Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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hütete, ihm vorauszugehen. Den Ascheeimer trug sie selbst.

      Um etwas versöhnliches zu sagen, fragte sie:

      „Bist du hungrig?“

      Hadhuin bejahte mit einem Nicken.

      „Dann laß uns hineingehen und den Herd anzünden.“

      Er murmelte jedoch etwas unverständliches und wandte sich nach links, um an der Hütte vorbeizugehen. Sie vermutete, daß er sich um sein Lasttier kümmerte, das sie bei ihrer gemeinsamen Ankunft gestern an einem der hinteren Stützpfähle an der Längsseite des Gebäudes angebunden hatte. So stieg sie alleine die fünfsprossige Leiter hinauf. Ehe sie das Innere der Hütte betrat, warf sie einen Blick über die Schulter.

      Den Wolf konnte sie nirgends mehr sehen.

      Wenig später saßen sie sich wieder am flackernden Herdfeuer gegenüber, so wie am Vorabend. Faghnars Platz zu ihrer Linken blieb leer, und seine Abwesenheit kam ihr in schmerzlicher Weise greifbar vor.

      Schweigend aßen sie Brot und etwas getrockneten Fisch. Hadhuin blieb weiterhin verschlossen, und lange wußte sie kein rechtes Gespräch in Gang zu bringen. Im Stillen verfluchte sie ihre unbedachten Worte von vorhin. Sie wollte ihn, einen Sklaven, aber auch nicht um Verzeihung bitten. Das verbot ihr ihr Stolz. Denn noch war sie immerhin frei. So frei ein armes, einfaches Weib wie sie in dieser Welt nur sein konnte.

      Hadhuin schien ihre Gedanken zu lesen. Unvermittelt sagte er:

      „Danke für die Lehre, die du mir vorhin erteilt hast.“

      Und da sie in ihrer Verwirrung nichts zu entgegnen wußte, fuhr er fort:

      „Es wird nicht leicht sein, wenn ich mich zurück unter die Menschen begebe. Auch wenn ich bis dahin nach geltendem Recht ein freier Mann geworden bin: sie werden immer den geborenen Sklaven in mir erkennen. Meine gewöhnlichsten Handlungen verraten es: die Art wie ich grüße, frage, antworte, wie ich einen Befehl entgegennehme.... oder vielmehr daß ich ihn entgegennehme!“ Er verharrte einen Moment in Schweigen, ehe er anfügte: „Mein Ringen um Freiheit wird nicht enden. Nicht, solange ich lebe.“

      Sie wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sein dumpf brütender Blick lebendig wurde und sich an den ihren heftete:

      „Ich brauche deine Hilfe“, sagte er unumwunden. „Deswegen hat mich Faghnar zu dir geführt. Du mußt mir beibringen, mich wie ein freier Mensch zu benehmen. Von Grund auf.“

      „Wie sollte gerade ich dafür geeignet sein?“ gab sie zu bedenken. Und da es jetzt Hadhuin war, der um eine Antwort verlegen blieb, fügte sie an, was sie vor einigen Augenblicken schon hatte sagen wollen:

      „Bei unserer ersten Begegnung, gestern im Wald, wäre es mir nicht in den Sinn gekommen, du könntest ein Unfreier sein.“

      Im Blick ihres Gegenübers spiegelte sich so etwas wie verlegener Stolz; ganz, wie wenn jemand es bei aller Abgeklärtheit nicht zuwege brachte, sich dem Reiz schmeichelnder Worte zu entziehen, da er von ihrem Wahrheitsgehalt im Grunde überzeugt war.

      In diesem Augenblick glich dieser muskulöse, breitschultrige Mann, der sie im Stehen mindestens um Kopfhöhe überragte, einem schelmischen kleinen Jungen. Und das berührte sie tief. Tiefer, als ihr eigentlich lieb war. Etwas löste sich in ihr und setzte Erinnerungen frei, die sie bisher ständig unter Verschluß halten mußte, da sie sonst nicht zur Verrichtung der alltäglichsten, lebensnotwendigen Dinge fähig gewesen wäre. Sie erschrak darüber, wie dünn und zerbrechlich diese schützende Decke doch war, und mit welcher Heftigkeit es darunter zuging und das im Dunkel Gehaltene hervor und ans Licht kommen wollte.

      Aber noch ehe dies geschehen konnte, hatte sie sich schon wieder im Griff. Mit einer schnellen Bewegung wandte sie sich um, und aus der Drehung heraus stand sie auf und ging zu den Vorräten. Dort, im Halbdunkel und mit dem Rücken zu ihrem Gast (ihrem Schützling?), nutzte sie die Gelegenheit sich eine Träne aus dem Augenwinkel zu wischen, während sie den schweren Metkrug unter dem Bord hervorzog.

      „Trink!“ befahl sie mit einer Stimme, die sie selbst als ungebührlich hart empfand, als sie dem verdutzten Hadhuin den bis zum Rand gefüllten Handkrug hinunterreichte. Gebieterisch stand sie über ihm, der wie zuvor mit untergeschlagenen Beinen am Boden saß und wortlos und unsicher zu ihr aufblickte.

      „Trink!“ wiederholte sie.

      Es schien offensichtlich, daß sich Hadhuin auf die Probe gestellt fühlte. Seine aufwärts gerichteten Augen waren auf einmal groß und fragend. Am unteren Rand der Pupillen wurde das Weiße sichtbar, worin sie gebettet waren. Dabei wußte sie selbst nicht recht, warum sie ihn zum Trinken bewegen wollte. Sie verschanzte sich hinter der selbstsicheren Geste, mit der sie ihm den Krug vors Gesicht hielt. Sein kohlschwarzer Blick brannte sich eine kleine Ewigkeit lang in den ihren, und sie fühlte ihre Knie weich werden. Dann hoben sich seine schwieligen Hände, und behutsam nahm er ihr den Krug ab und stellte ihn neben sich auf den Boden. Sanft, aber unerbittlich packte er sie an den Handgelenken und zog sie abwärts. Sie ließ es zitternd geschehen. Was sonst hätte sie tun können?

      Was er dann sagte, klang merkwürdig ernüchternd:

      „Ich bin nicht nur hier, um von dir zu lernen. Faghnar hat mich nämlich auch zu deinem Schutz abbestellt. So sagte er mir heute morgen noch einmal nachdrücklich, ehe er sich in den Wald begab.“

      Zu deinem Schutz, hallte es dumpf in ihr wider.

      „Zu meinem Schutz“, wiederholte sie tonlos.

      „So ist es“, bestätigte ihr Gegenüber. Sie brauchte ein wenig, um wieder zu ihrer Stimme zu finden:

      „Und.... was sonst hat er dir noch gesagt? Bevor er ging?“

      „Daß mein Platz jetzt an deiner Seite sei. Jedenfalls bis auf weiteres.“

      Wiederum nach einer kleinen Pause sagte sie:

      „Wenn sie dich bei mir finden....“

      „....wird es Hadhuin, den Sklaven, nicht mehr geben. Bis die Steuereintreiber kommen, wird es bald Sommer. Habe ich recht? Und wer, wenn nicht sie, begäbe sich bis ans Ende der Welt?“

      „Die Händler.“

      Ihr konnte nicht entgehen, daß Hadhuins Gesichtszüge bei dem Wort Händler augenblicklich ernster wurden. Sie maß dem jedoch keine Bedeutung bei und erklärte:

      „Je weiter flußaufwärts, desto weniger Lachse, wie du sicher weißt; wir Fischer am unteren Lauf des Stroms haben die meisten Reusen.“

      „Wann pflegen sie zu kommen? Die Händler?“

      „Sobald es Frühling wird und die Fangzeit beginnt. Zuweilen kommen aber auch andere Leute, um....“

      „Einfaches Volk, nehme ich an, Hirten oder Bauern, die im Tausch gegen einen Käse, ein Fell oder einen Korb voll Gerste etwas Fisch erhandeln wollen.“

      Sie nickte stumm.

      „Auch Handwerker sind unter ihnen.“

      Nach einem kleinen Moment der Stille fügte sie noch an:

      „Und Sklaven, natürlich.“

      Hadhuin schien zu überlegen.

      „Was wirst du ihnen erklären, wenn sie mich hier antreffen sollten und Fragen stellen?“

      „Hat dir Faghnar diesbezüglich keine Anweisungen gegeben?“

      „Worüber es keine Worte zu verlieren gibt, verliert der Alte auch keine. Er hält uns wohl für klug genug, selbst Ausflüchte zu erfinden.“

      Sie hatte sich mittlerweile wieder auf den Hüttenboden niedergelassen. Ihm gegenüber hockend, blickte sie Hadhuin geradeheraus an und musterte aufmerksam sein von dunklem Haar eingerahmtes Gesicht.

      „Ehe die Lachse den Bhréandyr heraufgeschwärmt kommen, besteht kaum eine Gefahr. Ich weiß nicht, wann man dich zum letzten Mal geschoren hat; aber du gleichst schon jetzt keinem Sklaven mehr. Laß noch zwei Monate hingehen, und die Händler mögen