Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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festgefroren. Wieder war jegliche Sicherheit dahin. Sie blickte mit geweiteten Augen auf die Fußstapfen und überprüfte die verschiedenen Möglichkeiten, die bei aller Verwirrung in ihrem Kopf aufblitzten. War Hwyldur zurückgekehrt? dachte sie schon hoffnungsvoll. – Nein. Die Abdrücke seiner Fellstiefel, die sie selbst für ihn angefertigt hatte, hätte sie unter tausend anderen wiedererkannt. Hatte der geheimnisvolle Fremde sie etwa überholt? Dies schien ebenso ausgeschlossen; er hatte sich in nördlicher Richtung auf die Suche seines Lasttiers begeben, und die Spur vor ihr führte von Südwesten her. Wie hätte er in so kurzer Zeit einen so gewaltigen Bogen schlagen können? Zumal es wenig Sinn machen würde. Also blieb nur eines: jemand anderes war gekommen, der den Ort genau kannte und wußte, wo sich die Hütte befand.

      Erschrocken fuhr sie herum, als sie hinter sich Schritte den Schnee zerdrücken hörte. Starr vor Angst blickte sie dem wogenden Schatten entgegen, der aus dem dunklen Streifen Wald hervorwuchs, um sich schließlich ganz davon zu lösen und in zweifacher Gestalt vor ihr zu stehen.

      „Keine Sorge, ich bin es“, vernahm sie erleichtert die Stimme ihres Retters. Neben seiner Schulter blähten sich die Nüstern des wiedergefundenen Maultiers. Sie spürte den feuchtwarmen Atem auf der Gesichtshaut, als es schnaubte. Der Fremde griff unter den mächtigen Kiefern hindurch und tätschelte ihm von der anderen Seite her den Hals.

      „Was ist, warum gehst du nicht weiter?“

      Erleichtert über die schutzverheißende Anwesenheit des Mannes, aber nach wie vor mit einem bangen Gefühl deutete sie auf die Spur im Schnee, die auf das Ufergehölz vor ihnen zuführte und in der zunehmenden Dunkelheit gerade noch zu erkennen war. Die Augen des Fremden verengten sich zu zwei Schlitzen.

      Behutsam schob er sie zur Seite und nahm die Fährte auf. Sie brauchte ihm nicht zu sagen, daß sie fast zwangsläufig zu ihrer Wohnstätte führen mußte. Also folgte sie ihm einfach, sich an der linken Flanke des Lasttiers haltend. Vorsichtig, um es nicht zu verschrecken, legte sie ihre Hand auf sein Rückenfell und freute sich an der Körperwärme, spürte die kräftigen, gleichmäßigen Bewegungen von Muskeln und Sehnen unter der Haut. So ließ sie Gleichmut und Geduld auf sich übergehen und gewann an Vertrauen.

      Als die Äste der Weiden über ihren Köpfen ineinandergriffen, war es wiederum eine Spur dunkler. Nur mit äußerster Mühe war überhaupt noch etwas zu erkennen. Sie, die den Weg zur Hütte traumwandelnd gefunden hätte, wußte daß die Richtung stimmte, daß sie genau auf den Pfahlbau zuhielten. Wie aber wußte es der Fremde? Vermochte er selbst in solcher Finsternis noch die Spuren am Boden zu lesen? Sie blickte kurz zurück und sah die bleiche Schneedecke am Boden, und wie Baumstämme und Sträucher sich schwarz davon abhoben. Mehr unterschied sie nicht.

      Schließlich hielten sie neben der Hütte.

      Mit den letzten Schritten hatte die Luft schlagartig ein klein wenig von ihrer Kälte verloren. Die Wände strahlten die Wärme des Feuers in ihrem Inneren nach außen hin ab. Unter sich sah sie den schwachen Widerschein über die Schneedecke flackern, der durch die feinen Ritzen des von brusthohen Pfählen getragenen Fußbodens drang.

      Der Mann übergab ihr den Strick, an dem er das Maultier führte, und sie band es an einem der Eichenpfähle fest, während er voranschlich, um die Ecke herum zum Eingang, der auf der dem Fluß zugewandten Seite lag. Behutsam setzte er seine Schritte in die bereits vorhandenen Fußstapfen, um so das Geräusch sich zusammendrückenden Schnees zu vermeiden. Sie blieb bei der Ecke stehen und sah seinen Schatten die Leiter hinaufsteigen. Eine Weile geschah nichts. Dann stieß ein heftiger Fußtritt von ihm mit einem Mal die Tür auf, und die abwehrbereit dastehende Gestalt über ihr wurde vom zuckenden Schein des Herdfeuers angestrahlt. Seine rechte Hand hielt immer noch den gezückten Dolch in die Höhe.

      Der Schreck hatte sie mehrere Schritte rückwärts weichen lassen, so stand sie jetzt mit dem Rücken an einen Baumstamm gelehnt und spürte die raue Oberfläche der Rinde unter ihren verkrampftem Händen. Als sie ihren fremden Beschützer sich langsam entspannen und eine aufrechtere Haltung annehmen sah, fühlte auch sie sich wie befreit. Wer immer sich in der Hütte befinden mochte, es schien keine Gefahr von ihm auszugehen.

      Und dann hörte sie seine Stimme:

      „Suchst du etwa das hier?“

      Sie konnte vor Freude nicht an sich halten, als sie ihren tiefen Klang wiedererkannte. Sie hastete vom Baum weg zur Leiter, kletterte leichtfüßig hinauf und betrat hinter dem Fremden den Raum.

      Und dort saß er mit untergeschlagenen Beinen neben der Feuerstelle am Boden, graubärtig und graugewandet, den Wanderstab aus geschältem Holz vor sich auf den Knien, und bot mit ausgestrecktem Arm einen Pfeil dar. Sein einäugiger Blick war ein dunkel ruhender Punkt im tanzenden Schein der Flammen.

      Dieses Mal hegte sie nicht den geringsten Zweifel, um wen es sich bei dem Hünen in Wahrheit handelte. Für einen Abend wenigstens waren alle Sorgen vergessen, blieb jede Bedrohung ausgesperrt, zählte nur die Wärme des Herdfeuers unter dem Schilfdach ihrer Hütte, deren Gastlichkeit selbst der Gott nicht verschmähte. Hurtig wollte sie hinter sich die Tür verrammeln, aber der Fremde hielt sie am Arm:

      „Warte, laß mich zuerst meine Sachen hereinholen und das Maultier versorgen....“

      „Darum kümmere ich mich, Hadhuin“. Wie Bronze dröhnte die Stimme des Gottes, als er sich von seinem Platz erhob. „Ruh dich von deinem langen Marsch aus und leiste derweil der Hausherrin Gesellschaft!“ Der Angesprochene zuckte beim Klang seines Namens leicht zusammen und warf ihr einen unsicheren Blick zu, während ihm Faghnar im Hinausgehen den dritten der verschossenen Pfeile in die Hand drückte. Sie stand nur da und rang um die richtigen Worte, bis sie schließlich hervorbrachte:

      „Du bist ein.... du bist auf der Flucht?“

      Die Antwort schuldig bleibend, wandte der Mann sich von ihr ab und ließ sich neben dem Feuer nieder. Mit einem Mal wirkte er sehr erschöpft. Wortlos saß er da, starrte in die Flammen und streckte die Hände danach aus. Sie waren blau vor Kälte. Ihr selbst ging es nicht anders; so hockte sie sich ihm gegenüber, rieb ihre steifen, gefühllosen Finger und beobachtete ihn verstohlen über den Herd hinweg.

      Sie hatte das Gefühl, er war nicht weniger dankbar als sie selbst, als Faghnar wieder zur Tür hereinkam, das mitgebrachte Bündel an der Wand ablud und durch seine geschäftige Anwesenheit ihre Scheu voreinander minderte. Eins nach dem anderen, packte er Stücke gebratenen Fleisches aus einem ledernen Beutel und verteilte sie um das Feuer herum. Dann ging er noch einmal hinaus, und das Geräusch splitternden Holzes vertrieb die Stille der Nacht, ehe er mit einem Armvoll gebrochener Scheite zurückkam.

      „Wenn du gewillt bist, uns mit Brot zum Fleisch zu bewirten“ sagte er zu ihr gewandt: „im Korb liegen fünf große Laibe.“

      Mit diesen Worten setzte er sich und schürte das Feuer auf. Sie wußte zunächst nicht, was sie sagen sollte.

      „Aber wie....“

      „Du hast das richtige getan, als du es fallen ließest und ranntest. Andernfalls würdest du jetzt schwerlich mit uns hier beisammensitzen.“

      Wie benommen stand sie auf und ging in den hinteren Teil der Hütte, wo der Brotkorb stand, und tatsächlich, als sie die Hände ausstreckte um die Decke zurückzuschlagen, fühlte sie schon die wulstigen Krusten darunter. Sie fand keine Worte um ihrer Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen, als sie sich wieder ans Feuer setzte und den mitgebrachten Laib zu brechen begann. Die Brote stellten den Gegenwert von zwei geräucherten Aalen dar, und um sie im Tausch zu erwerben, war sie heute morgen zu den einen halben Tagesmarsch entfernt lebenden Dörflern aufgebrochen.

      Faghnar saß zu ihrer Linken, mit dem Rücken zur Tür, und sein verschmitzter Blick schien ihr sagen zu wollen, daß immer noch etwas fehlte. Sie brauchte nicht lange um zu erraten was er meinte, und beschämt darüber daß sie nicht von selbst daran gedacht hatte, stand sie ein weiteres Mal auf und ging nach hinten, wo die Vorräte aufbewahrt wurden. Sie ließ sich auf den Knien nieder, um den schweren Krug unter dem niedrigen Bord an der Wand hervorzuziehen, am Brotkorb vorbei. Sie löste die darübergespannte Lederhaut, nahm einen Handkrug vom Bord und tauchte ihn tief hinein. Randvoll mit Met trug sie ihn zum Herd.

      Faghnar