Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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stehenblieb, ihm erneut zugewandt und nur wenige Armeslängen vorn ihm entfernt, wurde Hadhuin schlagartig klar, daß er handeln mußte. Ohne zu überlegen, begann er die knarrende Sehne zu spannen und mit der Pfeilspitze auf das linke Auge zu zielen. Der Bär hob den Kopf und richtete seinen Blick auf Hadhuin, deutlich sah er den Glanz beider Augen und der feuchtschwarzen Nase; auch nahm er jetzt den strengen Geruch wahr und hörte ein tiefes Brummen, das lauter und lauter wurde während er die Bogensehne bis zum Äußersten spannte, aber zum Schuß kam es nicht mehr, denn plötzlich bebte der Fels unter ihm – aber nicht nur der Fels, alles um ihn herum begann zu beben, und das Brummen wurde zu einem Grollen, und es kam auch nicht aus der Bärenkehle, sondern aus den Tiefen der erschauernden Erde.

      Das Beben verebbte, und der Bär schaute wie verwundert um sich. Dann tauschte er einen kurzen Blick mit dem nicht minder verblüfften Hadhuin, verließ mit einem beleidigten Grummeln das Wasser und stapfte ohne sich noch einmal umzudrehen durch das Unterholz davon, in der gleichen Richtung aus der er auch gekommen war.

      Hadhuin brauchte lange, um sich aus seiner Erstarrung zu lösen, oder wenigstens kam es ihm selbst so vor. Bäche von Schweiß liefen ihm über die Stirn und aus den Achselhöhlen, während er langsam den Bogen sinken ließ. Vorsichtig stieg er von dem Fels herunter, ging zum nächststehenden Baum und ließ sich von einem Schwindelgefühl übermannt nieder. Mit dem Rücken an den Stamm gelehnt schnappte er nach Luft und wartete, bis sich sein Herzschlag wieder beruhigt hatte.

      Was? Was bei allen Dämonen der Unterwelt hatte das nur zu bedeuten? Hadhuin krallte die Finger der linken Hand in den Boden, während er sich mit der rechten über die Stirn fuhr, und schickte im Geist ein Dankgebet an Gnidhr; denn was immer den Buckligen bewogen haben mochte, seinen Hammer gerade jetzt zu schwingen, für ihn kam es genau im rechten Augenblick. Sein Jagdeifer war ihm jedoch erst einmal vergangen. Er rappelte sich wieder auf, und ehe er seinen Bogen nahm um den Rückweg zu seinem Versteck anzutreten, stillte er seinen brennenden Durst mit einem langen, ausgiebigen Trunk des kalten Bachwassers.

      Ein Bär! wollte es ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen, während er von dem Schock einigermaßen erholt, und erleichtert über den glimpflichen Verlauf der Begegnung, beschleunigten Schrittes talabwärts trabte. Ausgerechnet ein Bär, das letzte, womit er gerechnet hätte! Dabei war es, genau besehen, gar nicht so abwegig, daß der Braune seine Winterruhe unterbrochen hatte. Und daß gerade er, Hadhuin, ihm dabei ins Gehege kommen mußte.... auch damit war zu rechnen, mitten in dieser Wildnis.

      Hätte er doch nur bessere Pfeilspitzen, fuhr es ihm durch den Sinn. Dann könnte er es wagen, die Spur des Bären bis in seine Höhle aufzunehmen, um ihn dort vielleicht im Schlaf zu überraschen und zu erlegen. Mit den angespitzten Holzschäften aber mochte er es auf einen Versuch nicht ankommen lassen – beim bloßen Gedanken daran sah er sie wirkungslos von dem dicken Fell abgleiten. Sich mit dem Dolch in der Hand an das Tier heranschleichen und ihm rasch einen tödlichen Stoß versetzen? Ein ausgewachsener Bär war kein argloser Maultiertreiber, selbst im Schlaf nicht. Bei diesem Gedanken verdüsterte sich Hadhuins Stimmung, da er sich wie der schändlichste Feigling vorkam.

      Das beste wäre eben doch, schnellstmöglich ein Stück Rotwild zu erbeuten. Sicher ließen sich die zersplitterten Knochen zu Pfeilspitzen verarbeiten. Ob diese in ihrer Wirkung tatsächlich verläßlicher waren als zugespitztes und feuergehärtetes Eschenholz, erschien zwar fraglich; aber zumindest hätte er dann einen Fleischvorrat, und die Wirkung der Knochenspitzen könnte er einstweilen anderweitig erproben.

      Und wehe dem Dickfellträger, wenn sie sich als tauglich erweisen sollten!

      Als er die Talsohle unterhalb seines Verstecks erreichte, fand er sich freudig überrascht, frische Hufabdrücke der Hinden an ihrer üblichen Tränke zu entdecken. Hadhuin schöpfte neuen Mut. Sie mieden also doch nicht das Maultier, das friedlich auf der Weide graste.

      Damit war sein Entschluß für den morgigen Tag gefaßt. Und um alle Irrtümer dieses Mal von vorneherein zu vermeiden, prüfte er noch einmal die Richtung, aus der die Hirschkühe an das von der Bergflanke aus gesehen jenseitige Ufer des Baches kamen. Besser gesagt, er versuchte es. Denn nur wenige Schritte vom Ufersand entfernt begann sich die Fährte unter seinem ungeübten Blick zu verwischen. Erst als er begann, die gesamte Talweide zu umrunden, entdeckte er an ihrem nördlichen Rand eine ausgetretene Stelle, die sich mit einer Biegung nach Westen zwischen den Baumstämmen weiterschlängelte: ein Wildpfad also. Und nun glaubte Hadhuin seinen gestrigen Fehler zu erkennen: er hatte die Tiere zu nahe am nordöstlichen Rand der Weide abzupassen versucht und ihnen so fast den Weg zum Wasser versperrt.

      Mit Bedacht machte er sich jetzt daran, eine geeignetere Stelle zu finden. Er ließ sich Zeit, und der Nachmittag war um einiges fortgeschritten, als er seine Entscheidung getroffen hatte: er würde es vom südlichen Ende her versuchen, verborgen im dunklen Schatten zweier Fichten.

      Als er aus dem Schlaf hochschreckte, umgab ihn noch vollkommene Dunkelheit. Nur ein schwacher Glutrest glomm kaum wahrnehmbar aus der Feuerstelle links neben ihm. Hinter sich hörte er die Stute, wie sie unruhig schnaubte und ihre Mähne schüttelte. Scheinbar war es kein Traum gewesen, und die Erde hatte erneut gebebt. Mit aufgestützten Ellbogen und halb aufgerichtetem Oberkörper lauschte er in die Nacht. Er hatte das Gefühl, angenehm lange geschlafen zu haben und folgerte daraus, daß es nicht mehr allzulange dauern konnte bis der Morgen anbrach. Was freilich blieb, war ein Gefühl dumpfer Beklommenheit. Er konnte sich nicht daran erinnern jemals erlebt zu haben, daß die Erde sich zweimal schüttelte noch ehe die Sonne ihre gesamte Bahn durchmessen hatte. Um genau zu sein, hatte er überhaupt noch nie ein Erdbeben erlebt.

      Und da geschah es ein weiteres Mal – etwas schwächer als gestern, bachaufwärts am Staubecken, aber deutlich zu spüren als eine Welle des Zitterns, als würde der mächtig hingebreitete Leib der Erde von einem Fieberschauer befallen. Er hörte das Maultier einen Huf auf den Felsboden aufsetzen, wie wenn es Anstalten machte, aufzustehen. Er selbst verharrte regungslos in seiner angespannten Position, mit bis zum äußersten geschärften Sinnen. Und dann erhellte ein Blitz, ähnlich einem Wetterleuchten, die Dunkelheit. Deutlich sah er zu seiner Rechten einen Augenblick lang die ruppige Felswand, ehe sie wieder von der dichten, fast greifbaren Schwärze geschluckt wurden. Hadhuin wartete ab und machte sich auf alles Mögliche gefaßt, ohne eine genaue Vorstellung zu haben, was. Aber von nun an blieb alles ruhig und unverändert. Bis sich überraschend der abnehmende Mond hinter einem sich lichtenden Wolkenschleier zeigte. Im dritten Viertel stand er über dem Eingang der Felsnische, kaum hell genug um ihre Ränder fahl zu erleuchten.

      Und wenngleich er kurz darauf wieder hinter der Wolkenwand verschwand, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Seufzend streifte Hadhuin die Felldecke von sich ab und machte sich daran, das Feuer neu zu entfachen.

      Er wartete, bis der Nachthimmel verblaßt war und sich die orangeroten Flammen vor dem einförmigen Grau abzeichneten, das seit seiner Ankunft vor einem halben Monat kaum eine Veränderung erfahren hatte. Einmal noch ließ sich der Mond kurz durch einen Riß in der Wolkendecke sehen, bereits auf halbem Weg zum Horizont. Als die Stute, ihrer Gewohnheit folgend, sich auf den Weg ins Tal machen wollte, hielt Hadhuin sie zurück, um ihr zuvor noch die Morgenmilch abzumelken. Kurze Zeit später folgte er ihr hinab, den Magen wohlig gefüllt mit Brei, womit sein Hunger für die nächsten Stunden gestillt war.

      Er sah sich vor, auch den Schafsbalg dabeizuhaben, den er am Bach mit Wasser füllte. Sein Versteck unter den Fichten lag ein gutes Stück vom Ufer entfernt, und er wollte es auf keinen Fall verlassen müssen, es sei denn, um sich seiner niedergestreckten Beute zu bemächtigen.

      Und wieder begann das Warten. Hadhuin mußte sich eingestehen, daß er sich das Jägerdasein anders vorgestellt hatte. Aber sein Urteil war verfrüht, da er das Beuteglück noch nicht kannte, zweifellos eine Quelle der Freude und des Ansporns, während alles, was ihn derzeit antrieb, in bitterer Notwendigkeit begründet lag. Bogen und Pfeil schußbereit an der Hüfte, verschanzte er sich hinter dem linken der beiden Fichtenstämme. Die tiefhängenden, von der Last dunkelgrüner Nadeln schweren Äste gaben ihm ein Gefühl der Sicherheit, da er sich von der Tränke aus gesehen in dichtes Dunkel gehüllt wähnte. Hadhuin wußte, daß die Hinden immer erst gegen Mittag kamen. Den Zeitpunkt, sich auf die Lauer zu legen, hatte er dennoch früh gewählt, um sie auch ja nicht zu verpassen.