Seltsame Vorfälle. Elisa Scheer

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Название Seltsame Vorfälle
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754924525



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über mögliche Ereignisse, passende Gemälde, Pläne und Karten, mögliche Infotexte zu den Ereignissen. Ob man dafür jemanden von der Uni gewinnen konnte? Sie stöberte durch die Homepage der UL und stieß schließlich auf den Namen Josephine von Collnhausen, den sie auch sofort vermerkte. Für heute reichte das wohl… Sie gab das Exposé in Pias Vorzimmer ab und durchquerte auf dem Rückweg die Eingangshalle: wenig Betrieb, auch von dem enttäuschten Besucher von gestern war nichts zu sehen – na, vermutlich musste der um diese Zeit arbeiten. Oder er studierte noch und saß irgendwo auf dem verwinkelten Gelände der UL in einer Vorlesung oder einem Seminarraum… ach, das konnte ihr doch auch wirklich egal sein!

      Immerhin gab es auf dem Tischchen neben dem Tresen nicht nur Postkarten und Flyer für die Ausstellungen, sondern auch einen hübschen kleinen Stapel MorgenExpress und HOT!. Also, auf HOT! sollte man allmählich verzichten, das Käseblatt war so peinlich wie die BILD-Zeitung.

      Stella nahm sich einen MorgenExpress mit in ihr Büro; nachdem sie schon so fleißig gewesen war – es war kaum Viertel nach neun! – konnte sie jetzt ja wohl die erste Morgenbreze essen und dazu die Zeitung überfliegen, den Kulturteil auf jeden Fall. Na, Klatsch und Tratsch vielleicht auch noch.

      Es ging so, was das Interessante betraf. In diesem Stockdorf waren noch zwei Leute an der chinesischen Grippe erkrankt und ins Schwabinger Krankenhaus eingeliefert worden. Wuchs sich das zu einer Seuche aus? In der art&book - Buchhandlung hatte jemand mehrere teure Bildbände geklaut, in der Avenariusgasse war eine Galerie überfallen worden, drei Ladendiebe hatten sich im Kaufhaus Damberger am Markt umgetan, die Galerie der Moderne wollte eine Banksy-Ausstellung machen. Ui, kam der vorbei und malte ihnen seine Werke an die Wand? Sie sollte sich den Termin auf jeden Fall notieren!

      Die Breze war verspeist, sie legte die Tüte mit dem zweiten Exemplar in das Regal neben sich und überlegte. Irgendetwas hallte noch in ihr nach… Damberger? Quatsch, da war sie schon ewig nicht mehr gewesen. Avenariusgasse? Stimmt, da hatte sie ja gestern erst gegessen. Aber welche Galerie? Und wann? Stand mal wieder nicht da… bei HOT! stand es ganz bestimmt, aber für das dämliche reißerische Blatt gab sie doch keinen Cent aus. Und außerdem war ihr die Sache doch auch egal. Als sie ihre Fischtasche genossen hatte, war in der Avenariusgasse aber schon sowas von tote Hose gewesen…

      Sie legte die Zeitung beiseite und konzentrierte sich auf ihre Mails, auf die Briefpost und alle Memos mit dem Betreff Kannst du bitte mal…, die auf ihren Tisch geflattert waren. Bis das alles erledigt war, war es wieder einmal Mittag durch - ok, essen gehen? Ach, die zweite Breze genügte ja wohl!

      Sie blätterte ein wenig durch den Rest der Zeitung, bevor sie sie achselzuckend ins Altpapier warf und sich wieder einmal vornahm, Nachrichten lieber auf mex-online zu lesen, damit kein Baum für diesen Quatsch sterben musste.

      Dann eben auf zum Meeting!

      Dort ging es leider fast nur um Themen, die sie selbst gar nicht betrafen, was ihr Zeit ließ, über diesen so ungenau beschriebenen Überfall nachzudenken. Ja, und über die Frage, was sie nachher einkaufen musste und ob sie sich später mit Sabine und Paulie irgendwo treffen wollte. Als die Wogen wegen der neuen Klimaanlagen im großen Saal für die Wechselausstellungen besonders hoch gingen, schaffte sie es sogar, unbemerkt eine kurze Nachricht in der passenden Whatsapp-Gruppe unterzubringen.

      Nicht ganz unbemerkt; Anja sah zu ihr herüber und grinste wissend, bevor sie die Augen rollte.

      Schließlich sah Stella wieder fromm drein, ganz gespannte Aufmerksamkeit, fing dann aber doch Pias Blick ein und sah kurz auf die Uhr. Pia nickte leicht, räusperte sich und bat die drei Streiter*innen, doch bitte bis zum nächsten Mal alle Argumente für die eine und die andere Variante in einer Kosten-Nutzen-Rechnung zusammenzustellen, damit es eine Diskussionsgrundlage gebe. Biggi, die schon verzweifelt dreingesehen hatte, versprach, dies anstatt des recht giftigen Streits ins Protokoll aufzunehmen, und wirkte eindeutig erleichtert.

      Noch einige Kleinigkeiten unter „Sonstiges“ und Gequengel von Anita und Roland, die sich – wie meistens – benachteiligt fühlten, dann war die Sitzung vorbei; Biggi tippte noch schnell die Uhrzeit, 17:14, und schickte ihr Protokoll an alle Teilnehmer*innen, dann erhoben sich alle erleichtert und verteilten sich auf ihre Büros, um noch so lange zusammenzupacken, bis die Ausstellungsräume geschlossen waren. Vorher zu gehen galt als unfein, es sei denn, man hatte Außentermine.

      Stella grinste vor sich hin, während sie ihren Schreibtisch aufräumte, noch kurz in ihr Postfach schaute – nichts Neues, dem Himmel sei Dank – und den Rechner herunterfuhr.

      An diesem Abend zumindest wollte niemand außerhalb der Öffnungszeiten ins Museum; sie besorgte alles, was sie sich während des langweiligen Meetings überlegt hatte (und noch einige weniger nötige Dinge, über die sie sich hinterher prompt ärgerte), und stellte fest, dass Paulie und Sabine ab sieben im Salads sitzen und ihr einen Platz freihalten würden. Perfekt!

      3

      Ben und Maggie hatten das Krankenzimmer zwar betreten dürfen, vorschriftsmäßig verhüllt, aber eigentlich hatte das nicht den geringsten Nutzen: Das Opfer lag still da, mit diversen Schläuchen und Zugängen versehen, die Augen geschlossen und lediglich die Geräusche erzeugend, die die Überwachungsapparate von sich gaben. Wenn sie das enervierende Piepen richtig deutete, dachte Maggie, war die Atmung gleichmäßig. Immerhin.

      „Das bringt nichts“, meinte Ben schließlich, „versuchen wir es morgen nochmal, vielleicht ist er bis dahin wieder wach. Armer Kerl.“

      Maggie gab ein zustimmendes Geräusch von sich und wandte sich zur Tür. Die Schwester auf dem Gang lächelte ihnen mitfühlend zu und nahm die Einmal-Schutzanzüge entgegen. „Ganz schön viel Müll, gell?“, bemerkte Maggie.

      „Mei, perfekt keimfrei reinigen ist wohl mindestens genauso aufwendig…“ Die Schwester seufzte ob des ökologischen Dilemmas.

      „Verdammt“, schimpfte Ben im Aufzug nach unten, „wer macht sowas? Haut einen armen alten Herrn um, nur für einige lumpige Bilder? Hast du den Flyer in der Galerie gesehen? Die waren doch scheußlich? Und diese Assistentin oder was immer sie war, hat ja auch gemeint, sie haben seit der Eröffnung-“

      „Vernissage.“

      „Besserwisserin. Seit der Vernissage also noch kein einziges dieser Machwerke verkauft. Elf solche Bilder…“

      „Zwischen Elftausend und null. Dafür kriminell werden? Hast schon recht, Ben.“

      Er brummte. „Hoffentlich wird der Inhaber wieder! So unnötig, das Ganze – oder glaubst du, er hat sich todesmutig vor dieses Geschmier geworfen?“

      „Also, wir beide haben ja vielleicht nicht den tollsten Kunstverstand, aber das kann ich mir auch nicht vorstellen. Vielleicht aber geht es auch gar nicht um das Gepinsel?“

      „Worum denn dann?“

      „Vielleicht hat eins der Bilder etwas Besonderes. Einen Microchip unter der Farbe oder ein Erpresserfoto. Oder – ja, bei Agatha Christie war mal unter irgendwelchem Mist ein Rembrandt versteckt.“

      „Der Wachsblumenstrauß“, ich weiß. Das ist aber schon ein bisschen – naja, wenigstens arg umständlich. Warum das Bild dann nicht kaufen? Den Schotter hätte man doch bestimmt noch runterhandeln können! Dann den Microchip an die Chinesen oder wen auch immer verscherbeln und man kann das Konto locker wieder ausgleichen. Und Konkurrenz beim Kaufen gab´s ja ganz offensichtlich gar keine.“

      Maggie brummte – wieder nix mit ganz großem Kino…

      Im Präsidium betrachteten sie das noch recht leere Whiteboard: Galerie Enkofer – Martin Schmidt-Enkofer (65) – Gemälde von Nick Asmannsperger (11 Stück), noch nichts verkauft. Keine Zeugen. Ärgerlich.

      Zwei weitere Galerien flankierten Enkofer, aber bis jetzt wollte da niemand etwas gesehen haben.

      Gegenüber gab es diverse Büros und in den Erdgeschossen Läden: eine Boutique (geschlossen), ein Café (um die Zeit schwach besucht), ein Steuerbüro (lange Mittagspause) und noch ein Café,