Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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Dann fiel sein Blick auf die geschmiedete Spitze des Pfeils, der neben dem Bogen im Schnee lag.

      Andrynemas Licht! fuhr es ihm durch den Sinn. Nicht nur der Dolch, auch die Pfeilspitzen waren das Werk Faghnars! Vor vier Tagen hatte er selbst neben ihm am Feuer gesessen und ihn beobachtet, wie er die Spitzen aus entbehrlichen Eisenteilen aus seiner Ausrüstung fertigte. Mit einfachsten Behelfsmitteln, aber den Händen und dem Geschick eines Gottes – und dem Atem der Unsterblichen, womit er die Flammen zu besonderer Hitze entfachte!

      Im Nu hatte Hadhuin den Dolch gegürtet, spannte den Bogen und sandte den ersten Pfeil von der sirrenden Sehne. Er schoß blindlings, ohne zu zielen, mehr als eine Geste der Abschreckung denn um den Feind zu treffen. Federnd schallte es aus dem Wald zurück, als der Pfeil in einen Baumstamm schlug. Der zweite Schuß ging ins Leere. Er legte den dritten Pfeil an, spannte, besann sich aber und ließ den Bogen langsam wieder sinken – bis die Frau mit ausgestrecktem Finger auf einen Schatten zeigte, der gerade noch in Reichweite eines Pfeils durch den Wald glitt.

      Hadhuin spannte und schoß.

      auf einem der Felsen am Bachufer. An seiner linken Schulter ragte das frische Holz des tags zuvor erst geschnittenen Eschenstabs aus den Falten seines Gewands, das er locker um sich geschlagen hatte.

      Der erste Schnee fiel. Zahllos wie die Schuppen des schlafenden Drachen umkreisten die Kristalle einander und zeichneten auch die leiseste Bewegung der Winterluft nach. Manche verfingen sich an Ästen und Zweigen, andere setzten ihre Wanderung am Boden fort, ehe sie an der ihnen zugedachten Stelle zu liegen kamen. Nach und nach durchwirkten sie das Braun des Waldbodens und wuchsen zu einem bleichen Tuch zusammen, das alles unter sich begrub.

      Starr wie der Fels, der sein Sitz war, schien Faghnar mit diesem verwachsen und wäre für die Augen Sterblicher nicht davon zu unterscheiden gewesen, es sei denn, er selbst hätte es so gewollt. Das alles gleichmachende Weiß tat ein übriges. Was die Aufmerksamkeit eines Betrachters aber vollends von seiner Anwesenheit abgelenkt hätte, war eine Stelle am Boden genau vor ihm, die von Schnee freiblieb. Ungleichmäßig geformt, leuchtete sie wie ein Rubin aus den Schneewehen. Faghnars Blick ruhte fortwährend darauf.

      Der Neuschnee hatte sich etwa zwei Finger hoch darum angehäuft, als der Feuergott den Kopf in den Nacken legte und einen langgezogenen, weithin vernehmlichen Pfiff gen Himmel schickte. Es dauerte nicht lange, und ein Rabe kam durch die Baumkronen herabgeflattert und ließ sich auf seiner linken Schulter nieder.

      Eine ganze Weile geschah nichts. Der Rabe blieb geduldig sitzen und putzte sein Gefieder, bis er schließlich auf die ihm hingehaltene Hand kletterte. Was folgte war ein Zwiegespräch, wie es nur zwischen zwei so unterschiedlichen Wesen wie einem auf die Erde verbannten Gott und einem zu dessen Boten ausersehenen Vogel möglich war. Niemand sonst hätte es mitverfolgen, geschweige denn daran teilhaben können, außer vielleicht ein anderer Unsterblicher. Wichtiger als die kehligen Laute, die dabei ausgetauscht wurden, waren Faghnars Mienenspiel und die Bewegungen des auf seinem ausgestreckten Finger hin und her trippelnden Raben. Das Tier hielt ständigen Blickkontakt mit Faghnars rechtem Auge, indem es ihm bald die eine, bald die andere Kopfseite zuwandte. Beide Augen des Vogels lagen stets auf einer Achse mit dem des Gottes.

      Das Gespräch endete, als Faghnar sich zu voller Größe seiner menschlichen Gestalt aufrichtete und den Raben mit einer weit ausholenden Bewegung seines rechten Arms von sich schleuderte. Laut schnarrend hob der Vogel zum Flug in östlicher Richtung ab.

      Faghnar wandte sich rechtsum und durchwatete das Bachbett. Bei den Fichten, wo er wenige Tage zuvor den ersten von drei Widergängern seiner leiblichen Gestalt entledigt hatte, umschritt er mehrmals den Schauplatz jenes kurzen und zumindest vorläufig zu seinen Gunsten entschiedenen Kampfes. Überschattet von dichtem Nadelgehölz, war er weniger auffällig als der des danach ausgefochtenen. Und wenn der Schnee hier auch weitgehend von den ausladenden Ästen der Fichten abgehalten wurde, häuften sich dennoch Verwehungen zwischen den beiden Stämmen an und begrenzten deutlich das unbedeckt bleibende Rot. Faghnar ging zurück zu dem Felsen am anderen Ufer.

      Und beobachtete ruhig, als hätte er nichts anderes erwartet, die mählich eintretende Veränderung.

      Nicht weit von der blutgetränkten Stelle wurzelte eine schlanke Eiche. Dorthin zog sich jetzt eine Furche durch den Schnee, schuf eine sichtbare Verbindung zwischen dem Baum und der Kampfstätte. Die Eiche stand ihr keineswegs am nächsten, zu einigen Buchen war die Entfernung deutlich geringer; aber der am Grund keilförmig zusammenlaufende Einschnitt in der Schneedecke nahm den direktesten Weg zu der Eiche, an deren Wurzelwerk er sich fächerartig ausweitete, wie die Mündung eines Flusses. Faghnar hielt mit beiden Händen den Stab aufrecht vor sich und verharrte so regungslos wie die Bäume um ihn herum.

      Nach einiger Zeit begann die Furche sich wieder mit Schnee aufzufüllen. Nicht so die im Waldboden versickerte Blutlache, die sich nur umso deutlicher von dem weißen Rand ringsum abgrenzte, je höher dieser aufragte.

      Faghnar wartete immer noch.

      Erst als der Tag seine äußerste Ausdehnung erreicht hatte und fast den Saum der Dämmerung berührte, kam wieder Bewegung in die Gestalt. Entschlossen schritt Faghnar auf die Eiche zu und machte sich mit bloßen Händen daran, sie zu schinden. Rund um den Stamm schälte er einen in sich geschlossenen Streifen aus der Rinde. Den unteren Rand arbeitete er schräg vom oberen weg, also mit einer leichten Neigung, um dann vom bodennächsten Punkt aus eine senkrecht verlaufende Rinne in die Borke zu ritzen, mitten in den Schnee hinein, den er an ihrem unteren Ende dick anhäufte.

      Schließlich holte er eine Kette unter seinem Umhang hervor, wo er sie scheinbar um die Hüfte gegürtet getragen hatte. Sie maß etwa drei Armlängen und war aus grauen, dünnen und dennoch robusten Gliedern geschmiedet. Der Feuergott legte sie in die ringförmige Vertiefung in der Borke auf das blanke Holz und begann sie festzuzurren, indem er die herunterhängenden Enden umeinanderschlang.

      Als die Kette spannte, drang ein lautes Knarren aus dem Holz – oder war es ein Stöhnen? Faghnar zog mit geballten Fäusten die beiden Enden der Kette in entgegengesetzter Richtung und verschlang sie ein weiteres Mal. Das Knarren wurde zu einem Krachen, von dem das gleichzeitige Stöhnen jetzt deutlich zu unterscheiden war. Es war entsetzlich anzuhören, und alles was sich an lebendigen Wesen in der Nähe befand, in der Luft wie auch am Boden, stieb auseinander, weg vom Ort des Geschehens. Schweißperlen traten auf Faghnars Stirn, als er mit einer gewaltigen Anstrengung die Kette ein drittes Mal in sich verschlang. Die Glieder drangen ins splitternde Holz, das Krachen wurde ohrenbetäubend. Das Schrecklichste aber war die Stimme, die durch den Lärm des brechenden Holzes drang, und in dem gipfelte, was unverkennbar ein Todesschrei war. Faghnar stand mittlerweile nicht mehr, er hing regelrecht an der Kette, mit leerem Blick und geöffnetem Mund, aber weiterhin mit aller Kraft die Glieder anzurrend. Sein schweißüberströmtes Gesicht war aschfahl geworden, und weiß traten die Fingerknöchel an den Fäusten hervor, während sich der zu seinen Füßen angehäufte Schnee in tiefes Rot färbte. Und dann schrie er selbst, schloß die Augen und schrie sich die göttliche Verzweiflung einer letzten, riesigen Anstrengung aus den Tiefen der Brust, und in diesem Moment sprang der Baumschaft auseinander und alle Spannung entlud sich schmerzhaft abrupt. Faghnar fiel kopfüber in den blutgetränkten Schnee, war aber sofort wieder auf den Beinen und stemmte sich gegen den fallenden Baum. Astsplitter flogen in alle Richtungen, als er hangwärts zwischen Buchen ins Unterholz stürzte.

      Ohne weitere Zeit zu verlieren, grub Faghnar die Arme in den Haufen blutigen Schnees und hob so viel davon auf, wie er auf einmal zu fassen bekam. Eilends trug er ihn ans Bachufer, wo er ihn auf mehrere kleine Haufen verteilt ablud. Dann holte er den Rest und begann alles nach und nach der seichten Strömung des Bachs zu übergeben. Sooft er ein paar Handvoll des blutnassen Schnees ins Wasser warf, wartete er bis die einzelnen Klumpen außer Sichtweite getragen wurden, wobei sie sich nicht selten vorher schon auflösten. Alle zogen sie hellrote, transparente Schlieren hinter sich her. Mittlerweile dämmerte es, und als der letzte Rest des endgültig vernichteten Feindes durch die Strömung wirbelte, war auch der Tag beinahe hingegangen.

      Faghnar begab sich zurück an die Stelle, wo der blutige Baumstumpf fast