Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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gemacht. Er schien jetzt tatsächlich biegsamer als vorher. Von nun an wäre die Jagd selbst seine Übung.

      Jede Beute wäre ihm recht, gleich ob behaart, gefiedert oder geschuppt. Und so behielt er immer den Wasserlauf im Blick, ob er ihm vielleicht einen Fanggrund für Forellen böte. Fische, dachte er, wären vielleicht ein guter Anfang. Sie gaben nicht nur ein Ziel ab, das in nächster Nähe lag, die Richtung des Schusses ging überdies abwärts; wenn er fehlging, wäre zumindest der Pfeil nicht verloren, es sei denn, er hätte an einem Stein Schaden genommen. Im günstigeren Fall hätte er sich in den sandigen Untergrund gebohrt. Und im allergünstigsten Fall hätte er natürlich den weichen, schillernden Fischleib aufgespießt, und Hadhuin würde heute abend stolz seine erste Jagdbeute über dem Feuer rösten. Sein Heißhunger auf etwas fangfrisches war ihm der größte Ansporn.

      Der Bach wand sich von Nordosten her um den Berg herum. Hadhuin mochte schon deswegen nicht von ihm lassen, weil er ihm verläßlich den Weg zurück weisen würde. Er war früh aufgebrochen und noch nicht lange unterwegs, und obwohl die Sonne immer noch hinter dem Bergrücken stand, kündigte sich der Tag milde an, milder sogar als die vorausgegangenen. Hadhuin ging in Marschrichtung gesehen rechtsseitig des Bachs, und je mehr sich das Tal nach Osten hin öffnete, desto mehr Licht drang herein. Vogelstimmen schnarrten und zwitscherten. Nackte Äste reckten sich wie Knochenfinger vor dem fahlen Himmel und malten fremde Zeichen in die Luft. Er fühlte sich versucht, sein Jagdglück aus ihnen zu deuten, aber er war kein Orakelleser, also ließ er es lieber bleiben und folgte seinem inneren Ruf. Unruhe trieb ihn voran, eine geschäftige Vorfreude, genährt von fiebriger Hoffnung auf Beute. Die murmelnde Stimme des Bachs sprach ihm Mut zu und spornte ihn zum Weitergehen an.

      Bis sich das Wasser hinter einer Biegung zu einer seichten, fast unbewegten Fläche dehnte, zurückgehalten von schweren, bemoosten Steinbrocken, die seinen Lauf hinderten und so eine natürliche Stauwehr bildeten. Hadhuin war jetzt fast auf der Nordseite des Bergs, das Tageslicht drang nahezu ungehindert durch den von Bäumen dünn besiedelten Geländeeinschnitt. Das Wasser fing einen matten Sonnenstrahl auf und verwandelte ihn in glitzernde Schuppen. Hadhuin wußte: hier und sonst nirgends.

      Die glitschigen Steine als Furt benutzend, kreuzte er vorsichtig das Bachbett, ging um das kleine Staubecken herum und setzte sich zur Rast auf einen Felsen, der es von der anderen Seite her begrenzte. Prüfend ließ er den Blick über die Wasserfläche gleiten. Die Lichtverhältnisse schienen günstig, und so beschloß er, seiner Beute an eben dieser Stelle aufzulauern. Er blieb sitzen, wo er war. Und wartete.

      Der Tag war, bei aller Milde, ein Wintertag. Das noch im Werden begriffene neue Jahr schien zaghaft und unentschlossen, und einiger Vogelstimmen wegen zu sagen, der Wald erwache zu Leben, wäre eine Übertreibung gewesen. Daß so etwas wie Vorankündigung in der Luft lag, schien trügerisch; niemand konnte mit Bestimmtheit sagen, ob die härtesten Tage nicht etwa bevorstanden, die Faust des Winters sich noch einmal schließen würde, und erbarmungsloser als bisher. Dennoch war es nicht zu leugnen: das Licht erhob sich täglich ein wenig mehr als am Vortag, bis es gegenüber der Dunkelheit die Oberhand gewinnen und der Tag die Nacht an Länge übertreffen würde.

      Hadhuin hielt den Blick auf das Wasser gerichtet. Der größte Teil der von ihm einsehbaren Fläche wurde nicht vom Tageslicht überglänzt, so daß er den gräulichen Untergrund sehen konnte. Tatsächlich blieb ihm nichts zu tun, als zu warten. Und auf Beute zu hoffen. Er fand dies um so zermürbender, da er gerade erst eine Enttäuschung hinter sich hatte, mit den Hinden nämlich. Andererseits blieb ihm keine Wahl, als Fischen und Jagen zu lernen, wollte er den kommenden Sommer noch erleben. Also zwang er sich zum Durchhalten.

      Und wenn nun irgendein anderes Beutetier in seine Nähe kam, während er hier ohne jede Gewißheit auf Fische wartete? Hadhuin war bemüht, alle Sinne offen zu halten und für jede Veränderung in seiner nächsten Umgebung empfänglich zu sein, als er merkte, wie sich sein schlimmster Feind an ihn heranschlich: Schläfrigkeit. Den ersten Anflug vermochte er noch abzuschütteln, allein indem er seiner gewahr wurde und darüber erschrak. Es war die Erinnerung, vollkommen allein und auf sich gestellt zu sein, die urplötzlich aus den Schattenregionen am äußersten Rand seines Geistes hervorgesprungen kam, sich der Versuchung des Schlafs in den Weg stellte und die Müdigkeit vertrieb. Was, wenn er selbst Beute eines Jägers werden würde, fuhr es ihm durch den Sinn? Mit Schaudern erinnerte er sich an jene Winternächte im Steinbruch, als man in nicht allzuweiter Ferne das Heulen der Wölfe hören konnte.

      Jedoch nahm er keinerlei Anzeichen von Gefahr wahr, und bald wiegte er sich erneut in Sicherheit. Und wieder wollte ihn die Müdigkeit übermannen, die sich mit bleierner Schwere auf seine Sinne legte. Hadhuin kämpfte mit aller Macht dagegen an und hätte sich doch am liebsten hinabziehen lassen von dem Gewicht, das seine Lider erschlaffen ließ. Er dachte daran, mit beiden Händen aus dem kalten Wasser zu schöpfen und sein Gesicht damit zu benetzen, um die Müdigkeit zu vertreiben, jedoch war der Fels, auf dem er saß, dafür zu hoch. Er würde ihn verlassen und an einer flacheren Stelle ans Ufer treten müssen. So versuchte er eine Weile vergeblich sich dazu zu überwinden, seinen Sitzplatz aufzugeben. Was ihn davon abhielt, war nicht zuletzt der bequeme Vorwand, daß ihm womöglich gerade beim Verlassen seines Spähsitzes ein Fisch unbemerkt entgehen könnte. Aber eigentlich sollte er ohnehin nicht sitzen. Vielmehr sollte er von vorneherein stehen, denn aus dem Sitzen würde er nicht schießen können.

      Und gerade als er sich anschicken wollte aufzustehen, um sich zunächst mit kaltem Wasser zu erfrischen und dann stehend seinen Platz wieder einzunehmen, geschah es. Alarmiert nahm er am linken Rand seines Blickfeldes eine Schattenbewegung wahr. Augenblicklich war er wieder hellwach, festigte den Griff seiner um den Bogen geschlossenen linken Hand und starrte angespannt ins Wasser. Tatsächlich, es war keine Sinnestäuschung, kein Traumbild gewesen: dort schlängelte sich der flinke Leib einer Forelle über den seichten Grund. Sie war diesem farblich viel ähnlicher als Hadhuin erwartet hätte, und das war ihm eine Lehre, seinen Blick zur Enttarnung der Beute zu schärfen. Wer weiß, wie viele Fänge ihm schon entgangen sein mochten, seit er regungslos am Ufer verharrte? Langsam, ganz langsam begann Hadhuin sich aufzurichten, um die schreckhafte Kreatur nicht durch eine heftige Bewegung zu vertreiben, während er aufpaßte sie nicht aus den Augen zu verlieren.

      Als er fast gerade stand und den Pfeil zum Zielen anlegen wollte, entschwand der Fisch mit einigen heftigen Schwanzstößen seinem Blick. Hadhuin fluchte mit leiser Stimme vor sich hin, überwand aber rasch seine Wut und Enttäuschung. Immerhin war er jetzt sicher, seinen Platz gut ausgewählt zu haben. Nun galt es mehr als zuvor, wachsam zu bleiben. Er legte das hintere Ende des Pfeilschafts mit der dafür vorgesehenen Einkerbung an der Bogensehne an und hielt seine Jagdwaffe schußbereit an der linken Hüfte, während er aufmerksam den Blick auf das erweiterte Bachbett gerichtet hielt.

      Was dann geschah, traf ihn völlig unvorbereitet. Das erste, was er wahrnahm, war ein Rascheln im Gesträuch, und als er überrascht den Kopf nach links wandte, sah er einen Bären aus dem sich teilenden Unterholz treten.

      Hadhuin wurde starr vor Entsetzen. Regungslos, mit weit aufgerissenen Augen beobachtete er, wie das Tier tapsig die sanft abfallende Böschung herab ans Ufer kam, sich keine zwölf Schritte von ihm entfernt mit gekreuzten Tatzen niederließ und ihn schläfrig anblinzelte, scheinbar ohne jeden Argwohn. Hadhuin wagte kaum zu atmen. Was sollte er tun? Davonlaufen? Weiter ruhig stehenbleiben? Oder gar versuchen, den Bären zu erlegen? Die letztere der drei Möglichkeiten schien ihm beim Anblick des dicken, braunen Winterpelzes verlockend; allein, ein flüchtiger Blick auf die dünne Holzspitze seines nach wie vor schußbereit angelegten Pfeils hielt ihn von der Umsetzung ab. Wenn, dann müßte er die Bestie mit einem einzigen Schuß töten oder zumindest kampfunfähig machen. Würde sie ihn zum Kampf gereizt anfallen, hätte er nur noch seinen Dolch zur Verteidigung, und wenngleich dieser sicherlich nicht weniger scharf war als die Bärenkrallen, war sein Gegner doch zweifellos geübter im Waffengang als er selbst.

      Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, als der braune Koloß sich wieder auf alle vier Tatzen aufrichtete. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle er direkt auf ihn zukommen, aber stattdessen begann er ins seichte Wasser zu waten und das vom Gesträuch überschattete Ufer abzusuchen. Hadhuin begann etwas Mut zu schöpfen, da der Bär weiterhin keine Notiz von ihm zu nehmen schien. Sollte er es wagen? Ein gezielter Schuß in eines der schwarzen, tiefliegenden