Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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von da an ins Leere, als er sich hinter den Fichten versteckte. Und warum schmorte jetzt ein Eber über dem Feuer, statt eines Hirschs?

      Gedankenverloren faßte er sich an den Kopf, und erst jetzt merkte er, daß er einen Stirnverband trug.

      „Ein böser Sturz“, bemerkte der Fremde, der am Kopfende von Hadhuins Lager sitzend den Spieß drehte. „Du hattest Glück, daß ich da war, sonst wärst du womöglich verblutet.... aber dafür hätten deine Verfolger ohnehin gesorgt, das kann ich dir versichern.“

      Mit der Fingerkuppe strich er etwas Fett von der braunen Fleischkruste und führte es an die prüfenden Lippen.

      „Und wo hattest du überhaupt deine Waffe?“

      Diese Frage löste bei Hadhuin einen vertrauten Reflex aus, der darin bestand, daß seine rechte Hand an die Hüfte fuhr. Der Dolch! Wo in Khwéals Namen hatte er ihn gelassen? Und hatte er sich diese Frage nicht schon einmal gestellt? Natürlich, als er in Gefahr war, auf der Flucht.

      Aber vor wem? Wer waren die genannten Verfolger?

      Der Fremde stand auf und machte sich an dem Spieß zu schaffen, indem er ihn mit seinen langen Armen an beiden Enden packte und auf den tragenden, senkrecht zwischen Steinbrocken verankerten Birkenschäften eine Astgabelung höher setzte. Hadhuin staunte über die Kraft und Gewandtheit des Mannes. Der brach jetzt einen Brotfladen auf, den er von einem Stein neben seinem Sitzplatz genommen hatte, und reichte ihm eine der kreisrunden Hälften. Dann begann er lange Streifen gerösteten Fleisches von Lenden und Keulen zu schneiden und häufte sie auf Hadhuins Brothälfte. Und natürlich benutzte er dazu den Dolch, den er aus dem weiten Ärmel seines Gewands hervorgeholt hatte.

      Aber Hadhuin war vorläufig für nichts anderes mehr zu interessieren als für das heiße, saftige, knusprig gebratene Fleisch auf dem duftenden, fettgetränkten Brotfladen. Mit Heißhunger machte er sich darüber her und scherte sich einen Kehricht um alles andere. Auch darum, daß er nun doch keine von ihm selbst erlegte Jagdbeute verzehrte.

      Der andere setzte sich ebenfalls zum Essen nieder, jedoch weitaus gelassener als er selbst. Er hat in letzter Zeit wohl keinen Mangel an Fleisch gelitten, dachte Hadhuin, spülte den letzten Mundvoll mit einem Schluck Wasser hinunter und streckte verlangend die Hand nach einem weiteren Stück Brot aus. Der andere reichte ihm einen ganzen Fladen und den Dolch hinterher.

      „Von nun an paß besser darauf auf! Diese Waffe ist dein Talisman. Sie ist dir Schild und Schwert in einem. Hörst du?“

      Hadhuin hatte den Dolch am dargereichten Griff gepackt, konnte ihn dem Mann aber nicht entwinden. Der hielt ihn fest in seiner linken Hand. An der Klinge. Der doppelschneidigen. Ohne sich zu verletzen. Ohne auch nur um die Breite eines Haares nachzugeben. Die Finger wie eine Adlerkralle um den blanken Stahl geschlossen. Den vernichtenden Blick aus unbewegter Mine streng auf Hadhuin geheftet.

      „Hörst du mich, Sklave, der ein Krieger sein will?“

      Hadhuin stammelte mit Schweißperlen auf der Stirn eine Bejahung, und der andere lockerte den Griff, gerade genug, daß er das Messer mit Mühe herausziehen konnte. Dann öffnete sein Gegenüber langsam die Faust, bis die ganze Handinnenfläche von den Fingerspitzen bis zum Handgelenk zu sehen war.

      Sie hatte nicht einmal einen Kratzer abbekommen.

      Hadhuin ließ den Blick von der Hand zur blanken Klinge, und von dort wieder zur Hand zurückwandern, und dann aufwärts zu dem bärtigen Gesicht mit den schwarzen, borstigen Brauen. Er hätte schwören mögen, daß sich die Lippen unter dem Bart, der sie vollständig überwucherte, zu einem grimmigen Lächeln kräuselten.

      Und im nächsten Moment wurde der Mann von einer unsagbaren Heiterkeit befallen. Er warf den Kopf in den Nacken, zeigte mit ausgestrecktem Finger auf Hadhuin und brüllte, daß die Felswände widerhallten. Hadhuin, so beschämt er war und so sehr der Spott ihn stach, konnte trotzdem nicht anders als sich von der plötzlichen Fröhlichkeit anstecken zu lassen. Ein wolkenloser Sommerhimmel hätte nicht heiterer sein können, als der seltsame Fremde es auf einmal war. Und er mit ihm.

      „Oh, verzeih bitte!“ gluckste der Mann und wischte sich mit den Ärmeln seines Gewands dicke Tränen aus den Augen. „Aber du hättest eben...“

      Widerstandslos wurde der Sprecher von einem neuen Lachanfall überwältigt. Leicht nach vorne gebeugt hielt er sich die auf und ab hüpfenden Seiten, ohne daß ein Laut zu hören gewesen wäre. Das zog sich so lange hin, bis Hadhuin ernsthaft befürchtete, er würde ersticken. Schließlich fing er sich doch wieder, holte tief Luft und schrie seine Erleichterung hinaus.

      „Verzeih mir, junger Freund; aber du hättest eben wirklich dein eigenes Gesicht....“

      Das Ende des Satzes wurde von der dritten und vorläufig letzten Lachsalve verschluckt, die nicht weniger heftig und andauernd war als die beiden vorausgegangenen. Hadhuin fühlte sich so gelöst, als nähme er an einem Trinkgelage der Götter teil. Er brach das Brot auf, füllte eine Hälfte mit Fleisch und wollte sie seinem neuen Freund und Beschützer reichen, aber der lehnte dankend ab.

      „Iß und komm zu Kräften!“ forderte er ihn auf. „Du hast es nötig. Zu lange hast du dich von Milch und Brei ernährt, wie Säuglinge und zahnlose Greise. Kein Wunder, daß dich die Mattigkeit beim Jagen überwältigen wollte.“

      Fragte man einen Mann, der einen Dolch an der Schneide festhielt ohne sich daran zu verletzen, woher er das wußte? Hadhuin war nicht dumm. Er beschloß, seine Neugierde vorläufig zu zügeln. Angesichts der Macht, die er offensichtlich besaß, wurden selbst der Name und die Herkunft des Mannes zur Nebensache. Es war besser, ihn den Zeitpunkt, seine Identität preiszugeben, selbst wählen zu lassen. Hadhuin wußte, er stand unter seinem Schutz, und das war wichtiger als alles andere.

      Während er an seiner zweiten Portion kaute, versuchte er wiederum sich auf die letzten Geschehnisse vor seiner Bewußtlosigkeit zu besinnen. Jemand oder etwas verfolgte ihn, ja. Und auf der Flucht stellte er fest, daß er bis auf Pfeil und Bogen unbewaffnet war. Er hatte, was ihm bis zu diesem Tag noch nie passiert war, vergessen, seinen Dolch zu gürten. Ohne den er sonst nie auch nur einen Schritt aus seinem Versteck heraus tat. Er mußte ihn an der Feuerstelle liegen gelassen haben, deswegen hielt er auf seiner Flucht auch auf die jenseits des Bachs ansteigende Bergflanke zu, besessen von dem Gedanken, an seine einzige auf ihre Wirksamkeit erprobte Waffe zu gelangen.

      Und plötzlich hatte er seinen Verfolger vor sich, statt hinter sich. Und dann waren es deren zwei. Nach und nach begann sich das Bild seiner Erinnerung zu einem erkennbaren Ganzen zusammenzufügen. Ein Schauder lief ihm über den Rücken, als er sich jetzt an die stechendem Augen erinnerte, deren haßerfüllte Glut die gesamte nähere Umgebung in solcher Weise verblassen ließ, daß die Gestalt als solche nur als räuberisch geduckter Schatten wahrnehmbar war. Vor diesem Anblick war er geflohen, ja; und nur das grenzenlose Entsetzen, diesen Angreifer jetzt in verdoppelter Gestalt vor sich zu haben, ließ ihn vor lauter Verzweiflung wieder in die Gegenrichtung rennen. Also zurück, seinem ersten Verfolger in die Fänge?

      Hadhuin fragte sich erneut, warum es jetzt ausgerechnet ein Eber war, dessen Fleisch er verzehrte. Und dann hielt er einen Moment mit Kauen inne. Hatte nicht auch irgendetwas geschrien? Ja, etwas mehr als jemand. Während er zu Ende aß, langsamer jetzt, weil er allmählich satt und träge wurde, versuchte er den Zeitpunkt des Schreis in die Kette der nach und nach von seinem Gedächtnis preisgegebenen Ereignisse einzuordnen.

      Denn er hatte ihn nicht am Ende seiner Flucht gehört; also nicht da wo er gestürzt sein mußte, sondern eher zu Beginn, am jenseitigen Ufer des Bachs, nahe seines Jagdverstecks. Und es war auch nicht der Schrei eines einzelnen Wesens, es waren zwei einander überlagernde Schreie gewesen. Unwillkürlich schaute er zu dem Fremden auf, der ihn schweigend von seinem Sitzplatz aus beobachtete.

      Und als er sein linkes Auge sah, fiel ihm der Fischotter wieder ein.

      Hadhuin nahm noch einen kräftigen Schluck Wasser, rutschte ein Stück nach hinten und lehnte sich erschöpft an die Felswand. Jetzt war es erst einmal Zeit, sich einer Zufriedenheit zu überlassen, wie er sie lange nicht mehr gekannt hatte. Dankbar legte er beide Hände auf den wohlgefüllten Bauch und schloß eine