Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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verbliebene Holz zusammen und häufte es auf die verbliebene Glut, die er mit einer Astgabel aufstocherte. Mit langsamen, gleichmäßigen Atemstößen blies er das Feuer an und freute sich am Fauchen der Glut, die durch den auftreffenden Luftstrom entfacht wurde.

      Bald flackerte und knackte es an der Feuerstelle wieder wie in der vergangenen Nacht, und um sie herum verbreitete sich Wärme. Hadhuin schob von der Fensterseite her den angekokelten Pfahl in die Flammen, löste die Tür aus ihrer notdürftigen Stütze und trat in die kalte Morgenluft hinaus, um zu urinieren.

      Der Rabe ließ sich bei seinem Frühstück nicht im Geringsten stören. Unverdrossen krümmte er die Krallen in den umgekrempelten Sackrand und ließ den schwarzen Schnabel in den Hafer schnellen, daß die Körner nur so aufspritzten. Hadhuin beschritt die über Nacht verharschte Schneedecke und schaute sich in der alten Bergfestung um, die vor langer Zeit verlassen worden sein mußte. Sie schien groß angelegt, der Ringwall zog sich jedenfalls weit hin. Hadhuin folgte ihm mit dem Blick, bis er sich zwischen den Bäumen verlor. Der Wald behauptete sein Recht und hatte längst begonnen, das einstmals gerodete Gelände wieder einzunehmen, aber viele der alten Festungsgebäude – wie das, in dem er letzte Nacht Unterschlupf gefunden hatte – trotzten der Überwucherung mehr oder weniger unversehrt. Bei einigen waren die Außenmauern halbhoch aus Stein gemauert.

      Hadhuin zweifelte nicht, daß die Festung noch aus der Zeit der Eroberungszüge gegen die Laeghtrimar stammte, und das erfüllte ihn, der sich als Anwärter auf das Kriegertum verstand, mit Ehrfurcht. Zweifellos war es ein Außenposten gewesen, denn bis auf den heutigen Tag siedelten die Vandrimar hier nur vereinzelt. Wenn überhaupt. Hadhuin hatte eine ungenaue Vorstellung, wo er sich befand, wenngleich er ahnte, daß es bis in die Ebene nicht mehr weit sein konnte. Aber auch dort fand man umso weniger Bewohner, je weiter man nach Norden zog.

      Schließlich nahm er die Hufspur des Maultiers auf und gelangte zu einem halb verfallenen Unterstand, wo es offensichtlich die Nacht zugebracht hatte. Von dort wiederum führte ihn die Spur aus der Festung hinaus, auf dem gleichen Weg wie er sie gestern betreten hatte. Nicht weit von den Palisaden entfernt sah er, wie es an der Rinde einer Birke nagte. Daß es ihn entgegen seiner sonstigen Gewohnheit mit keiner Art von Begrüßung bedachte, wunderte ihn kaum; schließlich mußte es hungrig sein, da es den Hafer seit der Ankunft gestern Abend nicht angerührt zu haben schien, aus welchem Grund auch immer. Hadhuin bückte sich nach dem erstbesten Ast, auf den er trat, und begann Nachschub für das Brennholz auf seine linke Armbeuge zu häufen.

      Zurück in seiner Unterkunft, ließ er die Scheite neben der Feuerstelle auf den Lehmboden poltern. Dann verrammelte er die Tür hinter sich und ging in die Hocke um Holz nachzulegen, mit dem Rücken zum Eingang.

      Und erst jetzt nahm er das Augenpaar wahr, das aus der hintersten Ecke des Raums zu ihm herüberspähte.

      Langsam ließ er die linke Hand sinken, die er über dem Holzhaufen ausgestreckt hatte, und vermied jede abrupte Bewegung ebenso wie direkten Blickkontakt. Nach und nach zeichneten sich über den Augen zwei spitz zulaufende Ohren ab, die mit der langen, abwärtsgerichteten Schnauze so etwas wie ein schlankes Dreieck bildeten. Es wurde von zottigen Pelzhaaren eingerahmt, wie Hadhuin im flackernden Widerschein erkannte, und die schwarze Nasenspitze war ein weiteres kleines Dreieck, an dem das Raubtiergesicht keilförmig zusammenlief. Eine Zeitlang blieb alles regungslos, aber die runden Pupillen verrieten Leben. Spätestens als die Zunge zwischen den Fängen hervorkam und verstohlen über die Nase leckte, war er sicher: dort im Halbdunkel kauerte ein Wolf. Hadhuin setzte sich mit untergeschlagenen Beinen, als hätte er nichts bemerkt, und kümmerte sich um das Feuer, mit ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen.

      Der Wolf beobachtete ihn regungslos.

      Zeit verstrich. Glut wurde zu Asche. Als er es endlich nicht mehr vermeiden konnte, den Augen des Raubtiers zu begegnen, blickte es scheu zur Seite und legte den Kopf auf die Vorderpfoten. Hadhuin, der es vorzog seinen jetzigen Sitzplatz beizubehalten, zog sich eines der Felle herüber.

      Das war also der Grund gewesen, warum das Maultier vor der Holzwand zurückwich und nicht aus dem darangelehnten Hafersack fressen mochte: es witterte den Wolf durch die Ritzen. Während er selbst sich anschickte, die Unterkunft mit ihm zu teilen. Widerwillig machte er sich mit dem Gedanken vertraut, die ganze Nacht tief und fest mit dem Rücken zu dem Grauen geschlafen zu haben, sorglos wie ein Kind. Er wußte nicht, ob er darüber wütend werden oder sich schämen sollte. Einen Moment lang sah es so aus, als würde seine Stimmung umkippen und ihn haßerfüllt einen Pfeil auf das Tier abschießen lassen (Faghnar hatte die blanken Schäfte für ihn mit gewundenen Eisenspitzen versehen), aber ein widerstreitendes Gefühl ermahnte ihn, sich zu beherrschen. Was für ein Gefühl dies war, hätte er nicht zu sagen vermocht. Aber wahrscheinlich hatte es damit zu tun, daß er in dem von der Gesellschaft des Rudels ausgeschlossenen Tier eine Art Schicksalsgefährten, wenn nicht Bruder im Waffengang erkannte.

      Er verbrachte noch den ganzen Tag in der alten Festung und in Gesellschaft des Wolfes. Diesen wie auch den darauffolgenden.

      Es schneite und wollte nicht mehr aufhören zu schneien. Hadhuin ließ den äußersten östlichen Ausläufer des Festungsbergs hinter sich, der, wie er vermutet hatte, die Ebene begrenzte. Kniehoch sackte er in den Pulverschnee ein, der vom Himmel fiel als hätte Bhrygia ihn den ganzen Winter gehortet, um ihn jetzt sackweise über der Welt auszuschütten und sie darunter zu begraben. Es war ein mühseliger, beschwerlicher Marsch, für das Maultier unter seiner Last noch mehr als für ihn selbst. Dabei machte es keinerlei Anstalten, widerspenstig zu werden. Stoisch setzte es einen Huftritt vor den anderen, hielt mit Wimperschlägen den Schnee von den geduldigen, braunen Augen fern und schüttelte hin und wieder die Mähne. Aber nicht das geringste Anzeichen von Protest. Hadhuin selbst war heute Morgen nur äußerst widerwillig aufgebrochen. Der Rabe hatte ihn dazu gebracht, der seit der frühesten Dämmerung nicht müde wurde, krächzend von Baum zu Baum zu flattern. Und das, nachdem er sich seit vorgestern Morgen überhaupt nicht mehr hatte sehen lassen. Wie gerne hätte Hadhuin einen weiteren Tag in seinem neuen Versteck zugebracht, in dem er sich angesichts der seit zwei Tagen fast unaufhörlich fallenden Schneemassen gerade recht behaglich zu fühlen begann. Aber der Schwarzgefiederte ließ ihm keine Ruhe.

      In einiger Entfernung folgte ihnen der Wolf. Hadhuin wußte es, ohne sich weiter nach ihm umzudrehen, und ließ ihn gewähren. Nicht daß er ihn während der zwei Tage gemeinsamen Ausharrens gezähmt hätte, und wahrscheinlich würde ihm das auch nie ganz gelingen. Aber zum Freund hatte er sich ihn gemacht, dessen war er gewiß. Das Tier hinkte leicht, was sicher der Grund dafür war, daß es vom Rudel ausgeschlossen wurde. Hadhuin fand es sehr abgemagert, und er fragte sich, ob es sich etwa zum Sterben an diesen einsamen Ort zurückgezogen hatte. Alt schien es nicht zu sein, das Hinken war wahrscheinlich auf eine Verletzung zurückzuführen.

      Eine Annäherung auf weniger als fünf Schritte ließ der Graue nicht zu, wie Hadhuin schnell herausfand. Ob er wirklich nur den Tod erwartete? Wenn ja, was hatte er dann von ihm zu befürchten, außer daß dieser beschleunigt würde? Hadhuin fand es unmöglich, sich in die Gemütslage eines verletzten Wolfs hineinzuversetzen, und respektierte die zähnefletschend und mit gesträubtem Nackenfell eingeforderte Distanz. Auch, als er einen toten Hasen vor ihm ablegte, der – endlich! – seine erste eigenhändig mit Pfeil und Bogen erlegte Beute war, gegen Ende des ersten in der Festung zugebrachten Tages. Der Wolf schenkte der großzügigen Gabe keine Beachtung, jedenfalls nicht solange ihn Hadhuin von der Feuerstelle aus beobachtete. Erst spät in der Nacht weckte ihn, sehr zu seiner Befriedigung, das Knacken zerkauter Knochen aus seinem nurmehr leichten Schlummer.

      Wald. Überall Wald. Vor ihm wie hinter ihm und in alle Himmelsrichtungen erstreckte sich eine endlose Heerschar von Bäumen, die ihre Äste wie drohende Krieger ihre Arme in den Himmel reckten. Daß das Gelände zunehmend verflachte, machte es nur unübersichtlicher. Hadhuins Mißmut wuchs, und ebenso seine Wachsamkeit. Er zuckte zusammen, sooft der Rabe aus einer Hecke oder Baumkrone aufflatterte, nur um nach seinem Weiterflug sehnsüchtig nach ihm Ausschau zu halten. Denn wer, wenn nicht Faghnars Bote, sollte ihn auf seiner unfreiwilligen Wanderung irgendeinem Ziel entgegenführen?

      Er hatte längst die letzte, sanfte Erderhebung hinter sich gelassen als er merkte, daß er den Raben länger vermißte als üblich. Das mußte nicht notwendigerweise