Mord aus heiterem Himmel. Achim Kaul

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Название Mord aus heiterem Himmel
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748593393



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Arme.

      »Das war absolut strange. Wenn ich mir vorstelle, dass ich da meine Übungen machte und ihn dabei im Blickfeld hatte. Die ganze Zeit. Die ganze Zeit liegt der tote Professor praktisch vor mir. Aber ich konnte es nicht erkennen. Er lag ja da wie ein dicker Ast.«

      »Was für Übungen?«

      »Qi Gong, die acht edlen Übungen. Schon mal davon gehört?« Sie nickte.

      »Aber irgendetwas hat Sie veranlasst, zu ihm hin zu gehen?« Er musterte ihre hennarote Haarkonstruktion.

      »Muss wohl so gewesen sein. Irgendwas kam mir komisch vor.«

      »Haben Sie vorher irgendjemanden bemerkt, einen Spaziergänger oder Radfahrer? Haben Sie vielleicht etwas gehört?« Er griff sich an die Nase und überlegte, dann schüttelte er den Kopf.

      »Gesehen habe ich keinen. Gehört? Ich kann mich nicht mehr – oh, warten Sie.« Er schaute sie an und runzelte die Stirn. »Etwas hat gefaucht.«

      »Wie – gefaucht?«

      »Na gefaucht eben. Ich kann’s nicht anders beschreiben.«

      »Wann haben Sie das gehört?«

      »Als ich mit den Übungen anfing, glaube ich. Ja – da bin ich ziemlich sicher.«

      »Und wann war das etwa?«

      »Ich fange meist um sechs Uhr an. Heute war es wohl ein paar Minuten später. Nach etwa vierzig Minuten bin ich fertig.«

      »Und dieses Geräusch kam von wo?«

      »Von irgendwo aus den Bäumen.«

      »Aus den Bäumen? Also von oben?«

      »Ja, von oben, tatsächlich.« Melzick dachte nach, während sie noch einen vorsichtigen Schluck aus ihrem Becher nahm.

      »Sie haben vorhin gesagt, der Professor habe die richtigen Leute aus dem Metier gekannt. Was meinen Sie damit? Was für Leute?«

      »Hauptsächlich Sammler, Galeristen, Kunsthändler.«

      »Reiche Leute?«

      »Da können Sie Gift drauf nehmen.«

      »Schwierige Leute?«

      »Das weiß ich nicht. Aber in diesen Kreisen kreisen schon ein paar exotische Vögel herum.«

      »Jemand dabei, der dem Professor vielleicht grollte?«

      »Grollte?«

      »Ja, an den Kragen wollte.«

      »Da hab’ ich nun wirklich gar keine Ahnung.«

      »Ach nein?« Sie stellte den halb vollen Kaffeebecher auf den hölzernen Boden. »Haben Sie den Professor oft getroffen?«

      »Nein, eigentlich nicht. Er hat mir damals die Bilder abgekauft und den Kontakt zu einem Galeristen hergestellt. Dort hab’ ich ihn dann noch ein paar Male getroffen.«

      »Kann ich mal den oberen Raum sehen?«

      »Mein Atelier? Sorry – das ist keine gute Idee. Da gibt es gerade nichts zu sehen – außer ein paar weißen Leinwänden.« Er zögerte. »Oder muss ich Sie da etwa rein lassen?« Sie zuckte mit den Schultern.

      »Irgendwann vielleicht schon.« Sie stand auf und wollte sich an den Abstieg machen. »Tja, Herr Alba …« Als sie schon auf der Strickleiter stand, fiel ihr noch etwas ein. »Übernachten Sie hier draußen auch?« Er grinste und schaute auf sie herunter.

      »Manchmal schon.« Sie nahm ein paar weitere Sprossen abwärts

      »Und wo wohnen Sie in der übrigen Zeit?«

      »Bei meiner Tante in Kirchdorf.«

      »Sie steht im Telefonbuch, nehme ich an.«

      »Nein, wir haben eine Geheimnummer.«

      »Die Sie mir jetzt sicher nicht verraten.«

      »Ich geb’ Ihnen meine Handynummer, reicht das?« Sie hielt sich mit einer Hand an der Strickleiter fest, fischte ihr Smartphone aus der Hosentasche und tippte ein, was er ihr zurief.

      »Danke.« Sie steckte es wieder ein. »Könnte sein, dass mir noch ein paar Fragen einfallen.« Sie war unten angelangt und schaute nach oben, aber da war er schon verschwunden.

      Als sie in Zweifels Büro kam, war er noch nicht da. Sie warf einen Blick auf seinen Schreibtisch, der wie immer penibel aufgeräumt war. Ein schwarzes, quasi vorsintflutliches Bakelit-Telefon mit Wählscheibe hielt dort die Stellung. Es war ihr ein Rätsel, wann er die Zeit fand, all den Schreibkram zu erledigen, der tagtäglich neu hereinschwappte, wobei sie nicht ganz ausschließen mochte, dass er ab und zu einfach eine Nachtschicht einlegte. Das würde zu ihm passen. Sie schaute sich um. Irgendjemand, wahrscheinlich Lucy, hatte behauptet, dass er nur unter der Bedingung, eigene Möbel mitbringen zu können, zum hiesigen Kommissariat gekommen war. Bis dato war ihr verborgen geblieben, dass man als Beamter Bedingungen stellen konnte. Womöglich hing dieses Privileg mit seinem Ruf zusammen und mit seinem engen Draht zum Chef der Dienststelle, Alois Klopfer. Jedenfalls glich sein Büro eher einem Wohnzimmer, wenn auch einem sehr kleinen. Drei dunkelgraue Sessel, niedriger Glastisch mit Gläsern und Karaffe, Bücherschrank. Vor dem Fenster der schmale Schreibtisch, darauf in einem schlichten Glasrahmen das Foto seiner Frau. Es war in Berlin aufgenommen worden, im Hintergrund war das Reichstagsgebäude zu erkennen, in seiner verpackten Version. Das war das Jahr, in dem Christo das riesige Gebäude mit unzähligen Planen eingehüllt hatte. An einem dieser Tage im Sommer 1995 war Zweifels Frau auf eine schreckliche Art ums Leben gekommen. Auf dem Foto trug sie ein gelbes Sommerkleid, weiße Sandalen, eine riesige Sonnenbrille, in die blonde Haarmähne hochgeschoben, ein stolzes Lächeln im Gesicht. Melzick dachte wieder einmal daran, dass sie sie gerne kennengelernt hätte. Sie hatte die Arme verschränkt und stand, ganz in den Anblick versunken, vor dem Schreibtisch. Die Tür ging auf und Zweifel kam herein. Er blieb stehen, die Hand auf dem Türgriff. Melzick fuhr herum, wie ertappt.

      »Hallo Chef, wo bleiben Sie denn?«, brachte sie heraus. Angriff war noch immer die beste Verteidigung. Er ließ die Tür zufallen.

      »Na ja, der Münchener Hauptbahnhof liegt ja doch etwas weiter weg.«

      »Sie waren in München? Wieso das denn?« Er schilderte ihr seine Begegnung mit Marie-Theres Mindelburg und ihrem Butler/Chauffeur.

      »Und wie sind Sie mit Herrn Alba zurechtgekommen?« Sie zählte an den Fingern ab.

      »Er hat ein Baumhaus. Er malt. Er macht Qi Gong. Er ist ein Romantiker. Er hat oder hatte einen Großvater. Er wohnt bei seiner Tante. Er hat den Professor ein paar Mal getroffen. Dieser hat ihm beim Verkauf seiner Bilder geholfen und auch selbst einige gekauft. Er hat ein Fauchen von oben gehört, kurz bevor er mit seinen Qi Gong-Übungen anfing. Frau Eichhorn hat das Geräusch ganz ähnlich beschrieben.«

      »Sie wissen natürlich schon, woher es kam?«, unterbrach Zweifel sie.

      »Für mich kommt da nur ein Heißluftballon in Frage.«

      »Und was heißt das für uns?«

      »Jemand hat den Professor aus diesem Ballonkorb gestoßen. Oder der Professor ist selbst gesprungen.«

      Zweifel setzte sich in einen der Sessel.

      »Dagegen spricht seine angebliche Höhenangst«, sagte Zweifel. »Wie hoch war der Ballon wohl zu diesem Zeitpunkt? Immerhin haben zwei Leute den Gasbrenner hören können.« Melzick schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf.

      »Wer geht denn so ein hohes Risiko ein? Als Fluchtfahrzeug ist so ein Riesending doch so was von ungeeignet. Jeder kann einen schon von weitem sehen, man bewegt sich wie in Zeitlupe und man ist von den Windverhältnissen abhängig. Wer wäre denn so verrückt, einen Mord auf diese Weise zu begehen?«

      »Sie meinen demnach es war kein Mord. Selbstmord jedoch ist nach allem was wir jetzt wissen sehr unwahrscheinlich. Bleibt als dritte Möglichkeit Unfall. Dann stellt sich aber die Frage, wieso der Professor eingestiegen ist. Und wo der