Mord aus heiterem Himmel. Achim Kaul

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Название Mord aus heiterem Himmel
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748593393



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sorry, ich hab’ doch noch etwas für Sie. Setzen Sie doch bitte eine Anzeige in alle relevanten Zeitungen.« Sie ließ die Schokotafel fallen und schnappte sich ihren Stenobleistift. »Wer hat am Montag, den 23.07. morgens ab …«, hier überlegte er kurz, »wann wird’s zurzeit gerade hell?« Sie zuckte mit den Achseln. »Halb fünf?« »Also gut, morgens ab halb fünf einen Heißluftballon über Bad Wörishofen und Umgebung beobachtet. Egal, ob in der Luft, oder am Boden. Hinweise bitte unverzüglich an blablabla … okay?« Frau Lucy nickte. »Also dann bis dann.« Und weg war er. Als er das klimatisierte Gebäude verließ, traf ihn die Hitze des Sommertages mit voller Wucht. Nach wenigen Minuten hatte er die Fußgängerzone erreicht, die sich um die Mittagszeit zunehmend bevölkerte. Der griechische Imbiss lag ganz am anderen Ende. Er verlangsamte seine Schritte. Links und rechts eilte man an ihm vorbei. Gegenüber von einem Café standen einige freie Stühle im Schatten einer Kastanie. Er setzte sich, nahm seine Sonnenbrille ab und begann über Marie-Theres Mindelburg und ihren Butler nachzudenken, der womöglich noch etwas mehr war, als nur ihr Chauffeur. Der Kellner des Cafés hatte ihn erspäht und kam herüber. Er kannte ihn bereits.

      »Ganz schön heiß heute, Herr Kommissar. Wie wär’s mit einem Weißbier, natürlich alkoholfrei?«

      »Danke, Hubert, ich nehme lieber einen doppelten Espresso.«

      »Kommt sofort.« Hubert verschwand im Innern des Cafés. Zweifels Augen schweiften über die Fassade der gegenüberliegenden Gebäude, über die Fenster und Blumenkästen, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Ein älteres Ehepaar, offensichtlich Kurgäste, setzte sich wortlos auf die benachbarten Stühle. Er versuchte, ihr Alter zu schätzen. Darin war er sehr gut. Bei Marie-Theres Mindelburg indes war er sich nicht ganz sicher, aber sie konnte nicht viel jünger als 80 sein. Sonderlich schockiert war sie nicht gewesen. Eine Frau, die sich zu beherrschen weiß. Und die weiß, wie man andere beherrscht. Das Eine war wohl die Voraussetzung für das Andere. »Nicht philosophisch werden«, mahnte er sich, als Hubert von gegenüber mit einem kleinen Tablett auf ihn zukam.

      »Hier draußen dürfen wir eigentlich gar nichts servieren, Sie wissen schon, wegen der Konkurrenz. Aber bei Ihnen mach ich eine Ausnahme, die soll sich ruhig ein bisschen ärgern«, murmelte er mit einem Seitenblick auf das ältere Ehepaar. Die beiden waren offensichtlich eingenickt.

      »Danke, Hubert. Ich bring das Tablett nachher vorbei«, sagte Zweifel und gab ihm einen Fünfeuroschein. Neben dem doppelten Espresso und einem Glas Quellwasser lagen ein paar von den hausgemachten Pralinen auf einer kleinen Serviette. »Nachtisch vor dem Mittagessen! Warum eigentlich nicht?«, dachte Zweifel. Er nippte an seiner Tasse und rief sich die Szene am Hauptbahnhof in Erinnerung, wovon er Melzick noch gar nicht berichtet hatte. Nachdem er ausgestiegen war, hatte er einfach etwas abseits gewartet. Willoughby hatte den Wagen gestartet und war bereits fast in die Arnulfstraße abgebogen, als Zweifel die roten Bremslichter der Limousine aufleuchten sah. Gleichzeitig beobachtete er, wie ein elegant gekleideter schwarzhaariger Managertyp, Mitte dreißig, sich mit raschen Schritten näherte, einen schmalen Aluminiumkoffer in der Hand. Er stieg ein und Willoughby bog um die Ecke. »Dieser Willoughby«, dachte Zweifel und schob sich eine Praline in den Mund. »Very british, mit seinen weißen Chauffeurhandschuhen und seinem tadellosen Benehmen. War das nicht reichlich exzentrisch, ein waschechter Butler im tiefsten Allgäu?« Zweifel kamen seine wachsamen Blicke im Rückspiegel in den Sinn, während ihrer Fahrt nach München. Da war irgendetwas verborgen hinter dieser perfekten Fassade. Vorläufig nicht zu greifen, doch Zweifel hatte eine Witterung aufgenommen. Es war gut, dass dies gleich zu Beginn seiner Ermittlungen passierte. Dieser Fall würde ohnehin schwierig werden. Ein Kunstprofessor wird aus einem Heißluftballon geworfen und landet im Kurpark von Bad Wörishofen. Er konnte sich ausmalen, was die Presse daraus machen würde. Mit all den Komplikationen, die sich daraus ergeben würden. Aus seiner Berliner Zeit war er derlei gewohnt und hatte einen Weg gefunden, damit umzugehen. Allerdings war dies ein harter Lernprozess gewesen. Irgendwann hatte er aus reinem Selbstschutz beschlossen, sich von niemandem mehr in seine Arbeit hineinreden zu lassen. Sämtliche von außen herangetragenen Appelle, Verhaltensmaßregeln, gut gemeinten Ratschläge und böse gemeinten Beurteilungen seiner Arbeitsweise, die Politiker, Presse, Vorgesetzte, Kollegen, oder Nachbarn ihm zuteilwerden ließen, perlten an ihm ab wie Regentropfen an einer Glasscheibe. Er nahm sie hin, beachtete sie nicht weiter und verfolgte seinen eigenen Weg. Was er brauchte, war ein Gegenüber, das nicht auf den Kopf gefallen war und mit dem er sich austauschen konnte. Das hatte er in Berlin gehabt, bis zu jenem schwarzen Tag. Und das hatte er hier in Melzick gefunden. Er leerte seine Tasse, warf die letzte Praline ein und trug das Tablett zum Café hinüber. Hubert kassierte gerade drinnen einen Tisch ab, sah ihn durch die Scheibe und hob kurz die Hand. Zweifel setzte seine Sonnenbrille auf. Als er sich umdrehte wäre er beinahe mit einer jungen Frau zusammengestoßen, die gesenkten Kopfes eifrig auf ihr Smartphone eintippte und ihn ignorierte. Das weckte seinen Jagdinstinkt. Er schlenderte gemächlich Richtung Griechenimbiss und hatte schon bald eine andere Kandidatin entdeckt: Eine junge Mutter, die einen Kinderwagen vor sich herschob und ganz in ihr Smartphone vertieft war. Das Baby schrie in immer kürzeren Intervallen, was sie jedoch nicht zu kümmern schien. Zweifel folgte ihr und wartete ab – immerhin wollte er ihr eine Chance geben. Sie nutzte sie nicht. Sie hatte weder Auge noch Ohr für ihr Kind. Kurz entschlossen war er mit zwei schnellen Schritten neben ihr und schlug von unten gerade so stark gegen ihre Hände mit dem verflixten Gerät, dass es in hohem Bogen in einem Blumenbeet verschwand.

      »Heh, sind Sie verrückt geworden, verdammt?!«, schrie sie und stürzte zu den Rosen.

      »Ihr Baby hat eine ›CLM‹ für sie«, sagte Zweifel. Sie kniete bereits auf dem Boden und wühlte, vorsichtig die Dornen meidend zwischen den Blättern und im Rindenmulch.

      »Was ist los?«, schrie sie ihn in unverminderter Lautstärke über die Schulter hinweg an. »Was soll das sein?« Ihr Baby hatte wohl die kräftige Stimme von ihr geerbt und stellte dies als Untermalung ihres Geschreis immer deutlicher unter Beweis. Einige Fußgänger waren mittlerweile stehen geblieben.

      »Kennen Sie das nicht?«, fragte Zweifel die junge Frau seelenruhig. »CLM, nicht SMS. Gibt’s schon sehr lange. Crying Loud Message.« Damit drehte er sich um. Einige der Umstehenden lachten. Eine ältere Frau meinte: »Nun nehmen Sie doch endlich mal Ihr Kind raus!« Zweifel ging weiter ohne sich umzudrehen. Nach einiger Zeit verstummte das Babygeschrei. Die »CLM« war wohl angekommen. Auf dem Weg zu seinem Mittagessen konnte Zweifel noch ein weiteres Opfer attackieren – einen schmalbrüstigen jungen Mann in einem viel zu engen, blau glänzenden Polyesteranzug, der ihm frontal in den Weg lief. Zwei kleine weiße Kopfhörer in den Ohren, virtuelle Tomaten auf den Augen. Auch hier ein geübter Schlag von unten gegen die simsenden Hände, nicht zu stark, nicht zu schwach. Auch hier ein in die Höhe steigendes, in der Sonne funkelndes Smartphone auf einer elliptischen Bahn. Reaktionsschnell fing es jedoch der Displayjunkie mit einer Hand auf, stöpselte lässig die Kopfhörer wieder ein und setzte seine lebensnotwendige Tätigkeit unbeeindruckt fort. Zweifel sah es mit Staunen und Respekt, schob sich seinen kirschkerngroßen Ärger in die Backentasche und ließ es gut sein für heute. Wenig später stand er an einem kleinen runden Bistrotisch, vor sich einen Teller, gefüllt mit in Knoblauchöl getränkten, glänzend schwarzen, köstlichen Oliven, auf denen zwei bis drei Dolmades-Röllchen thronten. Nach zwei Gabeln klingelte sein Handy. Das konnte nur Melzick sein. Er fingerte es aus der Innentasche seines Sakkos.

      »Melzick!«

      »Ja Chef, wo sind Sie gerade?«

      »Vor einem Teller Dolmades mit Oliven.«

      »Oh – ja, kann ich mir denken. Frau Lucys Geheimtipp. Den Knoblauch kann ich bis hier riechen.«

      »Ach – das ist ja interessant.« Zweifel nahm eine neue Gabel voll in Angriff. »Haben Sie sonst noch etwas zu bemerken?«

      »Allerdings. Ich komm’ gleich bei Ihnen vorbei. Schön langsam kauen, Chef.« Zweifel legte auf. Er kannte die ernährungstechnischen Ratschläge seiner veganen Assistentin zur Genüge. Und manchmal befolgte er sie sogar.

      6. Kapitel

      Als es etwa eine halbe Stunde zuvor an der Tür der Villa Fontenay, dem Domizil