Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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      „Bei Dhwyrd!“ entfuhr es ihm, ehe er weitertrank, „das ist etwas anderes als gesäuerte Stutenmilch!“

      „Meinst du?“ lachte Faghnar mit Inbrunst. „Ein Jammer, daß du nicht bei der Herstellung zugegen warst....“

      Damit ging der Krug zurück an sie, und sie nahm selbst einen tiefen Zug. Das kalte, honigsüße Getränk rann ihr erfrischend durch die Kehle, und gleich darauf fühlte sie eine Flut belebender Wärme in sich aufsteigen. Das, dachte sie, muß die Freude der Götter sein. Und war nicht der Met das Geschenk, mit dem der Gott nach seinem ersten Besuch seine Gastfreiheit vergolten hatte?

      Und dann nahmen sie gemeinsam das Mahl ein. Sie konnte sich kaum erinnern, wann sie zuletzt Fleisch gekostet hatte. Dazu das dunkle, weiche Brot, dessen vom Feuer wiedererweckter Duft jetzt die ganze Hütte erfüllte! Sie dachte an nichts anderes mehr, ließ sich tragen auf der Woge des Augenblicks, fragte nicht, was der morgige Tag wohl bringen würde.

      Der Met machte wieder und wieder die Runde und ließ das Gespräch nicht versiegen. Als sie jedoch merkte wie ihr die Zunge schwer wurde, begann sie sich selbst mit Worten zurückzuhalten, hörte stattdessen ihren beiden Gästen zu, die sich mit grimmiger Miene in Männerangelegenheiten ergingen, und überließ sich ganz ihrer inneren Zufriedenheit. Nach und nach versank sie in Müdigkeit, wurde von ihr überschwemmt wie die Flußauen im Frühling. Zunächst war es nur Trägheit, und die kam vom Essen. Von einem Bissen zum anderen fiel ihr das Kauen schwerer. Nachdem sie den letzten Happen mit einem kräftigen Schluck Met hinuntergespült hatte, fühlte sie ein bleiernes Gewicht auf ihren Lidern. Aber sie wollte ihre Gäste keinen Durst leiden lassen; also zwang sie sich zu warten bis der Krug geleert war, nahm ihn aus der Hand des flüchtigen, offensichtlich unter Faghnars Schutz stehenden Sklaven entgegen und ging auf unsicheren Beinen ein letztes Mal nach hinten, um ihn zu füllen.

      Danach war aller Widerstand dahin. Sie mochte lediglich die Nähe ihrer jetzt leiser plaudernden Gäste nicht missen, an deren Stimmen sie sich freute, nicht zuletzt deshalb, weil sie Schutz verhießen. Also blieb sie am Feuer sitzen, nippte noch einige Mal am Met und legte sich schließlich auf ihre rechte Seite. Den Kopf in der Armbeuge ruhend, hörte sie das leise Knacken des Herdfeuers und nahm durch ihre geschlossenen Lider hindurch das Flackern der Flammen als ein unstetes, rötlichbraunes Wabern wahr. Aber so geborgen sie sich auch fühlte: mit den ersten Traumbildern, die sie auf dem heraufwogenden Schlaf umtanzten, und die um so beängstigender wirkten je deutlicher sie sich von der Wirklichkeit abgrenzten, gewann die Erinnerung Gestalt und drohte die kaum überstandenen Erlebnisse im Wald in Form von Alpträumen wiederzubringen.

      Ein kurzes, schmerzliches Aufheulen ließ sie in den ersten Morgenstunden aus dem tiefsten, schwärzesten Schlummer auffahren. Ihre auf den Handflächen abgestützten Arme stemmten ihren Oberkörper in die Höhe. Angespannt lauschte sie in die Stille und Dunkelheit, und erst nach geraumer Zeit, als das Pochen an ihrem Hals gleichmäßiger und ruhiger zu werden begann, sah sie durch die Öffnung des Rauchfangs über dem Dachgebälk das Grau der frühesten Dämmerung. Und erst jetzt wurde ihr bewußt, daß sie sich auf ihrem Schlaflager befand. Wie sie dahin gekommen war, wußte sie nicht.

      Dann hörte sie zu ihrer Linken den leisen, gleichmäßigen Atem eines weiteren Schlafenden. Nach und nach traten die Ereignisse des Vorabends aus ihrem Gedächtnis und ihr wurde klar, daß es sich bei dem neben ihr Liegenden nur um Hadhuin handeln konnte, dessen Namen, einmal von Faghnar ausgesprochen, ihr seinen angeborenen Stand verraten hatte. Der Gedanke, die ganze Nacht lang das Lager mit ihm geteilt zu haben, behagte ihr ganz und gar nicht.

      Am meisten beschäftigte sie jedoch das Heulen, das sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Es hatte zu echt geklungen, um nicht von außen an ihr Ohr gedrungen zu sein. Auch konnte sie sich an keinerlei Träume erinnern. Sie mußte so tief und fest geschlafen haben wie schon lange nicht mehr. Sie horchte dem Echo in ihrem Kopf nach, und schnell war sie sich gewiß: es hatte nichts mit dem Todesschrei zu tun, den sie gestern nach dem dritten Pfeilschuß ihres Retters gehört hatte, und auch von dem vorausgegangenen, kehligen Grollen blieb es weit entfernt. Was sie dort im Wald gehört hatten, hätte sie weder einem Menschen noch einem Tier zuschreiben können. Was sie eben geweckt hatte, schien dagegen die Stimme eines Wolfs gewesen zu sein. Vielleicht auch die eines Hundes.

      Aber nun blieb bis auf vereinzelte Vogelrufe alles still.

      Sie kniff die Augen zusammen und spähte in die nur zaghaft weichende Finsternis der Hütte. Ohne etwas zu erkennen, spürte sie daß der Feuergott nicht anwesend war. Der Gedanke, daß er schon wieder aufgebrochen sein mochte, warf einen Schatten auf ihr Gemüt. Langsam ließ sie sich wieder auf das Fellager zurücksinken und vermummte sich in ihre Decke.

      Ihr anderer Gast schlief tief und ungestört. Auch das Heulen hatte ihn nicht wecken können. War es am Ende vielleicht doch eine Täuschung ihrer bis in den Schlaf hinein überreizten Sinne gewesen? Sie wandte leicht den Kopf nach links und nahm undeutlich die breiten, im gleichmäßigen Takt des Atems sanft auf und ab wogenden Schultern des Mannes wahr. Er mußte viel durchgestanden haben auf seiner Flucht, ging es ihr durch den Sinn. Und nun hatte sie ihn unter ihrer Obhut. Ihn. Einen seinem Herrn entlaufenen Diener. Nicht daß sie besonders darüber erfreut gewesen wäre. Aber schließlich war es Faghnar gewesen, der ihn ihr zugespielt hatte, der unsterbliche Wanderer, den diese Hütte schon einmal beherbergt hatte, zu Beginn des Winters, als ihr Leben noch ein anderes war.

      Tränen füllten ihre Augen und strömten ihr über beide Wangen. Erneut fühlte sie sich erschöpft. Und müde. Unsagbar müde.

      Als sie erneut aufwachte, war es hellichter Tag geworden, und der Platz neben ihr war leer. Ohne zu zögern warf sie die Decke von sich und begab sich an den kniehoch gemauerten Herd unter dem Rauchfang, in der Mitte des Raums. An einem der Stützbalken hing ein Haken aus Bronze; damit schürte sie die kalte Asche zusammen und beförderte sie in einen hierfür bereitstehenden Holzeimer.

      Als sie durch die unverschlossene Tür ins Freie trat und direkt einem Wolf in die Augen blickte, erschrak sie fast zu Tode. Polternd schlug der fallengelassene Eimer auf die Bohlen auf und verstreute die Asche um ihre Füße herum. Der Wolf sprang behend einige Schritte zur Seite, machte aber keinerlei Anstalten zu fliehen, sondern blickte sie neugierig und mit leicht geduckter Haltung von unten her an. Sie stand mit dem Rücken zum Türpfosten und schaute sich vorsichtig um. Was würde geschehen, wenn sie aus dem Deckungsbereich der Hütte trat? Würde die gesamte Meute über sie herfallen? In all den Jahren war es nur zwei Mal vorgekommen, und in sehr harten Wintern, daß sich ein Wolfsrudel bis hierher vorgewagt hatte. Die jetzige Kälte hielt keinem Vergleich stand.

      Dann hörte sie von rechts kommende Schritte im Schnee. Es war Hadhuin, der um den Eckpfosten des dem Eingang vorgelagerten Holzbodens kam und händeklatschend und mit lauten Ausrufen den Grauen vertrieb. Sie ging in die Hocke und scharrte hastig und mit bloßen Händen die Asche zurück in den Eimer. Dabei ließ sie keine Sekunde den Wolf aus den Augen, der sie seinerseits mit starrem Blick und spitz aufgerichteten Ohren aus dem nahen Unterholz heraus beobachtete.

      „Du brauchst dich vor ihm nicht zu fürchten“, meinte Hadhuin schließlich zu ihr gewandt. „Er ist mir durch die ganze Ebene gefolgt, ohne mich zu behelligen. Er....“

      „Komm mit mir ans Ufer“, unterbrach sie ihn schroff und reichte ihm den Ascheeimer, um die Leiter hinabzusteigen. „Ich traue deinem Begleiter nämlich nicht.“

      Schweigend folgte ihr der dunkelhaarige, verschlossen dreinblickende Mann, den sie um zwölf, wenn nicht achtzehn Jahre jünger einschätzte als sie selbst war. Wie in aller Selbstverständlichkeit trug er für sie den Eimer. Am Fluß angekommen, nahm sie ihm das Gefäß aus der Hand und kippte die Asche in die Strömung.

      „Wenn ich deinen Namen auch nicht kennen würde: spätestens jetzt wüßte ich, mit wem ich es bei dir zu tun habe. Nur deinesgleichen trägt widerspruchslos einer Frau etwas hinterher.“

      Der andere entgegnete nichts und blickte sie aus regungsloser Miene an. Aber seine kohlschwarzen Augen schossen Blitze, und die sichelartig geschwungenen Furchen schienen sich noch eine Spur tiefer in die Wangen zu graben. Sie kündeten von Entschlossenheit. Augenblicklich bereute sie ihre Worte, und mehr aus Angst als