Mord aus heiterem Himmel. Achim Kaul

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Название Mord aus heiterem Himmel
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748593393



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er es sich anders. Melzick verschwand aus der Küche und nahm den Hinterausgang, durch den Lindberg hereingekommen war.

      »Wie gehen die Geschäfte?«, fragte Zweifel. Lindberg machte eine wegwerfende Handbewegung.

      »Mei, wie sollns schon goa. Miserablig halt. Des sehns doch, wanns Auga im Kopf hend.«

      Melzick war draußen. Sie schaute sich nach allen Seiten um. Dann lenkte sie ihre Schritte zur Scheune hin. Wieder kam ihr ein Hitchcock-Film in den Sinn. Die Szene, in welcher der Detektiv mit dem seltsamen Namen, Arbogast oder so ähnlich, sich langsam dem unheimlichen Haus hinter dem Motel nähert. In der brütenden Mittagshitze krabbelte ganz langsam ein Tausendfüßler mit eiskalten Füßen ihren Nacken hinab. Sie schüttelte sich unwillig. In diesem Moment begann wieder das unregelmäßige Hämmern, das sie vorhin gehört hatten. Sie blieb stehen und schaute über die Schulter zum Wohnhaus zurück.

      »Keine Touristen, die sich das Allgäu mal von oben ansehen wollen?«, fragte Zweifel. Lindberg schnaubte verächtlich durch die Nase und holte sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank.

      »Des kennans vergessn«, brummte er, nahm einen tiefen Schluck und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »De fliagn glei mitm Flugzeug. Hend mir ja alles da. Flughafen und so. Rundflug bis zu die Alpen und zruck. Oder se hüpfad mitm Fallschirm raus.« Er schüttelte den Kopf. »Maximal vielleicht mitm Segelfliagr. Aber des Ballonfahrn – naa. Da gibts koa Adrenalin zum vaschenkn, vaschdengas?« Zweifel wunderte sich.

      »Hätte ich nicht vermutet. Das Ballonfahren ist doch was …«, er suchte nach dem passenden Begriff, »was Echtes, Ursprüngliches. Das Langsame kommt doch wieder ganz groß in Mode.«

      »Davon hend i hier abr no nix gmerkt.«

      »Wann waren sie denn zuletzt in der Luft?«, sagte Zweifel und nahm einen Schluck. Lindberg verschränkte die Arme, und behielt dabei die Bierdose in der Hand.

      »Warum wollns jetzad des wissen?«

      »Reine Routinefrage. So heißt es doch immer beim Tatort.« Zweifel lächelte beschwichtigend, doch ohne Wirkung. Lindberg ging zum Fenster und suchte den Hof ab. Melzick war nicht zu sehen.

      »Wo ischn ihre Assistentin hin verschwundn?«

      Der Geruch von Heu stieg ihr in die Nase, als sie vorsichtig die Scheune betrat, ohne das Tor weiter öffnen zu müssen. Sie wartete kurz, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Das Hämmern kam jetzt aus unmittelbarer Nähe. Es wurde begleitet von stoßweisem Ausatmen und einem angestrengten Ächzen. Jemand ganz in der Nähe hatte sich wohl eine harte Arbeit vorgenommen. Das erste was sie erkennen konnte, war ein Stapel dicker Holzbretter, der ihr bis über den Kopf ragte. Davor lag ein altes Kinderdreirad auf der Seite im Staub. Eine riesige Drehbank stand an der Schmalseite der Scheune zu ihrer Linken. Sie schaute nach oben. Etwa zehn Meter über ihr ruhten gewaltige Balken, die sich quer durch den ganzen Raum zogen. Darüber erhob sich das steile, spitzgiebelige Dach. In der staubigen Düsternis dort oben zitterte ein Lichtstrahl und malte einen nervösen hellen Punkt irgendwo an die hohe Bretterwand. Rechts vom Eingangstor war ein Bretterverschlag zu erkennen, ein kleiner vom Rest der riesigen Scheune abgeteilter Raum. Von dort kam das Hämmern. Eine schmale Holzleiter lehnte an seiner Seitenwand. Melzick ging hin und erklomm kurz entschlossen ein paar Sprossen. Oben auf dem Verschlag lagen ein paar vergessene Heuballen. Dazwischen standen grob zugehauene Holzskulpturen. Sie kletterte die Leiter wieder hinunter und musste plötzlich heftig niesen. Jemand schrie vor Schreck.

      »Keine Ahnung, Sie haben doch nichts dagegen, dass sie sich umschaut?«

      »Des Umananderschnüffeln mog i idd.«

      »Ja. Gut. Also wann war jetzt Ihre letzte Ballonfahrt?«, beharrte Zweifel. Lindberg leerte die zweite Dose und knüllte sie zusammen. Dann fixierte er den Kommissar über seine Nickelbrille hinweg, die ihm auf die Nase gerutscht war. Zweifel registrierte sorgfältig die Schweißtröpfchen, die sich auf der Stirn seines Gesprächspartners gebildet hatten.

      »Mei, werd’ scho zwei oder drei Wochn her sei«, war die brummige Antwort.

      »Und wie viele Passagiere hatten Sie?«

      »Zwoa. A junges Ehepaar ausm Norden.«

      »Den Namen wissen Sie noch?«

      »Naa den woiß i idd«, war die patzige Antwort. Wieder sah er durchs Fenster nach draußen, ohne diese »Polizeiwanze« zu entdecken. Dann blitzte etwas in ihm auf und er drehte sich zum Kommissar um.

      »Aber i habs aufgschriebn.« Zweifel hob auffordernd beide Augenbrauen. »Momenterl«, sagte Lindberg und verschwand. Zweifel hörte, wie er im angrenzenden Zimmer eine Schublade aufzog. Gleich darauf kam er zurück, einen grimmigen Zug um die Mundwinkel.

      »Da hend mias scho«, dabei hielt er einen Notizzettel dicht vor seine Augen. »Sie hieß – liebliche Luftfee, Prinzessin über den Auen von Mindelheim – und er …« Doch Zweifel fiel ihm ins Wort.

      »Was soll das, Herr Lindberg? Hatten Sie den Eindruck, dass ich zum Spaß hier bin?« Ihm war jetzt klargeworden, welcher Ton hier angebracht war. Langsam, drohend ruhig und betont Hochdeutsch sagte er: »Halten Sie es für sinnvoll, mich hier zu verarschen? Heute Morgen wurde ein Achtzigjähriger in voller Tötungsabsicht aus einem Heißluftballon geworfen und Sie sind der einzige Ballonfahrer weit und breit. Also, denke ich mal, ist es naheliegend, dass ich mich zu Ihnen bequeme und ein paar freundliche Fragen stelle. Und ich denke, dass ich ein paar klare Antworten verdient habe! Es sei denn, Sie legen Wert darauf, als Hauptverdächtiger mit mir zu kommen! Habe ich mich verständlich ausgedrückt?« Zweifel hatte, während er sprach, gewusst, wie er seine Einsneunzig vor dem kleinen Dicken am besten zur Geltung brachte. Dieser ließ sich zwar nicht einschüchtern. Ihm dämmerte jedoch, dass mit Zweifel nicht zu spaßen war. Er hustete nervös und fuhr sich mit der Rechten über das schweißfeuchte Gesicht.

      »Scho recht. Scho recht. Nur idd glei grantig wern.« Er inspizierte seinen Zettel. »Nele und Christian Anders. Westerland. Des isch auf Sylt.« Zweifel notierte sich die Namen.

      »Gut, haben Sie heute Morgen über Bad Wörishofen einen Ballon bemerkt?«

      »Noi. Nach meiner Nachtschicht bin i froh, wenn i mi aufs Ohr legn koo. I bin um kurz vor acht hier gwesn. Von Landsberg brauch i etwa a halbe Schtund. I hob da nix bmerkt.« Zweifel nickte.

      »Und Sie arbeiten wo?«

      »Industriegebiet. Elektronikfirma. Nachtpforte.« Nachdem Zweifel sich auch den Namen der Firma notiert hatte, trank er sein Bier aus und warf die Dose in den Mülleimer.

      Melzick wischte sich die Nase und rief: »Hallo, jemand da?« Keine Antwort. Es blieb still. Als sie um die Ecke des Verschlags bog, stand sie vor einem etwa siebzehnjährigen Jungen, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Blonde Stoppelhaare, kleine, eng stehende, blaue Augen, verschwitztes unrasiertes Gesicht, einen Hammer und einen Beitel in den großen Händen, saß er vor ihr in einem Rollstuhl, der in der offenen Tür stand.

      »Oh!«, keuchte Melzick vor Überraschung, »ich, äh, wollte dich, äh Sie, nicht erschrecken.« Der Junge starrte sie durch seine Nickelbrille an und sagte kein Wort. Hinter ihm stand auf einem massiven Sockel die Skulptur, an der er gerade gearbeitet hatte. Der Boden war mit Holzspänen übersät. In einer Ecke lagen mehrere Zeitschriften, und Kataloge. Irgendwas Technisches, soweit sie das erkennen konnte. Durch ein kleines, staubiges Fenster kam Tageslicht, das gerade mal so ausreichend schien für seine Arbeit.

      »Sind Sie der Sohn von Herrn Lindberg?« Vorsichtshalber vermied sie das Du. Der Junge reagierte nicht. »Mein Name ist Zick, Kriminalpolizei.« Kleine blaue Augen, die sie ausdruckslos anstarrten. Eine schwitzende rötliche Stirn, hinter der sich etwas zusammenbrauen mochte.

      »Wir untersuchen einen Mord, der heute Morgen in Bad Wörishofen passiert ist.« Stummer Blick. »Verstehen Sie mich überhaupt?« Melzick hatte unwillkürlich lauter gesprochen. Als Antwort legte der Junge Hammer und Beitel in seinen Schoß, griff an die Reifen seines Rollstuhles und drehte ihn langsam um. Die Holzspäne knirschten leise. Er bewegte sich etwas vorwärts, nahm sein Werkzeug wieder