Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

Читать онлайн.
Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



Скачать книгу

      „Bei den Zimmerleuten und Schmieden muß man vorsichtig sein. Aber die sind ohnehin zu stolz, wegen ein paar Fischen den Weg hierher auf sich zu nehmen. Sie sind es auch, die gewöhnlich ihre Sklaven schicken. Und denen schulde ich keine Antwort.“

      „Sie werden mich auf den ersten Blick als ihresgleichen erkennen.“

      „Dann sei vor ihnen auf der Hut“, entgegnete sie knapp.

      Für eine Weile knisterte nur das Herdfeuer in die Stille hinein.

      „Wo ist unser beider Beschützer hingegangen?“, brach sie schließlich das Schweigen. „In den Wald jenseits der Auen, sagtest du? Was hatte er vor, dort zu tun?“

      „Werde ich die Götter zur Rechenschaft ziehen?“ wies Hadhuin die Frage von sich. „Er sagte mir nur so viel: was immer im Laufe des Tages geschehen wird, und was wir auch sehen oder hören mögen, wir sollen uns nicht davor erschrecken. Aber....“

      „Was meint er damit?“ fiel sie ihm bang ins Wort. „Ich hörte nämlich sehr wohl etwas, heute früh.“

      „Als ich noch schlief?“

      „Ja.“

      „Dann hat es nichts hiermit zu tun. Wenn es das wäre, was es Faghnars Andeutung zufolge sein muß, hätte es mich geweckt, soviel kann ich dir versichern. Wichtiger ist, was er außerdem sagte: er schärfte mir nämlich ein, dich nicht ohne meine Begleitung abseits der üblichen Wege gehen zu lassen. Am besten sollten wir gar nicht den Bereich der Hütte verlassen.“

      Angst schnürte sich in ihren Bauch und lähmte ihr schmerzhaft den Atem.

      Mit einem Mal war ihr wie gestern im Wald, als sie sich plötzlich fremden, aus dem Verborgenen kommenden Blicken ausgesetzt fühlte. Sie hätte in jenem Moment unmöglich sagen können, wie oder woher, aber sie wußte um eine feindliche Präsenz in unmittelbarer Nähe. Sie war nicht zu sehen. Sie war nicht zu hören. Aber sie war vorhanden und kam mit jedem Atemzug näher. Sie konnte gar nicht anders, als um ihr Leben zu laufen.

      Die Übelkeit, die bei dieser Erinnerung in ihr aufstieg, zwang sie sich abzuwenden. Sie beugte sich über den steinernen Rand des Herds und übergab sich vernehmlich. Ehe ihr der zweite Anfall den Magen auspresste, schaffte sie es noch sich von der Hüfte an abwärts ebenfalls zu drehen, so daß sie jetzt neben der Feuerstelle kniete.

      Hadhuin kam besorgt neben sie und hielt ihre bebenden Schultern. Zwei Mal noch würgte ihr Magen Halbverdautes aus ihr heraus; erst als die fünfte Welle in ihr aufsteigen wollte, bekam sie sich unter Kontrolle. Keuchend hielt sie sich mit der rechten Hand den Bauch, während sie sich, immer noch kniend, mit der linken Hand am Rand des Trockenmauerwerks abstützte.

      „Schon besser?“ hörte sie Hadhuin fragen.

      Sie ließ sich von ihm nach hinten ziehen und lehnte sich erleichtert an ihn. Sie genoß seine Körperwärme, spürte seinen gleichmäßigen Atem in ihrem Haar; und erst jetzt wurde ihr bewußt, wie unaussprechlich dankbar über seine Anwesenheit sie war.

      Sie spürte noch etwas anderes. Und hätte ewig so sitzen bleiben können.

      Nach einer Weile machte sie sich aus seinen in etwas hilfloser Geste um ihre Hüften geschlungenen Armen frei, um Holz nachzulegen. Dabei scharrte sie verstohlen mit einem Aststück das Erbrochene ins Feuer. Schließlich griff sie zum Wasserkrug, trank einige tiefe Züge und nahm dann wieder ihren vorherigen Sitzplatz ein, dem Gast gegenüber. In seinem Blick spiegelte sich leichte Verwirrung; zu sagen, dies hätte ihr keinen Genuß bereitet, wäre eine Lüge gewesen.

      „Sag mir“, forderte sie ihn auf, und wurde augenblicklich wieder ernster, „Was hat mich gestern im Wald verfolgt? Du weißt vielleicht nicht alles, aber mit Sicherheit mehr als ich. Was war es für ein Wesen, das sich von deinem letzten Pfeilschuß getroffen in Nichts auflöste? Und was ist es, das dich mit dem Feuergott verbindet?“

      Hadhuin seufzte tief.

      Und dann begann er, ihr seine Geschichte zu erzählen so gut er es vermochte.

      Als sie aufschaute, zogen sich dünn und zaghaft ein paar Lichtfäden durch den Raum. Sie kamen, wie es der Tageszeit entsprach, durch die feinen Ritzen im oberen Teil der Rückwand, dicht unter dem Dachgebälk. Feiner, silbriger Rauch kräuselte sich darin, der vereinzelte Aschepartikel mit sich führte, wie dürre Blätter im Wind. Den Kopf über die Schulter gewandt, sah sie hoch über dem Rauchfang einen bläulichen Schimmer.

      Langsam stand sie auf, reckte die vom langen Sitzen steif gewordenen Glieder und schritt der Tür zu. Als sie ins Freie trat, wollte sie im ersten Moment schützend die Hand über die Augen halten, so sehr blendete sie der Schnee. Tatsächlich hatte der Himmel aufgeklart, und die Uferbewaldung wurde von der Abendsonne beschienen. Weit jenseits des Flusses waren durch das Astgewirr noch ein paar Wolkenfetzen zu erkennen, grau mit bräunlich ausgefransten Rändern. Eine Weile blieb sie stehen, blinzelnd, und atmete die frische Luft; dann wandte sie sich wieder um und verschloß die Tür hinter sich.

      „Und glaubst du“, fragte sie sinnend, als sie ihren Sitzplatz Hadhuin gegenüber wieder einnahm, „glaubst du, jener Fremde, von dem du den Dolch erworben hast, war in Wirklichkeit Faghnar?“

      „Es ist wohl das naheliegendste“, entgegnete der Gast. “Sein Gesicht bekam ich nicht zu sehen; wir trafen uns bei Anbruch der Nacht, und er ging von Kopf bis Fuß vermummt. Der Rand seiner Kapuze ragte so weit über die Augen, daß ich kaum seinen sprechenden Mund unter dem wucherndem Bart ausmachen konnte.... dabei glaube ich ohnehin nicht, daß ihn seine Gesichstzüge verraten würden.“

      „Er verbarg wohl sein entstelltes Auge.“

      Hadhuin zuckte mit den Schultern.

      „Vielleicht. Aber eher glaube ich, er gaukelte mir etwas vor. Er spielte den geheimnisvollen Fremden, der sein Aussehen und seine Herkunft verbergen muß. Der sich aus irgendeinem Grund versteckt hält. Und überleben muß. So machte er mich seine Notlage glauben, derentwegen er Besitztümer zu veräußern hatte.... und allein daß er mir, einem Sklaven, eine Waffe verkaufte, rechtfertigte in meinen Augen daß er sein Gesicht verbarg.“

      Sie nickte. Sie fand es nicht schwierig, sich den Hergang des Treffens vorzustellen.

      „Und fühltest du dich dem Fremden nicht auch verbunden? Ich meine, da du ja selbst....“

      Eine rasche Bewegung von Hadhuins rechter Hand gebot ihr Stille. Erschrocken suchte sie seine schmalen, schwarzen Augen, die über ihren Kopf hinweg ins Leere starrten. Die leicht gespritzten Finger verharrten regungslos vor ihrem Gesicht. Erneut fühlte sie Angst unter ihre Haut kriechen.

      „Hast du es nicht gehört?“ fragte er endlich, und hielt sie mit seinem finsteren Blick am Boden gebannt.

      „Was?“ fragte sie, mit bang vor der Brust geballten Fäusten. Ihr war auf einmal schrecklich kalt.

      Und im nächsten Augenblick wußte sie, was er meinte. Hadhuin hob erneut den Blick, wobei er deutlich die Augen weitete. Mehr als ins Leere, schien er in einen waagerechten Abgrund zu blicken. Sein Gesicht wurde mit einem Mal so bleich wie ein aufgeschlitzter Fischleib, und was an ihre Ohren drang, rechtfertigte sein Entsetzen zur Genüge.

      Gleich darauf ertönte es auch schon wieder, lauter als zuvor: ein gequälter, schmerzerfüllter, unheimlich in die Länge gezogener Schrei. Er kam aus einiger Entfernung, mutmaßlich über die Auen hinweg, und aus keiner menschlichen Kehle, so viel war sicher, so wenig wie aus der eines Tiers. Das Schlimmste war: es lag etwas bittendes, unendlich mitleiderregendes darin.

      Erneut trafen sich ihre Blicke.

      „Was war das nur?“, fragte sie leise und mit zitternder Stimme. „Was, bei allen Göttern?“

      Aber von nun an blieb alles still. Stiller als zuvor. Als bestünde darin die einzig mögliche Antwort, sowohl auf ihre Frage als auch auf den gräßlichen Schrei selbst, dessen äußerste Verebbung einen Todeshauch über die starre, winterliche Erde sandte.

      Hadhuin sank langsam in die zitternden Knie. Als sie voller