Seltsame Vorfälle. Elisa Scheer

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Название Seltsame Vorfälle
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754924525



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verließ das Museum und trat durch den Torbogen nach draußen; der Wächter schloss das Gittertor hin ihr und sie stolperte fast gegen einen jungen Mann, der sie kurz festhielt und dann einen Schritt zurücktrat.

      „Alles in Ordnung?“

      „Ja, klar. Es war nur so plötzlich…“

      „Ich wollte ins Museum, aber…?“

      „Richtig.“ Sie deutete auf die Messingtafel. „Wir schließen um halb sechs. Sie sind leider zu spät dran. Versuchen Sie es doch morgen noch einmal! Schönen Abend noch!“

      Sie eilte an ihm vorbei, denn da kam schon der Bus um die Ecke.

      2

      Im Bus spielte sie weiter mit ihrem Handy. Bisschen Nachrichten gucken. In Stockdorf – wo war das denn, hier in der Gegend doch wohl nicht? – hatte sich jemand an dieser komischen neuen chinesischen Krankheit angesteckt, bei wem, wusste man noch nicht. Total exotisch…

      Sie sah misstrauisch aus dem Fenster – nein, nur noch zwei Stationen, dann würde sie Stockdorf eben später googeln…

      Komische Krankheit – war das so etwas wie eine Grippe? Aber dass man da gleich ins Krankenhaus musste? Sollte sie sich vielleicht doch mal gegen Grippe impfen lassen? Bei Gelegenheit würde sie mal Dr. Höchle fragen, die konnte ihr da sicher einen guten Rat geben.

      Sie sauste einmal durch den Drogeriemarkt, schleifte ihre Beute nach Hause, schlüpfte in bequemere Hosen und ihre Laufschuhe und machte sich auf zum See, da waren die Wege wenigstens fein gekiest, das war besser für die Gelenke. Noch spürte sie die zwar nicht, aber mit bald fünfunddreißig sollte man das nahende Alter wohl doch langsam einkalkulieren…

      Das hatte sie Biggi mal erzählt und die hatte gestaunt: „Gehst du nächstes Jahr in Rente? Stella, du bist dreiunddreißig! Und ausschauen tust du wie Mitte zwanzig!“

      Das mochte ja stimmen, aber wenn sie noch einige Jahre wie Mitte zwanzig aussehen wollte, musste sie eben aufpassen! Auch wenn Biggi glaubte, sie habe sich von diesen Werbespots der Kosmetikindustrie einwickeln lassen, von wegen Ab fünfundzwanzig altert die Haut. Ja, vielleicht. Jetzt war es halt so.

      Jedenfalls machte es den Kopf wunderbar frei, wenn man so gemütlich am See entlang vor sich hin joggte. Und wenn man dabei ein paar Stunden jünger wurde – warum nicht?

      Schwimmen gehen sollte sie auch mal wieder… und wenn das Frühjahr kam, wieder Fahrradtouren unternehmen, durch die Dörfer außerhalb von Leisenberg, da gab es nämlich wirklich reizvolle Winkel.

      Ach, es gab so viel, was man unternehmen konnte! Im Juni vielleicht mal wieder nach Wien? Oder Berlin? Nein, Berlin mochte sie eigentlich nicht, obwohl es da auch interessante Ecken gab. Wien war einfach souveräner und selbstironischer.

      Arm, aber sexy fand sie blöd, denn Berlin mochte zwar arm sein, aber die allgemeine Unfähigkeit, die sie den Nachrichten entnehmen zu können glaubte, war doch nicht sexy? Peinlich traf es dann wohl eher. Berlin. Arm, aber peinlich. Nicht übel… Sie grinste vor sich hin und näherte sich wieder dem Benediktsweg.

      Wieso denn aber? Wo war da der Gegensatz? Berlin. Arm und peinlich – das war´s! Sollte sie denen mal schicken. Mit Hinweisen auf den BER, das LaGeSo und so weiter. Mehr fiel ihr gerade auch nicht ein. Aber arm war noch keine Sünde, peinlich vielleicht schon. Ach, egal.

      Leise vor sich hin glucksend trabte sie vor sich hin.

      „So gut gelaunt?“

      Ach, Wolfi. Der wohnte im Nachbarhaus und wollte sich offensichtlich auch gerade zum Laufen schleppen. Sah aber nicht so aus, als mache ihm das Spaß.

      „Klar. Arbeit geschafft, gelaufen, frische Luft getankt – Sonne nicht so direkt“, sie blinzelte schräg nach oben. „Und mir ist ein neuer Slogan für Berlin eingefallen.“

      „Machst du jetzt Werbung? Ich dachte, du bist in einem Museum?“

      „Bin ich auch. Und Werbung ist es auch nicht direkt. Wie findest du Berlin. Arm und peinlich?“

      Wolfi grinste. „Du denkst an diesen Endlosflughafen? Stimmt schon. Aber ich frage mich ja auch, ob da nicht ein gewisser Bundesminister schuld ist. Du weißt schon, der, der alles verbockt, was er anpackt.“

      „Der mit der anderen Rechtsauffassung? Hübsche Idee. Dann lauf mal schön, ich werde jetzt meine Bude auf Hochglanz bringen.“

      „Und danach?“ Das klang regelrecht betrübt.

      „Ach, ich hab da noch einen ziemlich spannenden Krimi. Und zwei Freundinnen muss ich auch noch anrufen…“ Sie winkte Abschied nehmend und trabte davon, immer langsamer werdend.

      Vor der Haustür dehnte sie sich noch ein wenig und trabte dann die Treppen hinauf. Kaum schnaufend schloss sie im zweiten Stock ihre Türe auf und verharrte einen Moment voller Selbstzufriedenheit: Fit war sie, ohne Zweifel.

      Fit und gesund und gescheit und gut in ihrem Job – was sollte sie sich mehr wünschen? Mama würde sicher sagen: Einen Mann!

      Aber wozu? Das bisschen Sex war es doch nicht wert, sich sein Leben durcheinanderbringen zu lassen – und Männer brachten einem das Leben durcheinander, das hatte sie bei allen ihren Freundinnen gesehen. Die hatten es auch alle zugegeben und verträumt gekichert: „Aber er ist so süß dabei!“ – „Aber mein Leben ist jetzt auch viel aufregender!“ – „Da merkt man erst, wie sehr man vorher in Routine erstarrt war!“

      Herzlichen Dank, sie mochte ihre Routine – und wenn das eines Tages nicht mehr so war, konnte sie sie ja wohl selbst ändern! Dann stimmte wenigstens die Richtung.

      Ihre Wohnung gefiel ihr immer wieder – und das nicht nur, weil sie schon abbezahlt war. Ein großes Zimmer, ein kleines Zimmer, ein Bad, ein Kämmerchen. Sechsundfünfzig perfekt genutzte Quadratmeter. Weiße Wände, weiß lasierter Holzboden, blassblaue Küchenzeile im großen Zimmer, dazu eine Chillout-Ecke und eine Arbeitsecke, die bei Besuch auch als Essplatz nutzbar war. Alles in Weiß, Gelb und Blau. Ihre Freundinnen fanden, es sehe aus wie im IKEA-Katalog, obwohl sie merkwürdigerweise gar nichts von IKEA hatte. Das Kämmerchen gefiel ihr fast am allerbesten, denn dort hatte sie einen ebenfalls blassbauen Schrank einbauen lassen (von der Küchenfirma), in dem neben all ihren Klamotten, die sie sorgfältig ausgewählt hatte, auch Putzmittel, Haushaltsvorräte und alles andere verräumt war, was Stella nicht offen herumstehen lassen wollte. Praktisch alles also.

      Klare Linien… schön!

      Und jetzt hatte sie Hunger und zwar nicht auf etwas Gesundes, Nachhaltiges und Korrektes! Sie würde sich etwas Fertiges machen – und bis das warm war, konnte sie Staub wischen und den Roboter einmal durchsaugen lassen.

      Andererseits hatte sie ja mittags schon die Fischtasche, aber Fisch und diese Sauce aus Kräuterkäse, das war doch auf jeden Fall proteinreich? Und wenn sie jetzt diese Gemüsemischung mit ein paar Nudeln in die Auflaufform… und etwas Käse darüber? Das war ja wieder Protein? Egal, sie hatte da jetzt Lust drauf. Und sie war ordentlich gelaufen! Ihr Tracker meldete vierzehntausend Schritte, da könnte sie sogar Buttercremetorte esse, wenn sie so etwas herunterbrächte. Igitt.

      Also kippte sie alles, was sie sich überlegt hatte, in die Auflaufform, streute geriebenen Gouda darüber und schaltete den Ofen ein. Staubwedel, Roboter, Geschirr verräumen, den Müll wegbringen (viel war´s nicht, darauf achtete sie schon), zwei Bücher zurück ins Regal, eine DVD zuklappen…

      Morgen konnte sie diese Ideen einmal ausarbeiten und wenigstens ein Projekt oben vorlegen… Ach herrje, einkaufen sollte sie vielleicht auch noch. Nein, morgen genügte!

      Und wo war jetzt Stockdorf? Sie surfte und schnupperte ab und zu, ob der Auflauf schon zu duften begann. Ach, in der Nähe von München… nicht so arg in der Nähe.

      o

      Der nächste Vormittag verlief auch ganz nach Plan – und die Museumsschefin, Pia von Feldenhain, zeigte sich von der Idee, eine Abteilung