Mord aus heiterem Himmel. Achim Kaul

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Название Mord aus heiterem Himmel
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748593393



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bewegte sich nicht, als der Kommissar und seine Assistentin auf ihn zukamen. Sein Blick war seitlich auf eine orangefarbene Decke gerichtet, die nicht weit entfernt von ihm auf dem noch feuchten Gras lag. Darunter zeichnete sich undeutlich ein menschlicher Körper ab. Zwei Beamte sicherten den Fundort. Als Zweifel und Melzick vor dem dicken Grauhaarigen stehen blieben, wandte er sein Gesicht mit den großen dunklen Augen ihnen zu und stand schwerfällig auf.

      »Dr. Wollmaus«, sagte er. Er reichte ihnen nicht die Hand.

      »Kommissar Zweifel, meine Assistentin Zick.« Er nickte.

      »Sie kennen den Toten?« Abermals nickte er.

      »Professor Abraham Mindelburg.« Zweifel ging zu der orangefarbenen Decke und schlug sie zurück. Professor Mindelburg lag auf der Seite, wobei »liegen« nicht ganz der richtige Ausdruck ist. Sein Körper hatte sich einige Zentimeter tief in den weichen Untergrund eingegraben.

      »Plötzlicher Herztod«, sagte Dr. Wollmaus. »Dürfte vor schätzungsweise drei Stunden passiert sein.« Zweifel betrachtete die Lage des Körpers genauer. Melzick stand daneben. Die ganze rechte Seite war in der lockeren Erde verschwunden, so dass der Kopf flach auf dem Boden lag. Es war ein rätselhafter Anblick, so als läge der Professor halb versunken in einem Moor. Auf den ersten Blick waren keinerlei Verletzungen zu erkennen.

      »Er war bereits bei den Engeln, als sein Körper aufschlug. Er hat sich im Fallen zu Tode erschreckt«, sagte Dr. Wollmaus.

      »Was meinen Sie damit?«, fragte Melzick und schaute in den Morgenhimmel. »Er kann ja wohl nicht aus heiterem Himmel heruntergefallen sein.«

      »Nein«, sagte Dr. Wollmaus bedächtig in seiner tiefen Stimme, »von so hoch oben wohl nicht. Ich schätze aber, ein paar hundert Meter werden es gewesen sein.« Zweifel sah ihn fragend an. Dr. Wollmaus erwiderte den Blick. »Nur so lässt sich seine Lage erklären. Oder haben Sie eine andere Idee?«

      Zweifel kratzte nachdenklich sich an der Nase. »Der Boden ist durch das Unwetter heute Nacht sehr aufgeweicht. Sie könnten richtigliegen, Doktor.«

      »Natürlich liege ich richtig.«

      »Fragt sich allerdings, von wo er herabfiel«, sagte Zweifel, »und vor allem ob mit oder ohne Absicht.« Abermals nickte Dr. Wollmaus und starrte vor sich hin.

      »Er war über achtzig und hatte ein schwaches Herz. Im Übrigen habe ich meinen besten Schachpartner verloren. Er machte überaus unterhaltsame Fehler. Auf hohem Niveau natürlich. Er liebte es, seine Figuren zu opfern.«

      »Und Sie, Doktor?«

      »Nun, ich ziehe es vor, die Figuren meiner Gegner zu opfern.« Zweifel nickte.

      »Ganz nach Tartakowers Devise.« Dr. Wollmaus griff nach seinem Arztkoffer und schaute Zweifel überrascht an.

      »Sie spielen Schach, Herr Kommissar?«

      »Sagen wir, mich interessieren Menschen, die ihre geistigen Fähigkeiten auf die Spitze treiben.«

      »Ich verstehe.« Er warf noch einen Blick auf die orangefarbene Decke, die der Kommissar wieder sorgfältig über den Toten gebreitet hatte. Dann räusperte er sich.

      »Ich weiß, es ist ungewöhnlich, aber wenn es für Sie in Ordnung ist, dann möchte ich die Obduktion durchführen.« Zweifel blinzelte verblüfft zu ihm hinüber.

      »Sie sind Gerichtsmediziner?«

      »Ich war es, mehr als zwanzig Jahre lang.«

      »Und danach?«

      »Das tut nichts zur Sache. Ich kenne übrigens Ihren zuständigen Kollegen, Dr. Kälberer. Und mir ist klar, dass er die Leiche zu untersuchen hat.« Er machte eine Pause, um Zweifel Zeit zum Nachdenken zu geben. »Ich kann mit ihm reden.« Zweifel winkte ab.

      »Nicht nötig. Ich denke, das geht in Ordnung.«

      »Gut. Den ausführlichen Bericht haben Sie gestern. So ist doch immer noch die Zeitvorgabe, stimmt’s? Bis dann also.«

      »Ach Doktor«, rief ihm Zweifel nach«, Sie wissen sicher, ob der Professor Angehörige hat und wo er wohnt.«

      »Ja, das weiß ich natürlich.« Zweifel notierte Namen und Adressen. Dr. Wollmaus entfernte sich und der Kommissar warf seiner Assistentin einen Blick zu.

      »Muss ich mir diesen Namen, Tarta-irgendwas, merken?«, fragte Melzick, nachdem der Arzt außer Hörweite war.

      »Nein, müssen Sie nicht. Dieser Tartakower war mal ein außergewöhnlicher Schachgroßmeister, berühmt für seine geistreichen Attacken und Aphorismen. Ist lange her, irgendwann in den Zwanzigerjahren. Damals gab es noch kein Internet.« Melzick schaute ihn an.

      »Kann man sich gar nicht vorstellen, wie die Leute damals kommunizierten.«

      »Auf die primitive Art, würde ich sagen. Frontal. Von Angesicht zu Angesicht. Die harte Tour eben.«

      »Also völlig ungeschützt. Schreckliche Vorstellung.« Zweifel schloss ergeben die Augen und sagte nur: »Melzick!« Sie grinste. Dann sprach sie kurz mit den beiden Beamten. Sie würden sich um den Abtransport kümmern, sobald Penny Stock, die mit ihren Leuten von der Spurensicherung jeden Moment auftauchen musste, mit ihrer Arbeit fertig sein würde.

      2. Kapitel

      Kurz darauf wandte sich der Kommissar an die alte Dame, die im Beisein Max Katers geduldig ausgeharrt hatte.

      »Sie sind also Frau Eichhorn. Ich bin Kriminalkommissar Adam Zweifel.«

      »Ein sehr passender Name«, sagte Frau Eichhorn nicht im Mindesten beeindruckt.

      »Wen haben Sie denn nun wann gefunden? Erzählen Sie mal.« Der Junge neben ihr auf der Bank schien bei diesen Worten noch mehr in sich zusammenzusinken. Sie schaute den Kommissar mit ihren hellblauen Augen offen an.

      »Ich ging im Walde so für mich hin … ach nein – das ist aus einer anderen Geschichte.« Sie kicherte leise und zwinkerte ihm zu. »Entschuldigung, Herr Zweifel, ich bin nicht mit allem einverstanden, was ich sage, müssen sie wissen.« »Na prima«, dachte Melzick bei sich, »noch eine Spinnerin.« Sie betrachtete sie etwas genauer: dunkelblaue Seidenbluse, strahlend weiße Hose, gelber Seidenschal, es sah alles sehr teuer aus. Silbergraues langes Haar, zu zwei Zöpfen geflochten, gebräuntes Gesicht mit erstaunlich wenigen Falten, flinke Augen, ein auffallender Pigmentfleck auf der rechten Schläfe. Alles in allem eine sehr eigenwillige Person mit viel Gold an den alten Fingern.

      »Also ich war auf meinem Morgenspaziergang«, fuhr sie fort. »Genau genommen mache ich den nur jeden zweiten Morgen. Ich muss mir meine Kräfte einteilen.« Unwillkürlich warf Zweifel einen Blick auf den Rollator, der neben der Bank parkte.

      »Wie üblich kam ich an dem Ententeich vorbei, dessen Ufer im Übrigen gerade von einem Biber neugestaltet wird. Zumindest will uns das ein Schild weismachen, welches die Kurverwaltung schon vor einem Jahr dort aufgestellt hat. Na – soll mir recht sein.« Sie hob kurz die Schultern und versank dann in Schweigen. Zweifel wartete. Er musterte den Jungen neben ihr, der einen jämmerlichen Anblick bot. Dann schaute er auffordernd zu seiner Assistentin hinüber.

      »Das war jetzt aber noch nicht alles, oder?«, warf Melzick ein. Die Alte zuckte zusammen, als ob sie erst jetzt ihre Anwesenheit bemerkt hätte. Sie hüstelte etwas verlegen.

      »Natürlich nicht, junge Dame«, überspielte sie den Moment. »Ich blieb für einen Moment stehen, warf einen Blick in die Runde und überlegte, bei wem ich mein Mittagessen einnehmen sollte. Sie müssen wissen, ich habe einen großen Bekanntenkreis und möchte niemanden benachteiligen.« Melzick zog die Augenbrauen hoch und schüttelte leicht verwundert den Kopf.

      »Was meinen Sie damit?« Die alte Dame bedachte sie mit einem prüfenden Blick. Die hennaroten Dreadlocks, welche Melzicks Kopf zierten, fielen ihr erst jetzt auf.

      »Nun, ich möchte reihum jedem meiner Freunde und Freundinnen das Vergnügen meiner Anwesenheit während der wichtigsten Mahlzeit des Tages