Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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war, nämlich Feuerstein und Schlageisen, fand er am Herd.

      All das verschnürte und verpackte er so, daß es beim Tragen, oder auch wenn es zu Boden fiel, keinen Lärm verursachen würde. Als Felle und Decken waren ihm die seines eigenen Nachtlagers dienlich. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er sich mit seiner Ausrüstung durch ein zur Straße weisendes Fenster davonstahl. Zuvor warf er eines der Felle hinaus, in der Hoffnung, damit seinen eigenen Fall abdämpfen zu können. Tatsächlich schaffte er es, fast lautlos unten anzukommen, obwohl er aus einiger Höhe springen mußte. Er lauschte einen Moment und atmete erleichtert auf, als er sicher war daß keiner der Hunde angeschlagen hatte.

      Sein Ziel waren von Anfang an die abgeschiedenen, ihm leidlich vertrauten Gebirgstäler gewesen, wo er hoffte, unentdeckt zu bleiben. Und irgendwie den Winter zu überstehen. Er ging zunächst abseits aller Straßen und orientierte sich am Stand der Sonne, bis die bläulich die Ebene begrenzende Bergkette in Sichtweite kam. Er wanderte über während des Sommers intensiv genutztes Weideland, und stets fand er vor Einbruch der Nacht eine der niedrigen Hütten aus Bruchstein, die den Hirten im Sommer als Unterkunft dienten. Dank ihrer Feuerstelle und des Rauchfangs erfüllten sie für Hadhuin den gleichen Zweck auch jetzt. Nicht selten enthielten sie nützliche Dinge, etwa eine aus einem Schafsbalg gefertigte Feldflasche, die er sich zu eigen machte, oder auch Vorräte an Käse oder Trockenfleisch.

      Eines Tages sah er von weitem einen Mann, der ein mit zwei prallen Säcken beladenes Maultier am Zügel führte. Die vor ihm liegende breitspurige Straße schlängelte sich in südwestlicher Richtung ins Gebirge hinein, und Hadhuin brauchte nicht lange, um sie wiederzuerkennen: sein Bauch krampfte sich zusammen dabei, denn er selbst war den Weg vor einigen Monaten in umgekehrter Richtung gegangen, als er seinem neuen Herrn in der Stadt entgegengesandt wurde. Somit wußte er auch, was die Säcke auf dem Maultierrücken enthielten: Hafer und Gerste, um die Wintervorräte des Steinbruchs aufzustocken.

      Hadhuin war ausschließlich auf sein eigenes Überleben bedacht, und das um jeden Preis. Er entledigte sich seines Marschgepäcks, legte es zwischen die Wurzelstränge eines Baumstamms und wog flüchtig verschiedene Möglichkeiten gegeneinander ab; es dauerte jedoch nicht lange, bis seine sich leicht verengenden Augen einem etwaigen Beobachter die getroffene Entscheidung verraten hätten. Außer Hörweite des Lasttiertreibers verließ er das schützende Unterholz, um sich auf der Straße mit gezücktem Dolch an ihn heranzuschleichen.

      Er hatte noch nie einen Menschen getötet, und alles was er wußte war, daß es schnell gehen mußte. Und so geschah es, wunderbarerweise für ihn. Er fiel dem Mann in den Rücken, nahm sein Gesicht in die Armbeuge um ihm den Kopf nach hinten zu reißen, und ehe er schreien konnte, hatte er ihm schon den Dolch durch die Kehle gezogen. Dann zog er die röchelnde, im Todeskampf wild um sich schlagende Gestalt abseits vom Weg ins Gehölz und versetzte ihr noch von vorne mehrere heftige Stiche in die Herzgegend, bis alles Leben in den entsetzt aufgerissenen Augen erloschen war und sein Opfer kraftlos in sich zusammensackte.

      Hadhuin lehnte sich keuchend mit dem Rücken an den nächststehenden Baum. Sein Herz raste wie wild, und er verspürte Durst. Vor ihm lag blutüberströmt ein Mann am Boden, getötet von seiner Hand. Es war gemeiner, heimtückischer Mord, aber Hadhuin fühlte sich zum Kriegerdasein berufen, und Mord war das Handwerk eines Kriegers. Vor allem aber brauchte er Nahrung, und nur durch den Tod des Treibers konnte eine sofortige Verfolgung abgewendet werden, da man im Steinbruch noch einige Zeit auf ihn warten würde, ehe man sich auf die Suche nach ihm machte. Hadhuin, der sich dieser Rechtfertigung keineswegs sicher war, kämpfte sein Schwindelgefühl und die anschwellende Übelkeit nieder. So oder so, er durfte keine Zeit verlieren.

      Nachdem er sein Opfer noch ein Stück weiter ins Gebüsch gezerrt hatte, holte er sein Gepäck und näherte sich langsam und mit beruhigenden Worten dem Maultier, das im Augenblick des Überfalls kurz zur Seite hin ausgebrochen und dann wie angewurzelt stehengeblieben war. Jetzt tänzelte es ein wenig und schüttelte schnaubend die blonde Mähne, ließ ihn aber herankommen. Als es ihn seinen Hals tätscheln ließ, wußte er, daß er es für sich gewonnen hatte. Neugierig beschnupperte es seinen Überwurf, was ihn vermuten ließ, daß dem dicken Wollstoff noch Stallgeruch anhaftete. Schließlich band er der Stute seine Sachen auf und machte sich mit ihr auf der anderen Straßenseite davon, wiederum quer durchs Gelände, in nordwestlicher Richtung ins Gebirge hinein.

      Fünfzehn Tage waren seither vergangen, wenn Hadhuin sich nicht verzählt hatte. Als am Tag nach dem Überfall der überraschende Wetterumschwung einsetzte, rechnete er nicht damit daß er von Dauer wäre; so kam es, daß er sich nach viertägigem Marsch durch den Bergwald im Schutz der nach Westen weisenden Bergflanke einrichtete, um sich fortan die meiste Zeit gegen Wind und Nässe zur Wehr setzen zu müssen.

      Immerhin war seine Lage nicht lebensbedrohlich. Das schlimmste was ihm jetzt passieren konnte war, aufgefunden und gefangen zu werden, ehe ihm das Haar so lang wie das eines Kriegers um die Schultern fiel. Wenn er es aber schaffen würde, bis zum Sommer allein in der Abgeschiedenheit der Wälder zu überleben, wäre er gerettet.

      Denn war er einmal als Krieger anerkannt, stünden ihm alle Wege offen.

      Das Maultier war bei ihm geblieben, und zwar von selbst. Er brauchte ihm nicht einmal Fußfesseln anzulegen, geschweige denn es anzubinden. Zunächst war er sich gar nicht sicher gewesen, ob er es überhaupt behalten wollte, da er wahrscheinlich einen Großteil des Hafervorrats, wenn nicht alles für seine Ernährung würde aufwenden müssen. Andererseits fürchtete er, daß wenn es in den Steinbruch zurückfand, jemand die Richtung aus der es kam als Hinweis auf seinen Aufenthaltsort deuten und womöglich versuchen würde, seine Spuren zurückzuverfolgen. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, es zu schlachten; und wäre es weiterhin so kalt geblieben wie es der Jahreszeit eigentlich entsprach, hätte er dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch getan und würde jetzt von seinem Fleischvorrat zehren, um dessen Haltbarkeit er sich nicht sorgen müßte.

      Seine Unschlüssigkeit ermöglichte es schließlich, daß sich die Lösung von selbst fand. Das Lasttier schien, wie sich herausstellte, seine gewohnt arbeitsreiche Umgebung nicht zu vermissen und genoß die uneingeschränkte Freiheit, die er ihm nach Ankunft in seinem Versteck ließ. Am ersten Abend öffnete er ihm den Hafersack, als es begierig daran schnupperte, und ließ es fressen so viel es wollte. Danach nahm er ihm das Zaumzeug ab. Von da an trabte es nach Belieben zwischen der Höhle und der Talsohle hin und her, wo sich ein breiter Bach um den Fuß des Bergs herum schlängelte. Die Aushöhlung des Felsens war geräumig genug für beide, und nachts genoß er die Körperwärme, die das Tier ihm spendete. Seinen Dung trocknete er tagsüber am Holzfeuer, bis er selbst als zusätzliches Brandmaterial tauglich war.

      Der Verbrauch des Hafers hielt sich dagegen in Grenzen, da das Maultier auf seinen Streifzügen tagsüber alles mögliche fraß. Oft sah Hadhuin, wie es an der Rinde mancher Bäume knabberte oder mit geblähten Nüstern im Laub stöberte. Und bald begann es auch, wählerisch Grasbüschel aus der mählich grünenden Talweide zu rupfen. Hadhuin genoß einen weiteren Vorzug, den die Stute ihm bot: ihre Milch. Teils saugte er sie direkt aus den prallen Zitzen zwischen den Hinterläufen, teils molk er sie ab, um darin den grob zwischen Steinen zermahlenen Hafer oder die Gerste zu kochen. Immer war sie ein wohltuender Genuß, und das Tier ließ ihn bereitwillig gewähren.

      Dennoch gelüstete Hadhuin nach Fleisch. Die Wälder waren reich an Rotwild; oft konnte er mehrere Hinden, seltener die Böcke beim Trinken am Bach beobachten. Und so machte er sich jetzt daran, aus einer gestern geschnittenen Weißdornrute einen Bogen zu fertigen.

      Zunächst schälte er mit dem Dolch die Rinde ab und glättete das blanke Holz mithilfe des grobkörnigen Sandsteins, der den felsigen Untergrund seiner Notbehausung bildete. Vereinzelt lagen davon Bruchstücke herum, die ihm bereits für den Feuerkranz und zum Mahlen des Getreides dienlich waren. Während des Schleifens prüfte er die durch ihren Wuchs bereits leicht geschwungene Rute mehrmals auf ihre Biegsamkeit. Als er sicher war, daß sie keine Spreißel reißen würde, kerbte er an beiden Enden eine Vertiefung zum Befestigen der Sehne ein. Beim Schälen hatte er die Rute außerdem so zurechtgeschnitzt, daß sie jetzt in der Mitte am dicksten war. Dort bearbeitete er sie so lange, bis sie nahezu perfekt im Griff seiner linken Hand lag.

      Die Arbeit war nicht sonderlich