich schon getrunken, direkt hier in der Bahnhofsbar, im Stehen, wie das eben alle hier machen, den schweren Rucksack neben mir. Beeindruckend die meterlange Theke aus altem, ausgedunkelten Holz, die sich von der Tür direkt am Gleis durch die gesamte Bar zieht bis zu den Türen zur Straße hin. Das sind bestimmt über zehn Meter.

      Warten! Zeit totschlagen. Es lohnt sich nicht, noch einmal in die Stadt an der Adria zu gehen und ich habe sie auch schon gesehen. Was also soll ich anderes machen, als mich mitten in der endlos hohen Bahnhofshalle auf der ausgesessenen, alten Holzbank niederzulassen? Hier kann man sich sogar richtig schön zurücklehnen, denn die hölzerne Lehne, welche die Sitzflächen zu beiden Seiten trennt, ist wahrlich hoch genug, um zu verhindern, dass man mit Hinterköpfen zusammenprallt, wenn zwei Rücken an Rücken zu beiden Seiten Platz nehmen. Die hohen, schweren, halb verglasten Schwingtüren hinter mir, durch die man auf die Gleise gelangt, stehen halb offen. Die vor mir, wo es gleich eine ganze Front aus eben solchen endlos hohen, schweren Metalltüren zur Straße hin gibt, sind ständig in Bewegung. Menschen kommen und gehen, eilen von Tür zu Tür, kaufen Zeitschriften, Zigaretten, Zeitungen oder kleine Süßigkeiten an dem Kiosk rechts von mir. Sie recken ihre Hälse zu der Anzeigentafel hinauf, die der Höhe der Halle geschuldet, weit oben an der Wand über dem Kiosk Auskunft gibt über die Züge, die von hier fahren und auch über das geplante Wann. Klackerklackerklack werden die Zahlen und Buchstaben der Anzeige verändert. Klackklack Klackerdiklack klappen die beschrifteten Holzkarten so lange von oben nach unten, bis sich die gewünschten Zeichen eingestellt haben. Manchmal braucht es viele Klackerklacks, bis aus den einzelnen Schriftzeichen nebeneinander ein Ganzes, ein Sinnvolles entsteht. Die einen klappern länger, die anderen brauchen weniger Zeit.

      Es sind immer die gleichen Geräusche, fällt mir auf. Immer die gleichen Geräusche, die man unentwegt hört, ob in den Hallen, auf den Gleisen oder im Zug.

      Klackerdiklack. Klack. Klack.

      Menschen gehen mit großen Koffern und mit kleinen, mit schweren, wie sich aus ihrer Körperhaltung schließen lässt, und mit leichten. Sie tragen Taschen, Beutel und nicht selten auch Rucksäcke auf ihren Schultern. Ich vertreibe mir meine Zeit, indem ich mir ausmale, wo diese Menschen wohl herkommen und wohin es sie wohl treibt. Bei denen im Anzug mit Aktenkoffer ist das keine große Herausforderung. Bei anderen lässt es sich aber nicht so leicht erraten, schick angezogen, wie manche sind und ganz sicher auch parfümiert. Wie die Frau dort, viel zu aufgedonnert, um gerade aus dem Büro zu kommen! Wohin will sie? Was ist ihr Ziel? Und wohin reisen wohl die da hinten in ihrer lässigen, aber sehr modischen Freizeitkleidung?

      Attenzione! Attenzione!, hallt die Durchsage von den Gleisen her durch die offenen Schwingtüren in das Bahnhofsgebäude. „Attenzione! Attenzione!“

      Auffällig der, der hastig durch die große Tür beim Kiosk in die Halle kommt. Schaut sich ständig um, ohne stehen zu bleiben und durchquert so die Halle im schnellen Schritt. Verschwindet für einen Moment auf den Gleisen und kommt schon wieder hastig in die Halle zurück, läuft erneut durch sie hindurch, ständig um sich blickend, als würde er irgendetwas, irgendjemanden suchen. Schlank ist er und jung. So alt wie ich vielleicht. Auf jeden Fall etwas länger, also größer meine ich, für italienische Verhältnisse zumindest, mit angesagtem Vokuhila-Schnitt, das Haar vorne fransig und nicht zu kurz nach oben gestylt, das hinten nicht zu lang und glatt. Kurz vor den meterhohen Türen zur Straße hin spricht er einen Mann im Pullover an. Der kramt erst in seiner Hosentasche und hält ihm dann eine Schachtel hin, aus welcher sich der mit dem modernen Haarschnitt eine Zigarette nimmt. Die steckt er zwischen seine Lippen, bevor er auch schon wieder durch den Ausgang zur Straße hin verschwunden ist.

      Nun sind da wieder nur ganz normale Menschen. Menschen, die in der Halle stehen und sich von anderen verabschieden. Menschen, die mich mit offenen Blicken kurz anschauen und Menschen, die nur mit sich selbst beschäftigt sind. Menschen, die mehr oder weniger geduldig in der Schlange vor den Fahrkartenschaltern links von mir warten, dort immer wieder ein Stück vorrücken, sobald eine Person vom Personal hinter den Glasscheiben abgefertigt worden ist. Menschen, die Koffer vor sich herschieben, mit ihrer Reisebegleitung schwatzen, nach Geld, Papieren oder sonst etwas in ihren Taschen kramen.

      Klackklack, klackerdiklack.

      Ein kühler Luftzug zieht durch die Halle von offener Tür zu offener Tür. Ich pule meine dünne Sweatjacke aus dem Rucksack und streife sie über mein T-Shirt. Mein Blick gleitet erneut auf die riesigen Zeiger an der Wand weit über mir. Der große aber steht dort, wo er eben schon war oder höchstens einen Zentimeter weiter. Warten! Zeit totschlagen. So viel Zeit, die man beim Reisen damit verbringt, auf irgendetwas zu warten! So viel Zeit, denke ich, als mein Blick von den langen Zeigern dort oben zurück hinunter zu den Menschen in der Halle fällt. Der kommt echt direkt auf mich zu, erschrecke ich. Hastig. Noch immer genau so hastig wie eben bereits, so dass ich plötzlich schmunzeln muss. Mit leicht zusammengekniffenen Augen fixiert er mich mit seinem Blick, eilt weiter in meine Richtung und sitzt auch schon neben mir. „Ha una sigaretta?“ Du hast doch grad erst geraucht, denke ich. “No, solo tabacco.” - “Parla Italiano?“, bezweifelt sein Blick. Aber er siezt mich! „No, non così bene. Solo un po`”, reiche ich ihm meinen Tabakbeutel. „Dalla Germania?“, bedankt er sich mit einem kurzen Nicken. „Sì”, nicke ich. “English?” Was genau will er jetzt? „No, tedesca“, erkläre ich erneut, dass ich aus Deutschland komme. Nett, wie er jetzt lacht, so in den Tabakbeutel hinein. „But you speak English?“, grinst er und zieht eines der Blättchen aus dem Päckchen heraus, welches im Tabakbeutel gesteckt hat. „Ja! Vielleicht besser!“ Das Blättchen mit dem Tabak darauf in beiden Händen haltend, fragt mich sein Blick, ob ich vielleicht bescheuert bin. „Also ja“, lache ich, „Ich spreche Englisch.“ Zufrieden nickt er jetzt, während seine Zungenspitze über den Kleberand des dünnen, weißen Papierblättchens gleitet. Schon steckt die Zigarette zwischen seinen schmalen Lippen. „Wie kommst du darauf, dass ich aus Deutschland bin?“, würde ich aber jetzt schon gerne wissen. „Ah, einfach!“, fliegt seine rechte Hand nach oben in die Luft. „Die Haare!“ zeigt sie nun auf diese, „der Rucksack, dein Gesicht!“ -„Mein Gesicht?“ Er grinst, zuckt die Schultern, hat eh nur geraten, denke ich. „Alle jungen Leute bei euch im Land rauchen Tabak, oder nicht?“, grinst er weiter mit der Zigarette zwischen den Lippen, während er das Blättchenpäckchen zurück in den Tabakbeutel steckt, ihn nicht wieder richtig