Kaffee - Fahrt. Jürgen Ruhr

Читать онлайн.
Название Kaffee - Fahrt
Автор произведения Jürgen Ruhr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752927597



Скачать книгу

der Abfahrt nicht videoüberwacht!

      Christine sah mich böse an, als ich in ihr Büro trat. „Verdammt, Jonathan, wo hast du gesteckt?“, warf sie mir entgegen. „Ich hatte eine Verabredung zum Mittagessen, die geplatzt ist, weil ich auf Bingo aufpassen musste. Konntest du nicht wenigstens Jennifer Bescheid sagen?“

      Sie musterte meine Jacke und verdrehte die Augen. „Oh nein“, stöhnte sie, „du warst wieder bei diesem ekelhaften Schmuddel-Erwin!“

      Ich blickte an mir herunter und fragte mich, wieso sie die kaum sichtbaren Fettflecken überhaupt bemerkt hatte. Aber Frauen schienen einen Sinn für so etwas zu haben. „Curry-Erwin“, korrigierte ich leise, um sie nicht noch mehr zu verärgern. „Entschuldige bitte.“ Dann sah ich auf meine Uhr. „Ich muss los, der Lehrgang beginnt gleich. Komm Bingo, jetzt ruft die Arbeit ...“

      Während ich mit dem Hund an der Leine das Büro verließ, grummelte Christine hinter mir her. Das mit dem Termin hätte sie mir aber auch sagen können, vielleicht wären wir ja dann alle zusammen zu Curry-Erwin gegangen.

      Der Bauernhof, auf dem die Hundeschule residierte, lag außerhalb Rheindahlens mitten zwischen Wiesen und Feldern. Trotz bester Wegbeschreibung verfuhr ich mich zweimal, doch letztlich bog ich auf den Platz vor einer Scheune und kam in einer Staubwolke zum Stehen. Mehrere Fahrzeuge parkten dort bereits und es schien, als hätte der Kurs schon begonnen.

      Eine schmale Tür in dem Tor der Scheune stand offen und ich trat hinein. In dem Raum herrschte ein Dämmerlicht, doch meine Augen gewöhnten sich rasch daran. Insbesondere, nachdem ich meine Sonnenbrille abgenommen hatte. Ich sah mehrere Reihen von Bierzeltgarnituren mit schmalen, wackeligen Tischen und unbequemen Bänken davor. Fünf Personen saßen gut verteilt in den ersten Reihen und blickten mir neugierig entgegen. Eine wahnsinnig dicke Frau mit strohgelben, ungepflegten Haaren, die am Halsansatz endeten, stand hinter einem Rednerpult. Sie blickte mir aus zugequollenen Schweinsäuglein entgegen und ihr Gesichtsausdruck konnte beim besten Willen nicht freundlich genannt werden.

      „Oh, ein Nachzügler“, gab sie von sich und ihre Stimme troff vor Hohn. Demonstrativ sah sie auf ihre Armbanduhr und hob den rechten Zeigefinger. „Wir wissen aber wohl, dass Pünktlichkeit das oberste Gebot in der Hundeausbildung ist“, grunzte sie und ich sah einige der Kursteilnehmer schmunzeln. „Pünktlichkeit und Disziplin sage ich immer!“ Sie klopfte mit einem Fingerknöchel auf das Pult und ich hörte Bingo leise knurren. Ihm war die Frau vermutlich genauso unsympathisch, wie mir.

      Es entstand eine kurze Pause, dann trompetete die Dicke mit dem unvorteilhaften Haarschnitt: „Würden sie uns denn bitte verraten, wer sie sind? Leider haben sie ja die Einführungsvorstellung verpasst. Mein Name ist Sophie Fengeler und ich bin die Inhaberin der Hundeschule ‚Lucky Buddy‘.“

      Sie holte einen Moment Luft und ich wollte mich schon vorstellen, als sie fortfuhr: „Unsere Hundeschule ist zertifiziert und führt Kurse in Verhaltens- Alltags- Leinen- und Mantrailing durch. Die Öffnungszeiten sind montags bis freitags von neun bis zwölf und von fünfzehn bis siebzehn Uhr. Dieser Kurs begann“, sie blickte wieder auf ihre Uhr, „um vierzehn Uhr.“

      „Das ist ja schön“, grinste ich. Was sie da sagte, interessierte mich nicht besonders. „Ich bin Jonathan Lärpers.“

      „Dann setzen sie sich mal, Herr Lärpers.“ Sie hakte irgendetwas auf einer Liste ab und warf einen Blick auf Bingo. „Dann sind wir ja endlich vollständig. Aber wieso haben sie einen Hund mitgebracht, Herr Lärpers?“

      Jetzt erst fiel mir auf, dass sich in dem Raum keine Tiere befanden und ich zuckte mit den Schultern. „Ich dachte, das ist eine Hundeschule hier und wir machen Mantracking, desw...“

      „Wenn sie die Unterlagen zu diesem Kurs durchgelesen hätten, Herr Lärpers“, unterbrach sie mich, „dann wüssten sie, dass die erste Stunde allein dem Kennenlernen und der Theorie gewidmet ist. Sie haben die Unterlagen doch bekommen? Außerdem heißt es ‚Mantrailing‘ und nicht ‚Mantracking‘!“

      Ich nickte und lächelte gewinnend. „Ja, die habe ich bekommen. Das mit der Theorie muss ich irgendwie übersehen haben ...“

      „Jetzt setzen sie sich endlich hin, Herr Lärpers. Der Hund soll sich aber ruhig verhalten und darf den Unterricht nicht stören! Sonst muss er im Wagen warten.“

      Ich nickte erneut und setzte mich auf eine Bank, die hart und unbequem war. Hoffentlich mussten wir hier nicht stundenlang ausharren. Bingo legte sich zu meinen Füßen hin und sah bedauernd zu mir auf. Er schien mich zu verstehen.

      „Nachdem Herr Lärpers nun doch noch eingetroffen ist“, begann die Dicke wieder, „können wir mit unserem Kursus endlich beginnen. Ich begrüße sie zu dem Mantrailing Kurs der Hundeschule ‚Lucky Buddy‘ und freue mich, dass sie so zahlreich erschienen sind. Die Hundeschule ‚Lucky Buddy‘ ist zertifiziert und führt Kurse in Verhaltens- Alltags- Leinen- und Mantrailing durch. Die Öffnungszeiten sind montags bis freitags von neun bis zwölf und von fünfzehn bis siebzehn Uhr.“

      Irgendwie kannte ich das schon und verstohlen sah ich mich um. Drei junge Frauen, die sich zu kennen schienen, nickten zu den Worten der Dicken. Ein Jugendlicher mit militärisch kurzem Haarschnitt und gelangweiltem Gesichtsausdruck tippte auf seinem Smartphone herum und ein älterer Mann im besten Rentenalter blickte unentwegt auf Bingo und mich. Ich würde seinen Gesichtsausdruck als eher ängstlich beschreiben und ich fragte mich, ob er vor dem Malinois oder vor mir Angst hatte.

      „Mantrailing erfordert sowohl für den Hund, als auch für das Herrchen ein Höchstmaß an Disziplin“, begann die dicke Frau mit den gelben Haaren ihren Vortrag und schon nach kurzer Zeit war ich nicht der Einzige, der ihr nicht mehr zuhörte.

      Wir mussten wirklich volle drei Stunden auf den Bänken ausharren und hin und wieder drangen Worte wie ‚Duftmoleküle‘, Hautpartikel‘, ‚metabolische Abbauprodukte‘ und immer wieder ‚Disziplin‘ an mein Ohr. Regelmäßig wurden Fotokopien verteilt, so dass niemand selber mitschreiben oder sich Notizen zu machen brauchte. Schon nach eineinhalb Stunden begannen die meisten der Lehrgangsteilnehmer unruhig auf ihren Bänken herumzurutschen.

      „Wer von ihnen kann mir sagen“, unterbrach die Dicke plötzlich ihren monotonen Vortrag, „was das Geruchsbild des Menschen gemein hat mit seinem Fingerabdruck oder der DNA?“

      Die Lehrgangsteilnehmer schwiegen durchweg und starrten auf den Tisch vor sich. Bingo war unruhig und ich wusste, dass er kurz vor die Tür wollte, um sein Geschäft zu erledigen.

      Ein Hundeführer spürt so etwas.

      Die Gelegenheit für eine kurze Unterbrechung war günstig und ich meldete mich.

      „Herr Lärpers“, nickte die Dicke erfreut, „sie überraschen mich.“

      „Bingo“, lächelte ich sie an, „wir müs...“

      „Bingo?“, unterbrach sie mich. „Herr Lärpers, wir sind hier bei keiner Rentnerveranstaltung. Können sie auf meine Frage antworten oder was soll ihre unqualifizierte Antwort?“

      Ich schüttelte den Kopf. „Bingo - so heißt mein Hund - muss einmal. Ich gehe kurz mit ihm vor die Tür ...“ Schon erhob ich mich und der Malinois folgte mir dankbar.

      Ich trödelte vor der Scheune herum und besah mir den Bauernhof ein wenig. Der Tag war zu schön, um auf der harten Bank in der halbdunklen Scheune zu sitzen und das Gequatsche von der Dicken anzuhören. Wenn der gesamte Kurs so weiterging, dann hatte ich definitiv meine Zeit verschwendet. Der einzige Trost war, dass es am Ende des Lehrgangs das von Bernd so heiß begehrte Zertifikat geben würde.

      Kurz bevor der Kurs zu Ende ging, schlich ich an meinen Platz zurück und fand zahlreiche neue Kopien auf dem Tisch vor.

      „Ich danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit“, klangen endlich die erlösenden Worte. Sophie Fengeler sah mich strafend an und fuhr fort: „Wir sehen uns dann morgen um vierzehn Uhr. Bitte seien sie pünktlich und bringen sie ihren Hund mit. Wir werden uns nach einer kurzen Theoriestunde den Tieren widmen, die sich auch untereinander kennenlernen sollen. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Feierabend.“