Seltsame Vorfälle. Elisa Scheer

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Название Seltsame Vorfälle
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754924525



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na bitte! Ihr Handy.

      Da dachte sie schon, Alzheimer habe angeklopft – mit dreiunddreißig? Das gab´s wahrscheinlich gar nicht! Frühvergreist oder wie? Beruhigt kehrte sie wieder an ihren Schreibtisch zurück und sammelte Ideen für ihre Projekte; dazwischen sortierte sie einiges, das bereits erledigt war, in den Ordner ABGESCHLOSSEN und sah sich danach befriedigt um: Schon wieder besser!

      Und natürlich hatte sie keine geistigen Aussetzer, weshalb denn auch?

      Abends auf dem Parkplatz hatte ihr jemand irgendwelche angeschmuddelten Pizzaflyer unter den Scheibenwischer geklemmt; sie entfernte sie leise schimpfend und stellte fest, dass Biggi, die ebenfalls ein rotes Auto fuhr, auch mit diversem Altpapier kämpfte.

      „Hasst da einer rote Autos oder glaubt er, wir hätten diesen Kram zu Unrecht im Papierkorb versenkt?“, rief sie zu ihr hinüber.

      Biggi zuckte die Achseln und schlug vor: „Spaßvogel?“

      „Ja, wahnsinnig lustig. So ein Idiot…“

      „Und dann noch Pizza! Wenn es wenigstens Chinafutter gewesen wäre!“ Einträchtig warfen sie das schmuddelige Papier in den Papierkorb, grinsten sich dann unfroh an und stiegen in ihre Autos.

      Blöder Tag, überlegte Stella zu Hause, erst die Sache mit dem Handy, wo sie schon fast an sich gezweifelt hatte – und dann dieser Müll an ihrem Auto? Sie versuchte, sich die Erfolge dieses Tages vor Augen zu halten, aber das nützte gar nichts, sie ärgerte sich ja doch.

      Sie reagierte sich mit Putzen ab, aber da ihre Wohnung nicht gerade groß war, war sie danach auch nicht wohlig erschöpft – nur so halb zufrieden. Außerdem hatte sie erst vor wenigen Tagen geputzt, man sah also ohnehin kaum einen Unterschied.

      Es gab eben doofe Menschen – und was das Handy betraf, hatte sie einfach vergessen, dass sie ihre Jacke schon weggehängt hatte!

      Lieber lümmelte sie sich aufs Sofa und dachte an die seltsame Geschichte, von der Paulie erzählt hatte: Eine ihrer Kolleginnen glaubte, von einem Stalker verfolgt zu werden, aber niemand hatte jemals etwas Entsprechendes beobachtet. Und die Botschaften, die an ihrem Wagen zu klemmen pflegten, konnte sie, so tuschelten manche, genauso gut selbst verfasst haben.

      Paulie gehörte so halbwegs auch zu diesen bösen Stimmen, denn diese Kollegin schien dazu zu neigen, sich interessant machen zu wollen.

      „Wahrscheinlich hat man das zurzeit – einen Stalker“, hatte Paulie dann gefeixt. „Sozusagen das must have der Saison.“

      „Das ist gemein“, hatte die sanfte Sabine gemahnt, „vielleicht ist es ja auch etwas Psychisches?“

      Das fand Stella eigentlich auch nicht viel besser. Wer sich von einem Stalker verfolgt fühlte, war also entweder eine Angeberin oder nicht ganz dicht? Stalker gab es doch, auch wenn Paulie behauptete, vor allem in schlechten Filmen.

      Dem war eine längere Diskussion gefolgt, warum man eigentlich immer sofort sagte „in schlechten Filmen“: Konnte ein solches Thema nicht auch in einem anspruchsvollen und gelungenen Film umgesetzt werden?

      Bis sie damit durch waren, hatten sie alle aufgegessen, lehnten satt und zufrieden in ihren Stühlen und hatten keine Lust mehr auf Tiefschürfendes, also beschränkten sie sich auf ihre Pläne für Ostern, auf die Frage, was an den Gerüchten von einer neuen Grippeart in einem Kaff bei München und irgendwo im Rheinland dran sein konnte und natürlich: Warum diese komischen Grippearten mit den schwer merkbaren Namen alle aus China stammten – oder angeblich stammen sollten.

      Die Frage, ob es Rassismus war, alles den Chinesen in die Schuhe schieben zu wollen, konnten sie dann nicht mehr abschließend klären, denn dafür war ihr Inneres doch zu sehr mit der Verdauung und zu wenig mit Nachdenken beschäftigt.

      Ja, es war ein netter Abend gewesen, fand Stella abschließend. So, und jetzt würde sie sich etwas ebenso Nettes zu essen machen!

      5

      Zwei Tage später saß sie gerade an einem zu überarbeitenden Info-Blatt zur Wanderausstellung „Installationen zur Medienkritik“, die bald wieder bei ihnen ankommen sollte, als die Tür aufging und der Bote ihr ein Päckchen brachte.

      „Hier. Riecht aber ein bisschen seltsam, finde ich.“

      „Ach ja?“ Sie nahm es entgegen und stellte es auf das alte Infoblatt. „Von wem ist das denn? Metzgerei Bartl? Kenn ich nicht…“

      Sie hob das Päckchen wieder hoch.

      „Ihh!“ Das Infoblatt wies jetzt blassrote Flecken auf, die sehr unerfreulich rochen. War das womöglich – Blut?

      Sie schluckte krampfhaft und kramte das Kärtchen von diesem Korka heraus – obwohl der für solche blöden Scherze wahrscheinlich gar nicht zuständig war – und nahm den Hörer ab. Jemand anderes ging dran, sie verstand in ihrer Aufregung den Namen nicht. Immerhin konnte sie das Paket und seine unappetitlichen Folgen für ihre Unterlagen beschreiben, ohne verwirrt zu wirken – und der Beamte versprach, sofort vorbeizuschauen.

      Tatsächlich rief etwa zehn Minuten später der Empfang und kündigte einen Herrn Hollerbach an. Stella eilte gleich zur Tür und spähte den Gang entlang, winkte den Beamten dann zu sich und führte ihn an ihren Schreibtisch.

      „Da! Ich weiß nicht, ob das Blut ist – aber was, wenn da ein abgeschnittenes Ohr drin ist oder sowas?“

      Hollerbach grinste kurz: „Van Gogh oder Paul Getty?“

      „Beide. Aber schauen Sie, Metzgerei Bartl – ich kenn die nicht und niemand würde doch Fleisch mit der normalen Post verschicken, da wird ja alles schlecht!“

      Sie sah auf und ihm ins Gesicht. Sah nett aus, der Kommissar oder was immer er war…

      „Also Sie haben das bestimmt nicht bestellt?“

      „Ich bin doch nicht wahnsinnig! Wie gesagt – Kühlkette? Außerdem mag ich Fleisch gar nicht so besonders. Wer sagt auch, dass das Fleisch ist – also, essbares Fleisch…“ Sie musste wieder schlucken und hielt sich hastig die Hand vor den Mund. „J-jetzt komme ich vor wie eine Kannibalin! Ekelhaft!“

      Hollerbach zog sich Handschuhe über und nahm das Paket auf.

      „Meine Fingerabdrücke sind bestimmt auch drauf, ich hab es angeschaut, wegen des Absenders. Blöd…“

      „Das war doch klar, machen Sie sich da bloß keine Sorgen, Frau Mutén. Ist das schwedisch?“

      „Ja. Ich überlege nur – warum sollte mir jemand etwas Ekliges schicken? Ich hab keinen Schlachthof, bin aber auch nicht streng vegan, ich hab keine Feinde, keinen rachsüchtigen Ex, der hat mich doch schon längst vergessen.“ Sie zuckte ratlos die Schultern.

      „So schnell vergessen Männer ihre Exfreundinnen auch nicht. Wie lange ist er denn schon ein Ex?“

      „Knapp zwei Jahre. Und er hat Schluss gemacht. Weil ich nicht kochen kann. Dabei kann er es doch auch nicht!“

      „Klingt nicht so, als sollte das Paket jetzt ein Menüvorschlag sein“, fand Hollerbach. „Sie haben auch Familie? Sind da irgendwelche Witzbolde dabei, die so etwas lustig finden könnten?“

      „Meine Mutter bestimmt nicht. Mein Vater, Göran Mutén, ist schon vor sieben Jahren gestorben. Geschwister habe ich keine und meine Freundinnen Sabine und Paulie finden so etwas auch nicht gerade komisch.“

      Sie diktierte ihm sämtliche Adressen und las ihm die Telefonnummern aus ihrem Smartphone-Telefonbuch vor. „Mehr Leute fallen mir nicht ein. Meine Kolleg*innen hier – da wüsste ich wirklich auch nicht. Und Ärger habe ich auch mit niemandem. Na, vielleicht war das ein einmaliger blöder Witz.“

      „Außer wenn es ein menschliches Ohr ist“, gab Hollerbach ernsthaft zu bedenken. „Das ginge über einen blöden Witz dann doch weit hinaus.“

      „Ach