Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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Bergfestung vorausgegangen. Zunächst sah er keinen Grund, warum er sie nicht auch jetzt als Anzeichen deuten sollte, daß er sich auf dem richtigen Weg befand.

      Aber was, wenn dem Vogel etwas zugestoßen war?

      Ausgeschlossen. Dies war keine gewöhnliche Krähe, sondern ein Bote des Feuergottes.

      Wenn er fraß, sah er aber sehr gewöhnlich und gar nicht göttlich aus.

      Und wenn schon. Hatte nicht Faghnar in höchsteigener Person sein Mahl am Feuer geteilt?

      Ja, das hatte er, Faghnar, den andere Rakhmyr nannten, ein zielloser Wanderer wie er selbst, ein Ausgestoßener wie der lahme Wolf, der sich auf seine Fersen heftete. Verbannt unter die Sterblichen, aß, trank und schlief er wie einer der ihren.

      Und schlemmten nicht auch die anderen Götter? Schliefen ihre Räusche aus? Trieben Unzucht?

      So sagte man, allerdings. Was Wunder, daß sie die Welt wie ein Hurenhaus regierten....

      Wenn es auch unvermindert weiterschneite, lag hier unten in der Tiefebene nicht ganz so viel Schnee wie im Gebirge, das er hinter sich gelassen hatte. Dagegen war der Baumbestand eher noch dichter. Hadhuin schickte den Blick entlang gerader, hoch aufgeschossener Stämme in die weitverzweigten Kronen, die ein im Sommer sehr dichtes und geschlossenes Laubdach vermuten ließen. Kiefern und sonstige Nadelgehölze waren fast gar keine mehr vorhanden. Mit jedem Schritt fühlte Hadhuin sich unwohler. Der Bergwald hatte ihm Zuflucht geboten, ihn gegen mögliche Verfolger abgeschirmt, aber in der Ebene wähnte er sich hilflos und ausgeliefert. Hinter jedem Baum, unter jedem Strauch schien eine Bedrohung zu lauern.

      Warum? Warum nur hatte er diesen Marsch ins Ungewisse auf sich genommen?

      Weil er es nicht wagte, dem Feuergott zu widersprechen.

      Das Gehen war auf dem ebenen Gelände etwas leichter geworden; dennoch begann Hadhuin, der seit dem frühen Morgen unterwegs war, Müdigkeit und Erschöpfung zu verspüren. Zudem begann der Hunger zu nagen, aber er gönnte sich keinen Halt. Unruhe trieb ihn voran, ließ ihn sich nicht das bißchen Zeit nehmen, ein Stück Brot aus dem Proviantsack zu holen, damit er es im Gehen mümmeln konnte. Um wenigstens den Durst zu stillen, stopfte er sich hin wieder eine Handvoll Schnee in den Mund.

      So senkte sich allmählich der Nachmittag herab, Vorbote des Abends und der Dämmerung, und somit indirekter Vorbote der Nacht.

      Irgendwo vor ihm lag der Bhréandyr, wälzte sich wie eine Schlange durch endlose Wälder einer unbekannten Küste entgegen. Er fragte sich, wie weit es noch sein mochte, und vor allem: was würde er tun, wenn er das Ufer erreichte? Übersetzen? Wohl kaum. Daß fast am äußersten Rand des bewohnten Teils der Ebene ein Fährmann auf ihn wartete, konnte er nicht ernsthaft in Erwägung ziehen. Wohin würde er sich also wenden, flußaufwärts oder flußabwärts? Das erstere würde ihn tiefer in die besiedelten Gebiete hinein führen, und solange er als flüchtiger Sklave erkennbar war, blieb diese Möglichkeit ausgeschlossen. Also flußabwärts. Aber welches Versteck würde er dort wohl finden? Wieder eine aufgegebene Festung, die seinetwegen dem Verfall trotzte?

      Schließlich blieb er doch stehen.

      Er war an einen Ort gekommen, vor dem die Bäume etwas zurückstanden. Ihn eine Lichtung zu nennen, wäre fast eine Übertreibung gewesen. Ein Schwarzdorn nahm einen Teil davon ein, und seine Zweige bogen sich unter der Last des Schnees, der unvermindert auf ihn herabfiel.

      Und dann sah Hadhuin die frische Spur von Vogelfüßen, die von ihm wegführte. Er wandte sich nach rechts, um die Fährte aufzunehmen.

      Sie schlängelte sich ein ganzes Stück weit zwischen den Bäumen hindurch. Als er in einiger Entfernung vor sich den Raben aufflattern sah, verfolgte er die Spur noch bis dahin wo sie endete und er den Vogel über sich im Geäst sitzen wußte. Abwartend blieb er stehen. Am rechten äußeren Rand seines Gesichtsfeldes nahm er eine Bewegung wahr und erspähte hinter den Bäumen seinen anderen Begleiter, den Wolf. Er hatte parallel zu ihm den Richtungswechsel vollzogen und blieb jetzt ebenfalls stehen, keine sechzig Schritte von ihm entfernt, und streckte unsicher die Schnauze in den Wind. Er schien etwas zu wittern.

      Die Stute begann ebenfalls unruhig zu werden und auf der Stelle zu tänzeln. War es wegen des Wolfes, dessen Nähe sie nach wie vor scheute? Hadhuin hatte Mühe, sie halbwegs im Zaum zu halten. Zugleich sah er den Grauen sich ducken und mehrere Schritte rückwärts weichen, ehe er in abwehrbereiter Haltung und halb von ihm abgewandt stehen blieb. Hastig band er die Stute an einer in Reichweite stehenden jungen Birke fest. Den Bogen in der Linken und einen schußbereiten Pfeil in der Rechten, dazu drei weitere Pfeile gegürtet, ging er hinter einem größeren Baum in Deckung und spähte in die gleiche Richtung wie der Wolf.

      Nichts geschah. Angestrengt und ohne die leiseste Bewegung lauschte er in den Wald. Kaum daß er zu atmen wagte. Die Stille war so vollkommen, daß er den Pulverschnee in die Zweige rieseln hörte. Dies und der heftige Puls in seiner Halsschlagader waren eine kleine Ewigkeit lang das einzige, was er wahrnahm.

      Als der Wolf eine Bewegung zur Seite hin machte, spannte Hadhuin die knarrende Bogensehne und zielte auf die Gestalt, die er zwischen den Bäumen hervorkommen sah. Sie näherte sich rasch, mit fliegendem Haupthaar, aber an ihren gehetzten Bewegungen war zu erkennen, daß die Gefahr nicht von ihr ausging, sondern von dem, was sie verfolgte.

      Ein Blick in ihre angstvoll aufgerissenen Augen, und Hadhuin wußte worum es sich handelte. Er entspannte den Bogen, kam aus seiner Deckung hervor und rief:

      „Halt, Frau! Hierher, zu mir!!“

      Im gleichen Augenblick stolperte die Angerufene und stürzte. Hadhuin ließ Pfeil und Bogen in den Schnee fallen und lief auf die Frau zu, die jedoch schon wieder aufgesprungen war und weiterrannte. Er versuchte ihr den Weg abzuschneiden, verfehlte sie aber um Haaresbreite. Er konnte ihren panisch pfeifenden Atem hören, als sie ihm entwischte. Mit Riesenschritten setzte er ihr nach und brüllte aus Leibeskräften:

      „Warte! Bleib stehen! Ich tue dir nichts, bei mir bist du sicher!!“

      Endlich schaffte er es, seinen linken Arm um ihre Taille zu werfen. Er war sich gewiß: wäre die Frau nicht von ihrer Flucht schon außer Atem gewesen, hätte er sie so schnell nicht eingeholt. Jetzt galt es, die kleine Gestalt zu bändigen, die sich in seiner Umklammerung wand wie eine Wildkatze. Hadhuin schrie auf, als sie ihn in die Hand biß. Hinter sich hörte er den Wolf bellen, und zugleich das Krachen brechenden Holzes. Wütend geworden, bekam er die Frau am Oberarm zu packen, wirbelte sie rasch herum und schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. Ehe sie kraftlos zu Boden fiel, fing er sie auf, preßte sie mit dem Rücken an sich und hielt ihr den gezückten Dolch vors Gesicht.

      „Zum letzten Mal“, zischte er ihr ins Ohr: „Bleib endlich ruhig, wenn dir dein Leben lieb ist!“

      Behutsam schob er die kleine, bebende, vor Erschöpfung keuchende Gestalt vor sich her, indem er sie um die Hüfte gepackt hielt. Am Ende seines ausgestreckten rechten Arms ragte die Klinge aus seiner Faust. Blut tropfte aus der schmerzenden Bißwunde am Daumenballen und hinterließ leuchtend rote Blacken im Schnee. Indem er seine eigene Spur zurückverfolgte, steuerte er ihrer beider Schritte in Richtung des Baumes, hinter dem er kurz zuvor Deckung gesucht hatte. Nicht weit davon ragte der abgebrochene Schaft der Birke in die Luft. Das Maultier war ausgebrochen, der Wolf ebenfalls außer Sichtweite.

      Dann war von irgendwoher ein dumpfes Grollen zu vernehmen. Hadhuin, der es nur zu gut wiedererkannte, spürte augenblicklich seine Knie weich werden. Die Frau in seinen Armen schlotterte. Er wollte sich tapfer zeigen, dem Widergänger ebenfalls eine Drohung entgegenschleudern, aber seine Kehle brachte keinen Laut hervor.

      Die Angreifer hielten sich unsichtbar. Immer noch seine Schutzwaffe vor sich haltend – wohl wissend, daß dazu eigentlich keine Notwendigkeit bestand, da es genügte, sie einfach bei sich zu tragen – drehte er sich langsam und mit weit aufgerissenem Blick mehrmals um sich selbst. Und dann war es die Frau, die sich an ihn klammerte und hinter seinem Rücken hielt. Es war diese plötzliche Geste des Vertrauens, des Beschütztwerdenwollens, die ihn wieder erstarken ließ und ihm neuen Mut einflößte. Er nahm sich zusammen und schrie aus voller Brust:

      „Wo