Seltsame Vorfälle. Elisa Scheer

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Название Seltsame Vorfälle
Автор произведения Elisa Scheer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754924525



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„Also, außer vorgestern, aber das konnten wir ja nicht wissen, oder? Sonst ist hier voll die tote Hose. Die Leute, die am Fenster sitzen, freuen sich, weil es da heller ist, zum Lesen zum Beispiel, aber rausschauen…? Ich habe ja auch nichts bemerkt – hätte man da eigentlich nicht wenigstens etwas hören müssen? Geschrei oder so?“

      „Da war also auch nichts?“, fragte Ben.

      „Nichts, kein Geschrei, kein Gehupe, keine aufgeregten Passanten… ich meine, Leute gehen draußen schon mal vorbei, die, die in die Carolinenstraße wollen oder weiter zur Uni, gell?“

      „Verstehe, da ist offenbar niemandem etwas aufgefallen. So ein Mist aber auch.“

      „Der leiseste Überfall aller Zeiten?“

      „Ja“, seufzte Ben und bezahlte. „Und Ihre Kollegen wissen auch nicht mehr?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Die haben sich ihre Kollegen heute Morgen doch schon vorgenommen, bloß ich hatte vormittags frei. Tut mir ehrlich leid.“

      Im Präsidium traf Ben auf Max, der zumindest einige Details zu bieten hatte, und Maggie, die sofort diese Aspekte in die Tafel gefügt hatte und außerdem zu berichten wusste, dass Enkofer Feinde hatte.

      „Woher weißt du das?“

      „Internet. Aber diese Feinde sind eher höhnisch unterwegs. Früher muss er ein tolles Händchen für Geheimtipps gehabt haben und die anderen hatten sich offenbar daran gewöhnt, einfach zu schauen, wen er fördert, und den dann abzuwerben. Und dann hat er, also in letzter Zeit, merkwürdige Leute präsentiert.“

      „Und jetzt müssen sich die anderen auch mal selbst anstrengen und sind deshalb sauer?“

      „Ja, zum einen und zum anderen verachten sie ihn jetzt, weil er solche Fehlgriffe tut. Gibt´s auf Twitter, ich hab´s rauskopiert und gespeichert. Hoffentlich ist Enkofer da gar nicht unterwegs, dann muss er sich auch nicht ärgern.“

      „Ganz interessant, Maggie, aber ist das ein Motiv für einen Überfall?“, fragte Max.

      Ben wiegte den Kopf. „Vielleicht wollte ihm jemand eins aufbrennen lassen – und der Raub ist einfach Tarnung? Dann kann er bei einer Befragung sagen Glauben Sie ernsthaft, ich lasse solchen Schrott stehlen? Und wir finden das dann noch ganz einleuchtend…“

      „Na, jetzt nicht mehr“, feixte Maggie.

      „Die Frage ergibt sich also, ob ein Feind selbst aktiv wurde oder den Überfall – mit oder ohne Vortäuschung der Raubabsicht – in Auftrag gegeben hat“, resümierte Max. „Aber ist die Tatsache, dass Enkofer früher mal ein besseres Näschen hatte als die anderen, wirklich ein Motiv?“

      Maggie seufzte. „Ganz schön ums Eck gedacht, gell? Ein Depp (oder zwei), der denkt, so ein Kunsthändler hat bestimmt viel Geld und Kunst ist immer wertvoll – das wäre eine deutlich einfachere Annahme. Auch wenn das an Die dümmsten Verbrecher Deutschlands erinnert.“

      Ben gluckste. „Es gibt ja auch die Leutchen, die ohne Maske fröhlich in die Überwachungskamera grinsen. Und dann ehrlich verblüfft sind, wenn wir sie finden. Übrigens ist das Essen in diesem Art Café sehr, sehr lecker. Sollten wir mal für Mittagspausen ins Auge fassen.“

      „Mehr hast du dort nicht rausgekriegt?“

      „Nein. Wenig Gäste, alle am Spielen mit dem Handy. Genau wie vorgestern. Die Bedienung hat sich nur gewundert, dass auch gar nichts zu hören war.“

      „Ganz toll“, fand Max. „Im Museum ist keinem irgendetwas aufgefallen. Nur eine Projektmanagerin war so spät in der Mittagspause im Art Café und die hat wirklich am Fenster gesessen, irgendwas mit Fisch gegessen und mit ihrem Smartphone herumgemacht. Rausgeschaut hat sie praktisch nie, aber ein ältlicher Sprinter ist vor der Galerie gestanden. Und sie kennt den Enkofer.“

      „Verdächtig?“, überlegte Maggie.

      „Weniger“, antwortete Max. „Dass eine Frau aus dem Museum den Inhaber einer Galerie kennt, finde ich jetzt nicht so ungewöhnlich. Aber wir können eine Kachel für sie anlegen. Sie heißt Mutén, Stella Mutén.“

      „Schwedisch?“

      „Der Vater. Hat sie wenigstens erklärt.“

      4

      Stella suchte eine Kollegin und durchquerte zu diesem Zweck, ordentlich mit angeheftetem Namensschildchen in den Farben des Museums, die Ausstellungsräume im Erdgeschoss.

      „Oh, hallo!“, hörte sie da eine freundliche Stimme und sah sich leicht irritiert um. Ein junger Mann grinste sie lausbubenhaft an und sie runzelte die Stirn: Sollte sie den etwa kennen?

      „Ich wollte doch vor einigen Tagen hier rein und war zu spät dran – Sie haben mir das erklärt, erinnern Sie sich?“

      „Ach so – ja, flüchtig. Und heute haben Sie die Gelegenheit genutzt?“

      „Ja, genau!“ Warum schaute der so treuherzig? Wie ein Teenager, dabei war der bestimmt – naja Anfang dreißig?

      „Nun, dann hoffe ich, dass Ihnen die Ausstellung gefällt, Herr-“

      „Schilling. Kay Schilling, Frau“ – er linste auf ihr Namensschildchen. „Frau Mutén. Ist das französisch?“

      „Nein, schwedisch.“ Ihm zu erklären, dass ein accent aigu und ein Nasal (wegen des en) nicht an der gleichen Stelle auftauchen konnten, war sie zu faul.

      „Da gibt´s Akzente? Wusste ich gar nicht! Aber ich kann auch leider kein Wort Schwedisch.“

      Sie lächelte etwas mühsam. „Das können hier die wenigsten. Also, viel Vergnügen noch. Ich suche hier eine Kollegin…“

      Er vollführte eine graziöse Handbewegung, als wollte er ihr den Weg freimachen, und sie eilte weiter. Im Nachbarsaal fand sie endlich Biggi, die einem der Aufseher etwas erklärte, und zog sich mit ihr in eine Nische zurück, um ein Projekt zu klären, das mit dem Louvre zu tun hatte.

      Als sie zurückkam und das Treppenhaus ansteuerte, war dieser Schilling nicht mehr zu sehen – schade oder glücklicherweise?

      Ganz hübscher Kerl, aber was sollte ihr das? Bisher hatte sie mit Männern nicht allzu viel Glück gehabt – die einen hatten offenbar bei Schwedinnen merkwürdige Vorstellungen von besonderer Freizügigkeit im Kopf, die anderen fanden, Frau plus Kunst sei Weiberkram und folglich nicht weiter ernstzunehmen, und wieder andere hatten vielfältige Macken aufzuweisen gehabt. Oder lag es an ihr, wenn sie immer heilfroh war, sobald eine Beziehung wieder eingeschlafen war?

      Schwer zu sagen - und im Moment auch nicht das dringendste Problem.

      Gut, Biggi würde an dieser Louvre-Sache mitarbeiten; was das Thema sein sollte, würden die in Paris entscheiden, sie sollte aber wenigstens schon einmal anfragen.

      Also schrieb sie an Claire Demésnil, mit der sie schon einmal eine Ausstellung organisiert hatte, und las ihren Brief dann zufrieden durch – bis auf einen Akzent kein Rechtschreibfehler, auch nicht, wenn man bei Überprüfen als Prüfsprache Französisch anklickte.

      Gut so.

      Und wo war jetzt ihr Handy?

      Sie hatte es mit nach unten genommen, um Biggi etwas darauf zu zeigen… aber sie hatte es doch auf keinen Fall aus der Hand gelegt? Doch nicht in einem Ausstellungsraum, da sähe sie es ja nie wieder…

      Verflixt! Sie drehte sich mehrmals um die eigene Achse, dann setzte sie sich. Okay, sie war zurückgekommen, das Handy in der Hand – oder? Nein, mit einer Hand konnte man die Tür schlecht aufschließen, weil man die Tür am Knauf zu sich herziehen musste… hatte sie es draußen…? Nein, wo denn, auf dem Gang stand nichts Geeignetes.

      Sie wollte die Hände in die Blazertaschen schieben und stutzte – keine Taschen!