Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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heftiger bebte, bis sie schließlich beide fast im gleichen Moment brüllend aus sich heraus platzten.

      Hadhuins Befürchtung erwies sich als begründet: als es vollends dunkel geworden war, legte sich ein Ring von Kälte um die Feuerstelle in der Felsnische. Der Nachthimmel war ein mit Kristallsplittern bestückter Baldachin. Hadhuin rieb sich die Hände unter seinem Überwurf und ging an seinen Platz zurück, wo ihn die von der Felswand reflektierte Wärme empfing.

      „Wenn ich es recht verstehe“, nahm er das Gespräch wieder auf, „habt Ihr also noch im Sprung Eure Gestalt gewechselt....?“

      „Eine bessere Möglichkeit, deinen Angreifer zu überraschen, hätte es kaum geben können. Ich fiel ihn sozusagen aus dem Nichts an.“

      „Der Kampf kann nicht lange gedauert haben.“

      „Bah, Kampf....“

      „Ein sehr ungleicher, nehme ich an, wenn einer der Gegner unsterblich ist....“

      „Täusche dich nicht: der andere ist es gewissermaßen auch. Er wird wiederkehren, und seine beiden Gefährten ebenfalls!“

      „Sie.... starben auf die gleiche Weise?“

      „Wenn man es so sagen will, ja. Zumindest auf eine sehr ähnliche. Morgen zeige ich dir, was von ihrer bisherigen Erscheinung übrigblieb.“

      Mit diesen Worten wickelte sich Faghnar fester in seinen Umhang und rutschte ein Stück nach vorne, bis nur noch sein Kopf von dem Fels gestützt wurde.

      „Aber jetzt leg dich schlafen! Bald wirst du dich auf den Weg machen und wieder auf dich alleine gestellt sein. Bis dahin sorge dich um nichts. Du weißt ja jetzt, unter wessen Schutz du stehst.“

      Hadhuin war erneut müde geworden, weswegen er sich diesen Rat nicht zweimal erteilen ließ. Wenig später lag er wohlig in seine Felle vermummt und glitt sanft in einen tiefen, traumlosen Schlummer. Das Schnauben des Maultiers und das Knistern des Feuers, bewacht vom Feuergott selbst, waren das letzte was er an diesem Abend wahrnahm.

      Bald nach Tagesanbruch schritten sie gemeinsam den Schauplatz des in jeder Hinsicht ungleichen Kampfes ab, bei dem drei mit übermenschlichen Kräften ausgestattete Angreifer eines unzureichend bewaffneten Mannes wiederum von einem einzelnen, aber deutlich überlegenen Verteidiger überrascht worden waren. Fast am Fuß des Berghangs angelangt, da wo er sanft zum Bachufer hin auslief, deutete Faghnar auf eine rot verfärbte Stelle am Boden.

      „Eine Blutlache?“ fragte Hadhuin und schaute überrascht um sich. „Das ist alles?“

      Faghnar nickte.

      „Die Kreaturen, die dich angriffen, sind nicht körperlos. Aber fast.“

      „Was verleiht ihnen Bestand, wenn nicht ihr Körper?“

      „Ihr zielgerichteter Wille. Ihr blinder, durch nichts zu besänftigender Haß. Diese Wesen sind eigentlich tot. Einst waren sie gewöhnliche Menschen, so wie du; aber das ist länger her als die natürliche Zeitspanne eines menschlichen Lebens auch nur annähernd umfassen könnte....“

      „Und dennoch bestehen sie fort? Wie ist das möglich?“

      „Auf den Dhirunischen Feldern, wo sie weilten, vergeht die Zeit langsamer als hier. Viel langsamer.“

      Hadhuin blickte seinen Begleiter an und war sich keineswegs sicher, ob er ihn richtig verstand.

      „Sie sind Widergänger“, erklärte Faghnar weiter. „Purer Lebenswille, genährt aus dem brennenden Wunsch nach Rache. Ihre äußere Erscheinung kannst du einer Windhexe vergleichen: was du siehst, sind im Kreis herumwirbelnde Blätter, aber die treibende Kraft ist der Wind, ohne den sie wieder in sich zusammenfallen. Wo immer sich dieses Schauspiel wiederholt, ist es derselbe Wind, der es erzeugt. Wenn auch mit anderen Blättern, oder mit Staub, oder womit auch immer. So werden auch die von mir Getöteten zu einer neuen Körperlichkeit zurückfinden. – Komm, ich zeige dir die andere Kampfstätte!“

      Jenseits des Bachbetts bot sich ihnen im Fichtenschatten, wo der erste Kampf stattgefunden hatte, genau das gleiche Bild. Mit dem einzigen Unterschied, daß die Blutlache hier kleiner war, denn sie stammte von einem, nicht zwei Angreifern. Hadhuin inspizierte sie eine Weile nachdenklich, mit einem Knie auf den Boden gestützt. Dann trat er hinaus auf die freie Lichtung und richtete suchend den Blick gen Himmel. Fahl, aber scharf umrissen zeichnete sich vor dem stählernen Blau das Halbrund des Mondes ab. Hadhuin fand es schwierig, den Anblick mit einer drohenden Gefahr in Verbindung zu bringen.

      Es überraschte ihn nicht daß Faghnar, der neben ihn getreten war, seine Gedanken erriet.

      „Der Mond ist kein Unheilbringer“, gab er zu bedenken. „Ghléan ruft dir nur in Erinnerung, daß sie einst die Tage und Nächte maß. Und wenn du klug und aufmerksam genug bist, ihren Haeldwyr gegenüber verzögerten Lauf zu beobachten, kannst du im Gegenteil das Unheil sogar meiden.“

      „Was muß ich hierfür noch beherzigen?“

      „Wärst du nicht im Besitz dieses Dolches, den ich einst für dich schmiedete, würde mein Rat so lauten: meide alles von Menschen nicht in Besitz genommene Land, wann immer der Mond darüber hingeht, gleich in welcher Phase, auch bei Neumond. Weiche nicht von den allseits genutzten Straßen und Wegen ab. Wo der Boden urbar gemacht ist, Zäune gezogen sind oder ein Herdfeuer brennt, dort bist du sicher. Mit der Waffe, die du von jetzt an immer bei dir tragen wirst, hast du jedoch nirgends etwas zu befürchten. Die Untoten sind blind ohne den Mond und empfindungslos gegenüber der Sonne, aber sie fürchten nichts mehr als Andrynemas Licht.“

      Hadhuin betastete ungläubig den Griff seines seitlich gegürteten Dolchs.

      „Du hast ihn – für mich geschmiedet?“

      „Als ich dich vor gar nicht langer Zeit zum ersten Mal sah, wußte ich, ich würde dich brauchen. Denn wie ich schon zu einem Bekannten aus alten Tagen gesagt habe: seltsame Dinge gehen vor sich in der Welt. Seit gestern hast du eine ungefähre Vorstellung davon. Nun mußt du mir versprechen, daß du genau das tun wirst was ich dir sage, auch wenn dir vieles davon unverständlich erscheinen mag. – Komm, laß uns zurückgehen in dein Versteck; am Feuer ist besser plaudern, und ich habe dir noch einiges zu erklären. Zuvor gib mir aber ein letztes Mal dein Messer, ich will mir einen Stab aus der Esche dort schneiden, von der du schon die Zweige für deine Pfeile gebrochen hast....“

      Schnee umtanzte Hadhuin, als er am darauffolgenden Tag Richtung Ebene zog, das bepackte Maultier hinter sich an einem groben Strick führend. Große, weiche Flocken schwebten vor dem Wind her, fielen aus dem aschfahl gewordenen Himmel in die Bäume, die ihnen die nackten Äste entgegenreckten und sie wie geöffnete Hände auffingen, als hätten sie den ganzen Winter auf nichts anderes gewartet.

      So wurde die Welt allmählich von einem weißen, feinen, aber zusehends dicker werdenden Pelz überzogen. Es war so still, daß Hadhuin das Fallen des Schnees hören könnte, als er am Ufer eines seichten Bachs rastete. Neben ihm bogen sich die Ranken einer wilden Rose, die immer noch an der vorjährigen Last ihrer leuchtend roten, an der Spitze mit einem schwarzen Tupfer versehenen Früchte trug. Sachte häufte sich kristalliner Flaum darauf, begleitet von einem kaum wahrnehmbaren, richtungslosen, allgegenwärtigen Flüstern. Selbstvergessen träumte der Wald und lauschte in sich hinein. Hadhuin tat es ihm gleich. Er saß am Grund eines schmalen Tals im Schutz ausladender Eichen und fühlte sich sicher. Für kurze Zeit gestattete er es sich, seine Aufmerksamkeit schweifen zu lassen und auf nichts bestimmtes zu richten.

      Das Leben war eine seltsame Angelegenheit. Seine Anfänge verloren sich im Nebel des Vergessens, seine Spur führte ins Nichts und der Schatten der Unwissenheit begrenzte es von allen Seiten. Sein Dasein als Sklave war das einzige, was Hadhuin kannte. Er konnte sich weder an Vater noch Mutter erinnern. Irgendwann fand er sich wieder im Fluß des Lebens, als Kind, aber wie er hineingelangt war, wußte er nicht. Niemand hatte es ihm je verraten.

      Auch nicht der Gott, der sich ihm plötzlich offenbart hatte, der vor ihn getreten war, ohne daß er ihn je beschworen hätte, im Gegensatz zu den vielen anderen Göttern und Göttinnen, die er in seinem Leben schon