Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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besser leg dich eine Weile hin. Es ist nicht gut für dich, wenn du stehst, du bist immer noch bleich wie eine Fischgräte. Ich gehe derweil die Stute melken. – Und sperr das Maul nicht auf wie ein blökendes Schaf“, empfahl ihm der Bärtige über die Schulter gewandt, während er den Hang hinab stapfte, „davon wirst du auch nicht klüger. Warte bis ich zurück bin, dann erfährst du alles der Reihe nach.“

      Die frisch aufgeschürten Flammen zeichneten sich vor dem dämmrigen Blau des Abendhimmels ab, als Hadhuin, aus einem leichten, kurzen Schlaf erwacht, erneut Hunger verspürte und sich die Bissen einzeln aus dem Wildbraten schnitt. Nach wie vor beschäftigten ihn die Ereignisse, die zu seinem Unfall geführt hatten, und wenn er auch mittlerweile seine Erinnerungen besser geordnet hatte, ergaben sie immer noch kein schlüssiges Bild.

      Was ihm am meisten zu denken gab, war das Bild des vor der sonnigen Grasnarbe aufgerichteten Otters.

      „Als ich gestern abend aus meiner Bewußtlosigkeit erwachte....“

      „Gestern abend?“ lachte der Graubart. „Nein, mein Freund. Du bist in der Morgendämmerung aufgewacht, nicht in der Abenddämmerung.“

      „Ich lag die ganze Nacht bewußtlos?“ fragte Hadhuin überrascht.

      „Das will ich meinen.“

      „Schön. Als ich denn heute....“

      „Gestern morgen, Hadhuin. Nicht heute morgen.“

      Hadhuin brauchte einige Augenblicke, um die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.

      „Ich war die ganze Nacht bewußtlos und schlief danach einen ganzen Tag und eine weitere Nacht?“

      „Ich sagte dir doch: dein Sturz hätte böse ausgehen können. Ich kam gerade zur rechten Zeit, denn du warst in jedem Fall auf meine Hilfe angewiesen, auch ohne dir den Schädel blutig zu schlagen.“

      Fast unmerklich ließ der Sprecher seinen Blick auf den vor Hadhuin liegenden Dolch abgleiten, nicht länger als die Dauer eines Lidschlags. Es genügte, ihn bis auf die Knochen erschauern zu lassen. Schuldbewußt nahm er die Waffe wieder zur Hand, nur um in seiner Verlegenheit weitere Streifen gebratenen Fleisches herunterzuschneiden.

      Er mußte sich räuspern, ehe er weitersprach.

      „Nun, worauf ich hinauswollte: auf die Gefahr, die mir drohte, wurde ich dank eines Fischotters aufmerksam, glaube ich. Er schien keine Furcht zu haben und kam ganz nahe an mich heran. Und, aus irgendeinem Grund scheint es mir – ich meine....“

      „Ob ich etwas damit zu tun hatte, meinst du?“

      Mit der Antwort schien es der Mann nicht eilig zu haben. Stattdessen lehnte er sich zurück, wobei er offensichtlich keine Schwierigkeiten hatte, es sich an dem unförmigen Felsblock hinter seinem Rücken bequem zu machen, und legte am Rand der Feuerstelle die Füße übereinander. Verschwörerisch funkelte sein gesundes Auge aus dem Halbdunkel, an den Flammen vorbei, deren Flackern es widerspiegelte.

      „Da fällt mir ein, ich soll dich von jemandem grüßen. Vor zwei Tagen machte ich seine Bekanntschaft, unweit seiner Höhle, wenige Stunden Fußmarsch bachaufwärts; errätst du, wen ich meine?“

      Hadhuin spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten.

      „Er läßt dir ausrichten, du mögest dich besser nicht mit ihm anlegen. Er sei drauf und dran gewesen, dir einen Krallenhieb ins Gesicht zu verpassen, als du ihn mit deinen angespitzten Baumruten bedrohtest. Und glaub mir, du kannst von Glück reden, daß er die Trägheit seiner Winterruhe nicht abgeschüttelt hatte, sonst wäre es dir übel ergangen.“

      Hadhuin schluckte.

      „Nun, es geschah etwas unvorhergesehenes....“

      „Oh ja“, lachte der Graubärtige, „das kann ich dir seitens des Bären auch bestätigen!“

      „Ihr sprecht also die Sprache der Tiere?“

      „Mehr als das, die Sprachen aller Tiere.“

      „Wie kam es zu der Begegnung?“

      „Rein zufällig trafen wir uns, als ich den Bach heruntergeschwommen kam. Er stand am Ufer und stillte seinen Durst.“

      „Ihr seid geschwommen? Im Bach?“

      „Zugegeben: der Bhréandyr wäre breiter und tiefer, aber er hätte mich nicht zu dir geführt. Der Gestalt eines Otters genügt das Bachbett aber durchaus.“

      Damit erhielt Hadhuin die Antwort, die er mehr oder weniger erwartet hatte. Leicht war sie dennoch nicht zu verarbeiten. Er holte tief Luft und ließ sich das Gehörte eine Weile durch den Kopf gehen, ehe er weitersprach.

      „Ihr scheint genau gewußt zu haben, wo Ihr mich finden würdet?“

      „Spätestens seit dem Zusammentreffen mit deinem braunhaarigen Freund. Aber ich hätte dich so oder so aufgespürt.“

      „Und was verschafft mir die Ehre, wenn ich fragen darf?“

      Der andere wand die knochigen Finger über der Brust ineinander und seufzte.

      „Um dir das zu erklären, müßte ich sehr weit ausholen“, brummte er. „Und danach ist mir im Augenblick nicht zumute.“

      Nachdem er eine Zeitlang dumpf vor sich hingebrütet hatte, sagte Hadhuin:

      „Ihr habt mir einen gehörigen Schrecken eingejagt, als Ihr Euch so plötzlich vor mir aufrichtetet....“

      „Du warst wirklich sehr unachtsam, vorgestern.“

      „....aber ich muß Euch danken, denn sonst wäre ich kaum auf meinen Feind aufmerksam geworden, der mich aus dem Hinterhalt bedrohte.“

      „Viel hätte es dir ohnehin nicht genutzt. Ein einzelner Mann könnte kaum etwas ausrichten gegen einen Angreifer wie diesen. Wärst du dagegen mit deiner wichtigsten Waffe gegürtet gewesen, hättest du allein dadurch die Bedrohung abgewehrt.“

      „Ich tat also das Richtige, indem ich die Flucht ergriff?“

      Der andere machte eine Geste der Gleichgültigkeit.

      „Weit wärst du nicht gekommen. Aber zum Glück war ich ja da, und kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine andere Gestalt annehmen.“

      Mit Bauchgrimmen erinnerte sich Hadhuin an die beiden einander überlagernden Schreie hinter seinem Rücken, als er Hals über Kopf davonrannte.

      „Mir war, als hörte ich einen Eber“, mutmaßte er zögerlich.

      „Dann wird es wohl ein Eber gewesen sein“, versetzte der andere und beugte sich vor, um wie zur Bestätigung eine Rippe aus der Seite des Wildbrets zu brechen. „Aber hörtest du nicht noch etwas anderes?“ fragte er genüßlich kauend, nachdem er es sich wieder behaglich gemacht hatte.

      „Bei Gnidhrs verwachsenem Buckel, ich wollte, ich könnte es leugnen!“

      „Ein gräßlicher Schrei, nicht wahr? Allein, daß du ihn hörtest, darin lag deine Rettung. Es bedeutete nämlich, daß ich der verwunschenen Kreatur die Seiten aufschlitzte und ihr das Herz aus dem Leib pflügte.“

      „Ihr meint....“

      Hadhuin deutete vage auf die aus dem Schädel des getöteten Ebers ragenden Hauer.

      „So ist es. Nur daß meine noch um einiges mächtiger waren, das kann ich dir versichern.“

      Verlegen kratzte sich Hadhuin im Nacken.

      „Ihr eßt von einem Wesen, dessen Gestalt ihr kurz zuvor noch angenommen hattet?“

      Gleichgültig schleuderte der Gefragte den abgenagten Knochen über die Schulter und leckte sich die Finger.

      „Irgendwelche Einwände?“

      „Nicht, solange es Euch nicht nach meinen eigenen Rippen gelüstet.“

      „Und warum sonst sollte ich mir die Mühe machen, dich so fürsorglich zu mästen?“